Frauenprojekte: Das Kölner Frauenhaus

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Maria Mies Im Wintersemester 1975 habe ich ein Seminar gegeben über die Geschichte der Historischen Frauenbewegung und auch darüber, dass später niemand mehr wusste, dass es diese Frauenbewegung gegeben hatte. Und dann haben die Studentinnen zu mir gesagt: Wir werden dafür sorgen, dass das nicht nochmal passiert! Und ich habe gefragt: Wie wollt ihr das denn machen? Und da haben die Studentinnen gesagt: Wir wollen ein Frauenhaus gründen! In London hatte gerade die Sozialarbeiterin Erin Pizzey ein solches Haus eröffnet und darüber ein Buch geschrieben. Gut, habe ich gesagt. Dann geht doch mal zum Sozialamt und sagt das dem zuständigen Mann, das war damals ein Herr Körner …

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Frauke Mahr … Hans-Erich Körner!

Maria Genau. Und da hat der Herr Körner sie blöd angeguckt und gesagt: „Dafür gibt es in Köln keinen Bedarf!“ Geprügelte Frauen gäbe es in Köln nicht.

Frauke Wir wussten aber: Die gibt es in Köln auch! Wir hatten das besagte Buch von Erin Pizzey gelesen. Es hieß: „Schrei leise, sonst hören dich die Nachbarn“. 

Maria Die Studentinnen kamen dann also vom Sozialamt zurück und erzählten: „Der Herr Körner hat gesagt, das Problem gäbe es in Köln nicht. Wir müssten darüber zuerst eine empirische Untersuchung machen.“ Da habe ich gesagt: „Der Mann spinnt! Wir machen keine Untersuchung, wir machen eine Aktion!“ Und dann haben wir an einem verkaufsoffenen Samstag auf der Schildergasse einen Stand gemacht. Wir hatten ein Plakat, auf dem eine Frau eine andere Frau trägt. Das war für uns entscheidend: Wir erwarteten keine Hilfe von irgendjemand. Das Motto war: „Frauen helfen Frauen“. An diesem Tag haben wir Unterschriften für das Frauenhaus gesammelt. Ich hatte einen Kassettenrekorder dabei und fragte Frauen, aber auch Männer: „Kennen Sie Frauen, die von ihren Männern geprügelt werden?“ 

Frauke Ich erinnere mich, wie viele Frauen, die an unserem Stand vorbeikamen, von ihren Männern weggezogen wurden. Es war durchaus schwierig, mit denen ins Gespräch zu kommen. Und es gab immer wieder, auch von Frauen, Aussagen wie: „Wenn eine Frau von ihrem Mann geschlagen wird, dann wird das auch einen Grund haben.“  

Maria Trotzdem haben wir an diesem einen Nachmittag 2.000 Unterschriften für ein Frauenhaus gesammelt. Denn viele, mit denen wir sprachen, kannten eben doch eine betroffene Frau oder hatten von einer gehört. Zum Glück war eine feministische Journalistin dabei, die das Ganze gleich am nächsten Tag im Kölner Stadt­anzeiger veröffentlichte. Das Problem, das Herr Körner geleugnet hatte, lag jetzt auf dem Tisch! 

Frauke Und schon an dem Tag, an dem wir die Aktion in der Schildergasse gemacht hatten, haben sich Frauen bei uns gemeldet und gesagt: „Wir wollen in dieses Frauenhaus!“ 

Maria Aber das Frauenhaus gab es ja noch gar nicht. Wir mussten die Frauen, die sich meldeten, also irgendwie unterbringen. Und dann haben wir sie bei uns oder bei Freundinnen aufgenommen. Ich selbst habe auch Frauen bei mir untergebracht.

Frauke Ich konnte keine Frauen aufnehmen, weil ich zusammen mit einer Kommilitonin in einer sehr kleinen Wohnung wohnte. Aber es stand trotzdem sehr bald ein Ehemann vor meiner Tür. Das war ein Chemiearbeiter, dessen Frau und Tochter bei einer der anderen Frauen untergebracht war. Und weil mein Name in der Zeitung gestanden hatte, hatte der angenommen, seine Frau wäre bei mir. Er hatte seiner Frau immer ­gedroht, sie zu verätzen. Als Chemiearbeiter kam er ja an das Material dafür heran. Das war schon sehr bedrohlich.

Maria Und damit haben wir die Stadt Köln unter Druck gesetzt. Wir haben gesagt: „Da sehen Sie es, wir brauchen ein Frauenhaus!“ Und nun war die Stadt unter Zugzwang und musste eine eigene Untersuchung machen. Dabei kam heraus, dass sich pro Monat rund 100 Frauen bei der Polizei meldeten, die von ihren Männern verprügelt wurden. Das wurde ja vorher nie erfasst, denn wenn eine geprügelte Frau zur Polizei ging, bekam sie zu hören: „Das ist nicht unser Problem, das ist Ihre Privat­sache!“ Und nun hatten wir auch einen ­statistischen Beweis dafür, wie viele Frauen betroffen waren. Darüber wurde auch in der Presse berichtet. Die Stadt lavierte aber immer noch herum und sagte, sie habe kein Haus für uns. Im Dezember 1976 zog dann eine Wohngemeinschaft aus einem Haus in Dellbrück aus und sagte: „Ihr könnt hier einziehen!“ 

Frauke Das Haus war eine Bruchbude. Ich weiß noch, wie uns einmal beinahe der Ölofen um die Ohren geflogen wäre.

Maria Und dann sind wir mit Kind und Kegel in dieses Haus eingezogen. So haben wir angefangen. Und dann haben wir einen Verein gegründet, den wir nach unserem Leitspruch benannt haben: „Frauen helfen Frauen“. Später sind dann in ganz Deutschland Initiativen mit diesem Titel entstanden.

Frauke Und aus unserer Studentinnen-Gruppe wurde ganz schnell eine größere Gruppe: Da war eine Hausfrau aus Wesseling dabei oder eine sehr alte Sozialarbeiterin, die schon im Altersheim lebte. Aber auch junge Frauen kamen dazu, zum Beispiel eine junge Grafikerin, die das Plakat für unsere Straßenaktion gemacht hatte. Und so wurde aus der Initiative von Sozialarbeits-Studentinnen und ihrer Dozentin eine viel größere Initiative. Wir haben alle umsonst gearbeitet. Ich habe dann mein Anerkennungsjahr im Frauenhaus gemacht. Das war nicht bezahlt und ich habe damals von einer kleinen Erbschaft gelebt. Die ­anderen hatten bezahlte Jobs und machten parallel die Arbeit im Frauenhaus ehrenamtlich. Aber diesen Begriff kannten und benutzten wir gar nicht. Wir wollten da mitmachen und wir wollten was tun!  

Maria Wir hatten kein Geld. Aber wir haben zum Beispiel ein Benefizkonzert ­organsiert mit Ina Deter und den Bläck Fööss. Und wir hatten eine Rechtsanwältin in unserer Gruppe und die stellte fest: Nach §72, wenn ich mich richtig erinnere, steht den Frauen Sozialhilfe zu. Außerdem sind sie obdachlos und haben damit ein Anrecht auf Wohngeld. Und da die Stadt Köln aufgrund ihrer eigenen Untersuchung nun zugeben musste, dass Gewalt gegen Frauen existiert, wurde das sehr unbürokratisch ­geregelt. Eine Frau, die angab, dass sie von ihrem Mann misshandelt wurde, wurde ­sofort zu uns geschickt. 

Frauke Bei den Gesprächen mit der Verwaltung gab es zwei Reaktionen: Es gab viel Arroganz und Überheblichkeit. Viele Gespräche waren unerträglich. Gleichzeitig gab es Leute, zum Beispiel den Herrn Mauermann beim Wohnungsamt, die haben uns von Anfang an total unterstützt. Aber meist gab es so eine süffisante Haltung. Und wir sind beim Sozialamt Köln-Mülheim, das für uns zuständig war, immer mal zusammen per Demo aufgelaufen, um durchzusetzen, was der Frau zustand. Ich erinnere mich an einen Fall: Die Frau hieß Ella. Sie hatte ­Bekleidungsbeihilfe beantragt und musste die bei einem Mitarbeiter abrechnen, der immer sehr schick im feinen Anzug in seinem Büro saß. Und der hat ihr Ärger ­gemacht, weil sie zu viel Geld für Unterwäsche abgerechnet hatte. Und da waren wir so sauer, dass wir mit allen Frauen aus dem Frauenhaus und der Initiative nach Mülheim gezogen sind und vor dem Sozialamt demonstriert haben. Das gab natürlich auch pressemäßig was her. 

Maria Wenn die Frau allein zum Amt ging, wurde sie fertiggemacht. Deshalb habe ich damals gesagt: Ihr Studentinnen geht mit! Später hatten dann auch Frauenhaus-Bewohnerinnen Erfahrung mit den Behörden. Das Motto lautete: Keine Frau geht allein!

Frauke Wir haben uns nie gefragt: Was steht den Frauen zu und was ist nötig? Das war unstrittig. Wir haben uns andere Fragen gestellt. Zum Beispiel: Wie kriegen wir den Nachtdienst organisiert? Oder: Was machen wir, wenn ein Typ mit dem Knüppel vor der Tür steht?

Maria Wir mussten schnell und einfallsreich sein. Und das waren wir. Das war ein wichtiges Prinzip: Wir müssen erst handeln, dann kommt die Theorie! Das war das Grundprinzip, nach dem wir vorgegangen sind. Niemand durfte wissen, wo das Frauenhaus ist. Die Frauen konnten uns anrufen und dann mussten einige von uns die Frau bei Nacht und Nebel abholen und ins Frauenhaus bringen. Das Haus musste Tag und Nacht bewacht sein, falls doch mal ein Mann rauskriegte, wo es ist und seine Frau raus­holen wollte. Ich habe selbst auch etliche Nächte dort gewacht. Und da habe ich viele ­Geschichten gehört. Sobald die Frauen bei uns waren, floss das nur so aus denen heraus.  

Frauke Es waren völlig unterschiedliche Frauen mit völlig unterschiedlichen Lebensentwürfen. Reiche und arme, alte und junge. Gestandene Hausfrauen, die älteste war 60, genauso wie junge Frauen, die jetzt, wo sie von dem Typen weg waren, endlich was erleben wollten. Natürlich gab es da Konflikte. Die haben sich nicht zwangs­läufig gut verstanden, weil sie das gleiche Schicksal hatten. Das war schon eine Riesenherausforderung für uns alle.

Maria Ich habe dann den Studentinnen gesagt: Ihr müsst die Geschichten dieser Frauen aufschreiben! Bringt einen Kassetten­rekorder mit, nehmt die Geschichten auf. Denn ich legte Wert darauf, dass die Geschichte der Frauenhäuser dokumentiert würde. Und darauf, dass den Frauen klar wird, dass sie kein Einzelfall sind. Wir haben mit den aufgeschriebenen Geschichten dann Rollenspiele gemacht, so dass die unterschiedlichen Formen von Gewalt ­offensichtlich wurden, die die Frauen erlebt hatten. Eine Frau erzählte: „Wenn ich die falschen Sardinen gekauft hatte, wurde ich verprügelt.“ Eine andere sagte: „Das Schlimmste ist gar nicht, dass er mich prügelt, sondern, dass er nachts aufsteht und mir ins Gesicht pinkelt.“ Ein 18-jähriges Mädchen hatte einen Freund, der sie immer mit dem Messer zum Sex gezwungen hat. Und aus diesen Rollenspielen ist dann dieses Buch hier entstanden: „Nachrichten aus dem Ghetto Liebe“ (blättert in dem Buch). Darin haben wir, zum Teil als Comic, auch die typischen Verläufe von Gewalt gezeigt. Wir haben versucht herauszufinden, wann die „Gewaltkarriere“ in den Familien begann, wie die Frauen damit umgingen, warum sie sich so lang diesen Grausamkeiten aussetzten und wann sie schließlich ­anfingen, aus der Situation auszubrechen. Und wir haben auch die gängigen Vorurteile widerlegt. Es hieß ja immer: Gewalt gegen Frauen ist eine Klassenfrage. Männer, die ihre Frauen prügeln, sind Arbeitslose oder Alkoholiker. Das stimmt aber nicht! Zu uns kamen auch gebildete Frauen und Akademikerinnen. Es war ein Gemisch von Frauen aus der gesamten Gesellschaft. 

Frauke Wir haben auch begriffen, dass Männer, die ihre Frauen schlagen, nicht selten auch gewalttätig gegen ihre Kinder sind. Ich erinnere mich an eine Frau mit mehreren Töchtern. Die älteste nahm sehr stark zu und wir fragten uns, warum sie bei uns im Frauenhaus so viel isst. Bis wir verstanden: Die war von ihrem Vater vergewaltigt und geschwängert worden. Das war das erste Mal, dass wir mit sexuellem Missbrauch direkt konfrontiert waren. Und damit hatten wir nun auch noch zu tun. Und wir haben es als unsere Aufgabe verstanden, die Gesellschaft darüber aufzuklären und zu sagen: „Guckt euch das an! Und begreift: Das ist kein individuelles Schicksal, das ist strukturell bedingt.“ Das haben wir gegenüber der Presse und bei unseren Straßenaktionen immer wieder vermittelt. Und wenn wieder jemand mit blöden Sprüchen kam, konnten wir sagen: „Wir wissen, wovon wir reden!“ Die Grundlage dafür war aber, dass wir tatsächlich ein autonomes Frauenhaus waren. Denn nur, wenn du niemanden über dir hast, der dir vorgibt, wo du politisch oder ideologisch Rücksicht zu nehmen hast, hast du die Freiheit zu sagen, was du willst.  

Maria Es haben sich ja dann immer mehr autonome Frauenhäuser gegründet. Ich wurde zu Vorträgen eingeladen und habe von unseren Erfahrungen erzählt. Und später haben wir ja auch angefangen, Frauenhaus-Konferenzen zu machen. Die Vereine „Frauen helfen Frauen“ existieren ja bis heute. Und ich habe dann aus der Praxis im Frauenhaus wieder etwas für die Forschung mitgenommen und meine sieben „Postulate zur Frauenforschung“ entwickelt. Zum Beispiel habe ich erklärt, dass feministische Wissenschaft parteilich sein sollte. Dass die Distanz zwischen Forscherin und dem Forschungsobjekt aufgehoben werden sollte, das auch gar kein Objekt ist, sondern ein Subjekt. Besonders wichtig war mir Postulat Nummer vier: Man muss eine Situation verändern! Das hat die bisherige Auffassung von wissenschaftlicher Arbeit auf den Kopf gestellt. 

Frauke Es gibt immer noch Gewalt gegen Frauen in jeder Form. Und es gibt immer noch Leute, die versuchen, das zu leugnen. Aber im Vergleich zu dem, was wir uns 1975 anhören mussten, hat sich viel verändert. Es wird gesellschaftlich nicht mehr in Abrede gestellt. Und wenn ich heute einen Stand in der Fußgängerzone mache, dann gibt es doch einen sehr viel offeneren Umgang mit dem Thema – und zwar auch von Männern. Und wenn wir am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, durch Köln ziehen, dann denke ich: Du konntest ja damals nicht auf die Straße gehen und ein Frauenhaus fordern, ohne dass du Sachen gesagt kriegtest, dass einem die Ohren schlackerten. So offen sind uns die Leute 1975 nicht begegnet. So viele sexuelle Angebote wie damals habe ich mein Lebtag nicht wieder gekriegt. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es gerade einen Backlash gibt hin zu reaktionären Frauen- und Männerbildern.

Maria Wir mussten dann aus dem Frauenhaus in der Bergisch-Gladbacher Straße raus, weil es so baufällig war. Die Stadt war dann immerhin so weit, dass sie ein Haus in Porz zur Verfügung stellten. Bezahlte Stellen gab es allerdings immer noch nicht. Ich bin zu diesem Zeitpunkt aus dem ­Projekt raus, weil ich wieder nach Indien gegangen bin. 

Frauke Meine Erbschaft war irgendwann verfuttert, ich brauchte also einen bezahlten Job. Ich habe dann eine Stelle in der Altenarbeit angenommen. Hinzu kam, dass damals die Aufgaben im Frauenhaus rotierten. Und ich war dann plötzlich dran, mit den Kindern zu arbeiten. Ich hatte aber Erziehung aus eigener Erfahrung in sehr schlechter Erinnerung und hatte sehr große Angst davor, genau diese Dinge, die mir damals passiert sind, selbst zu wieder­holen. Das habe ich im Umgang mit den Kindern tatsächlich gemerkt. Ich hätte aber nicht gewagt zu sagen, dass es so ist. Und zwar nicht wegen der anderen, sondern wegen mir. Das war für mich sehr dramatisch. Und in Kombination mit der bezahlten Stelle bin ich dann aus dem Frauenhaus raus. 

Maria Wir hatten großen Erfolg, und das im ganzen Land. Und ich habe meine Erfahrungen in Indien wieder angewandt. 

Frauke Ich bin total froh, dass wir das ­damals gemacht haben. Und ich finde immer noch richtig und wichtig, dass man als Frau sagt: Das geht so nicht, da muss man was tun! Ich finde es gut, dass wir ­damals mit großer Entschlossenheit los­gegangen sind. Man könnte natürlich sagen: Wir waren naiv. Na, wunderbar, das hat uns doch echt weitergebracht! Wir haben doch echt was auf die Beine ­gestellt! Ich kann das nur empfehlen.

In EMMA 2/17 erzählen Silvia Kontos und Gisela Schneider über den Start der Aktionen gegen den §218 und die legendären Busfahrten nach Holland. 
In EMMA 3/17 berichten Sonia Mikich und Dagmar Bach über die Gründung des „Aachener Frauenkabaretts“. 

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