Triumph des Willens

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Hallo, da ist sie wieder, diesmal als halbjahrhundertalte Domina. Die Beine breit, die Hüften vorgeschoben, die Augen katzig. Schwarze Dessous, Netz, Stiefel, offener Mund, naja, alles aus der Mottenkiste der Männerfantasien, sehr Achtziger Jahre und irgendwie spießig. Wer diese stählernen Muskeln und dieses harte Fleisch mit Lusterfüllung verwechselt, tut mir herzlich leid. Gratulieren wir einfach einer 50-Jährigen zu ihrer guten Gesundheit.

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Ihr neues Album Hard Candy ist natürlich gut tanzbar und funktioniert prima auf Sommerpartys, der Sound erinnert ebenfalls an die Achtziger, Madonna erinnert sich gern an diese Epoche. Pop trifft HipHop, die Plattenfirma wird sich freuen, dass Madonna keine künstlerischen Risiken eingeht. Aber es geht ja auch nicht um Musik.

Madonna versteht wie kaum eine andere Popgröße die Konstruktion, Pflege und Weiterentwicklung der Marke. Ein obszön großes Ego mag da vonnöten sein, ja, aber auch die Schläue eines Handelsvertreters. Seit gut zwei Jahrzehnten baut sie Stein für Stein an der Kathedrale IMAGE und bewundernd stellt man sich zum x-ten Mal die Frage: Was ist denn nun ihr Geheimnis? Die Antwort lautet: Keins zu haben.

Und so geht die Legende: 1978 stieg sie mit 35 Dollar in der Tasche in New York aus einem Bus, durchschnittlich begabt als Tänzerin, mit einer eher schwachbrüstigen Stimme und einem IQ von 140. Knapp 30 Jahre später beträgt ihr geschätztes Vermögen 450 Millionen Dollar. Sie ist erfolgreicher Global Player des Pop, kassiert als Multimedia-Unternehmerin und Kinderbuch-Autorin, kultiviert neuerdings einen englischen Akzent mit Cockney-Einfärbung, sammelt religiöse Versatzstücke und rettet die Kinder Malawis.

Madonna! Jedem die Seine! Ich zum Beispiel erinnere mich gern an den Girlie-Film „Susan verzweifelt gesucht“, an das Gute-Laune-Tralala ihrer Achtziger-Hits. Madonna war lustig für unsereins: föhnte sich die behaarten Achselhöhlen in öffentlichen Bedürfnisanstalten und demonstrierte kraftvoll definierte Oberarme. Kampfstiefel zu Tüten-BHs. Postpunk-Frisur zu Mopsgesicht. Dreiste Stilbrüche in der Kleidung wurden von der aggressiven Tingeltangeltussi lange vor Brigitte oder Vogue erfunden.

Ihre sexuellen Spiele von damals – einschließlich der öffentlich demonstrierten Masturbationen, Orgien, Semi-Pornos und S/M-Gesten – mögen im Zeitalter von Feuchtgebieten nicht mehr arg provozieren. Sie erinnern an Zeiten, als Ambivalenz noch nicht vornehme Undeutlichkeit bedeutete. Sondern, im Gegenteil: Madonna Louise Ciccone feierte das laute Neben- und Übereinander von Unterschieden und Widersprüchen. Deswegen finde ich es müßig, mir ernsthafte Gedanken über ihr schwarzes Adoptivkind zu machen oder ihre Begeisterung für Kabbala und jüdischen Mystizismus anzuzweifeln. Soll sie doch. Privatsache. Man nehme sich jeweils jenen Aspekt der Madonna, der einen erfreut.

Und so kommt man schnurstracks zur letzten Frage an Madonna Louise Ciccone:

Ist sie ein Mann oder eine Frau?

Die Antwort lautet: „Ja.“

Denn ewig bockt das Weib.

Wer scharf wird angesichts von Madonnas Poledancing, strammen Hintern und Reiterstiefeln, sitzt einer Verwechslung auf. Die Männer in ihrem Leben sind auffallend wenig bedrohlich. Der mürrische, damals noch nicht ausgereifte Sean Penn. Der schöne, unbekannte Carlos Leon. Der kauzige Guy Ritchie. Und Madonna mittenmang bei den netten Mäuserichen wie eine glückliche, dicke Katze, die in die Sahne gefallen ist.

Gleichzeitig, davon bin ich überzeugt, fühlen sich Männer wohl in der M-Galaxis, denn sie gluckt nicht nur wie eine große Muttergottheit über Familie und Mitarbeiter und betet mit ihnen vor jedem Auftritt. Sie kann auch one of the boys sein. Eine, mit der man um die Ecken zieht und sich über Fußball und Arsenal aufregt.

Selbstverständlich sind die Selbstgerechtigkeit, der Leistungswillen und die Entschlossenheit, kurzum Madonnas Zugriff auf die Welt, ungeheuer faszinierend für Mädchen und Frauen. Ebenso ihr – man erlaube mir ein einverständliches Grinsen – unbedingter Wille zur Macht.

Macht über Charts, Moden, Symbole. Macht über Moneten und Menschen. Definitionsmacht: „When you’re putting a show together it’s like life during wartime. Everybody has to pay attention, no one can fuck up.“ (Wenn man eine Show zusammenstellt, ist es wie Leben in Kriegszeiten. Alle müssen aufpassen, niemand darf etwas vermasseln.)

Wie ein Patriarch alter Schule kontrolliert Madonna Köpfe und Körper ihres Teams, ihres Multimedia-Unternehmens, ihrer Konsumenten. Wer bei einer ihrer Shows den Beat an sich abprallen lässt und ausschließlich die Maschinerie des Auftritts seziert, beginnt den Perfektionismus zu ahnen, der ihr Ruhm und Geld einfach einbringen musste. Immer präziser, immer durchdachter, immer unterhaltsamer ist ihre Produktreihe Apokalypse Frau. Ob kleine Punk-Schlampe, tragische Evita, cooles Cow-Girl, mystische Esther. Ob Reitgerte oder Kinderschnuller. Rollen und Accessoires zeugen vom glücklichsten Kraftakt, nämlich die Grenzen des Geschlechts einfach zu ignorieren. Weibchen? Ach was.

Wie frei sie Männerposen kopiert, kapert. John Travoltas weiße Disco-Kluft ebenso wie die Dornenkrone von Jesus Christus oder das Glittercape von James Brown. Die breitbeinigen, phallischen Gesten alternder Gitarrenheroen sind ihr so geläufig wie die futuristischen Kostüme aus Mad Max II und III.

Sie dehnt die Optionen des Künstlers auf „weiblich“ und „männlich“ so weit aus, dass die Begriffe keinen Sinn mehr haben. Hure und Heilige – endlich in friedlicher Koexistenz – und auch noch Dionysos und Apollo.

Aber muss eine Frau in ihrem Alter noch Hochleistungssport auf der Bühne betreiben? Körperliche Schwerstarbeit bis zur Rente mit 77? Irgendwie schon, möchte man meinen. Denn es ist ja bewundernswert, was Power-Yoga, Disziplin und ein Schuss Metaphysik aus einer 50-Jährigen herausholen können. Ich habe die bemühten Bühnenshows der Herren Jagger und Bowie selbst erlebt. Sehr schnell war Schluss mit dem sexualisierten Gestampfe, sehr schnell war die Luft raus. Abgestandene Männlichkeit in zu engen Beinkleidern – solchen alten Männern möchte man nur noch ganz schnell ein Gläschen Klosterfrau Melissengeist reichen. Mit einem einzigen Auftritt im passgenauen weißen Jogging-Anzug verweist Madonna das Seniorenturnen der männlichen Konkurrenz in die Lächerlichkeit. In Ewigkeit. Amen.

Madonna ist eine schlaue Seismographin der weiblichen Evolution von der Gebärmaschine zur Geschäftsfrau, von Daisy Duck zur Domina, von Hupfdohle zur Herrenreiterin und dann noch das Gegenteil von alldem. Sie importiert und exportiert Zeichen und Stimmungen von Minderheiten und macht aus Subkultur Massenphänomene. Gut, dass wir sie haben.

Die Autorin hat 1985 erstmals in EMMA über Madonna geschrieben, einen „Offenen Brief an Madonna“ (10/85). Sie ist heute Leiterin des TV-Polit-Magazins Monitor.

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