Was machen die Frauen da?

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Ein Frauenmarsch, der diesen Namen verdient, sieht anders aus. Vorneweg laufen bullige Typen mit Warnwesten. Davor und dahinter springt Lutz Bachmann, der Pegida-Chef, herum und filmt. Man sieht ihn gleich, weil er sich hopsend durch die Pressefotografen schlängelt.

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Erst hinter dem Lautsprecherwagen führt die AfD-Politikerin Leyla Bilge einen kleinen Block mit Frauen an. Für ein Foto reicht es. Dahinter mischt es sich mit Männern, die Gesichter werden verbissener. Hier steht „Merkel muss weg“ auf den Plakaten, „Pegida“ und „Meinungsfreiheit statt Lügenpresse“.

Nach einem Drittel der Demo steigt der Männeranteil

Vehement hat sich die Initiatorin Bilge gegen die Bezeichnung des Protestes als AfD-Demo gewehrt. Die christliche Kurdin hatte den Frauenmarsch am 17. Februar in Berlin unter das Motto „Wir sind kein Freiwild. Die Freiheit der Frau ist nicht verhandelbar“ gestellt. Demonstrantinnen tragen Armbinden, auf denen „Nein heißt Nein“ auf lila Untergrund steht.

Doch nach einer feministischen Demonstration sieht der Marsch nicht aus, nach etwa einem Drittel der Demo steigen Männeranteil und Altersdurchschnitt deutlich. Im letzten Teil sieht man nur noch die sprichwörtlichen „alten weißen Männer“. Aber immerhin: An die 400 Frauen laufen im Frauenblock.

Die grimmigen Männer, die lautstark mit ihren Nachbarn Verschwörungstheo­rien austauschen, interessieren mich nicht. Ich will wissen, ob der Lila-Anstrich auch Frauen hergelockt hat, die sich sonst vom rechten Rand fernhalten. Ich suche nach denen, die anders aussehen, die allein gehen.

Eine kleine Kräftige lehnt an einem Auto und beobachtet den Zug, der zum Stehen gekommen ist. Sie ist jung und schaut neugierig. Ob sie ein paar Fragen beantworten kann? Sie verneint freundlich: Keine Medien. Wie alle weiteren, willigt sie jedoch ein, als ich verspreche nur anonym zu zitieren.

Dürfen Frauen sich nicht wehren?

Sie sagt, sie arbeite für eine Sicherheitsfirma in Berlin-Neukölln. Sie sei auf der Demo, weil migrantische Jugendliche sie während der Arbeit begrapscht hätten. Dagegen hatte sie sich gewehrt – weswegen die Polizei ihr von einer Anzeige abgeraten habe. Sie sagt: „Frauen dürfen sich also nicht wehren, sondern müssen weglaufen.“ Sie war vorher noch nie auf einer AfD-Demo, sagt sie.

Zwei weitere, einzeln stehende Frauen erzählen ebenfalls von sexuellen Belästigungen, die sie erlebt haben. Und dass keiner etwas dagegen mache.

Da fällt mir ein Grüppchen Frauen mit Fahrrädern auf. Sie sehen aus, als könnten sie auch auf einer Anti-Atomkraft-Demo mitlaufen. Tatsächlich erzählt eine, sie sei vor zwei Jahren bei den Grünen ausgetreten. Sie habe sich mit Islamismus beschäftigt und sei zu dem Schluss gekommen: „Das ist eine extremistische, frauenfeindliche Ideologie. Das muss man bekämpfen, nicht nur in Deutschland, auch weltweit.“

Ich frage: „Aber wenn Sie so einen globalen Ansatz haben, stört es Sie dann nicht, dass es hier nur um Deutschland geht?“ Ja, stört sie. „Aber was soll ich machen? Haben Sie einen Vorschlag, was man sonst machen könnte?“ Sie argumentiert differenziert, war mal Journalistin, sagt sie. Was treibt solche Frauen in die Nähe einer antifeministischen Partei, die unter anderem das Schuldprinzip bei Scheidungen wieder einführen und „selbstverschuldete“ Alleinerziehende bestrafen will? Die Radfahrerin schreibt mir später eine E-Mail, in der sie bittet: „Sollten Sie von ‚politisch korrekten‘ Demonstrationen oder Initiativen wissen, lassen Sie es mich wissen.“

Frauen fühlen sich mit ihren Problemen alleingelassen

Dass sich gerade Frauen mit Problemen alleingelassen fühlen, begegnet mir häufig. Seit 2015 mache ich zusammen mit einem Kollegen Schulungen für „interkulturelle Kompetenz“ mit Schwerpunkt Naher Osten. In meinem Kurs sitzen Verwaltungsangestellte, Sozialarbeiterinnen und ehrenamtliche Flüchtlingshelferinnen. Es ist nicht der Staat, von dem sie sich allein gelassen fühlen, sondern die allgemeine Stimmung. Bei genauerem Nachfragen stellt sich heraus: Es sind oft die eigenen Kolleginnen und Kollegen, die sie im Stich lassen.

Bei einer Übung sollen die Teilnehmerinnen sich an belastende Situationen erinnern. Eine Frau aus der Verwaltung berichtet, wie sie im Gang vor dem Büro beobachtete, dass ein Mann seine Frau schlug. Sie habe ihn angeblafft, er solle das lassen. Danach bekam sie Ärger – mit ihren Kolleginnen.

Hatte sie überreagiert? Gegen eine Anweisung verstoßen, wie man in solchen Fällen deeskalierend vorgeht? Nein. Sie hätte sich einfach nicht einmischen sollen. Was sagen die anderen KursteilnehmerInnen? Sie wissen auch nicht, wie sie sich verhalten hätten, das sei eben eine schwierige Situation.

Nein, das ist es unserer Meinung nach nicht. So wie es die Frau beschreibt, hat sie das Richtige gemacht. Sie muss einschreiten, wenn sie eine Straftat beobachtet – und Gewalt ist in Deutschland auch gegen die eigene Frau strafbar. Nach dem Kurs fragen wir uns, warum das eigentlich nicht allen klar ist.

Diskussionen zur Integration werden schnell giftig

Bei einer anderen Schulung gibt es Widerspruch zu Maßnahmen zur Integration. „Die Leute sollten ihre Kultur nicht verlieren. Wenn sie zurückgehen, kommen sie mit ihrer eigenen Kultur nicht mehr klar“, argumentiert ein Sozialarbeiter. Wieder andere murren etwas von ­Anpassung.

Um diese beiden Pole kreist die Diskussion häufig. „Wie viel muss ich akzeptieren?“, fragen die einen. „Die müssen sich anpassen!“, sagen die anderen. Einen Gradmesser dafür haben viele nicht. Diskussionen werden schnell giftig.

Eine Jobcenter-Mitarbeiterin will eine Muslimin in die Wurstproduktion schicken – dort wird die Wurst aus Schwein hergestellt. Ihre Kolleginnen protestieren: „Du immer mit Deinen Ansichten!“ Ein präzises Argument hat keine. Schließlich fragen wir: „Würden Sie das auch mit einer Veganerin machen?“ Der Abteilungschef stellt klar: „Wir schicken niemanden zu einer Arbeit, wenn wir wissen, dass das für ihn nicht geht.“ So einfach ist das.

Aber oft bleibt ein Unbehagen. Eine Teilnehmerin stellt nach unserem Workshop fest, dass wir etwas ganz anderes erzählt hätten, als der Trainer in der vorherigen Schulung zur „interkulturellen Kompetenz“. Solche Schulungen sind reguläre Fortbildungen in der öffent­lichen Verwaltung, einen Standard aber gibt es dafür nicht.

Der andere Trainer hatte die so genannte „Albatross-Übung“ gemacht – ein beliebtes Rollenspiel zum Thema, das auch die „Bundeszentrale für politische Bildung“ empfiehlt. Zwei Teilnehmerinnen sollen einen Mann und eine Frau aus der Albatross-Kultur darstellen.

Hinterher bewerten die anderen, was sie gesehen haben – und dann kommt die Auflösung. In der Albatross-Kultur geht der Mann vor der Frau. Er setzt sich auf einen Stuhl, sie kniet vor ihm. Sie reicht ihm Erdnüsse, er isst. Dann drückt er ihren Kopf in Richtung Boden.

Die Frau eine Perle, die man verhüllen muss?

Alles klar? Es ist aber ganz anders als man denkt, verrät dieser Trainer. Die Albatrossfrau sei keineswegs unterdrückt. Im Gegenteil sei es eine matriarchale Kultur. Der Mann ginge vor der Frau, um Gefahren abzuwehren, die Speisen müsse er für sie vorkosten. Auf der Erde sei es für sie bequemer. Ihren Kopf drücke er auf den Boden, damit sie der Erdgöttin danke – ein Privileg der Frau.

Ich bin sprachlos, als ich das erste Mal von dieser Übung höre. Das ist tatsächlich das Gegenteil von dem, was wir erzählen. Wir zeigen Fotos aus Kabul und Bagdad aus den 1970er-Jahren, als Frauen dort keine Kopftücher trugen. Wir erklären den Aufstieg des Islamismus und den Kampf der aufgeklärten afghanischen und irakischen Gesellschaft dagegen. Wir erzählen, dass Frauen in die Universitäten drängen und syrische Flüchtlingsmädchen sich wünschen, Ingenieurin oder Richterin zu werden. Kulturen verändern sich, ist die Botschaft.

Wer glaubt, „deren“ Kultur sei kaum veränderbar und im Zweifel eben fremd und unverständlich – wie die ­Albatross-Kultur –, der kann das nur „gut“ oder „schlecht“ finden. Tun kann er nichts.

Auch Islamisten sagen, bei ihnen gelte die Frau mehr als in Europa: Sie sei eine Perle, die man verhüllen muss, die Königin des Hauses, der die Gefahren der Straße erspart bleiben.

Es wundert kaum, dass Menschen, die im Geiste von Albatross-Übungen geschult werden, nicht wissen, wie sie bei Problemen reagieren sollen. Es wundert auch nicht, dass sie zur AfD gehen, wenn sie mit diesen Problemen nicht mehr klar kommen. Da müssen sie nicht umlernen: Sie finden dann die Alba­tross-Kultur eben nicht mehr gut, sondern schlecht.

Hannah Wettig

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