Das ist hier ja wie zu Hause!

Meera Jamal: "Ich habe mich aus den Ketten befreit!" - Foto: Bettina Flitner
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Vor über zehn Jahren habe ich mich von den Ketten befreit, die ein theokratisches Dritte-Welt-Land Frauen anlegt, die es wagen, sich gegen die Normen aufzulehnen. Als Journalistin, die über Menschenrechte schreibt, habe ich viele Formen des Machtmissbrauchs gesehen, der Frauen von ihren Familien und der Gesellschaft angetan wird. Was mich jetzt in Deutschland verstört, ist die Tatsache, dass das Leben zugewanderter Frauen sich oft wenig von jenem Leben unterscheidet, das sie in ­ihren Heimatländern führen mussten.

Obwohl die Frauen in Europa erfolgreich um ihre Rechte gekämpft und die Gleichberechtigung der Geschlechter weitgehend durchgesetzt haben.

Sprechen wir also über Gewalt und Missbrauch in Migranten-Communitys. Auch wenn jedem Migranten und jeder Migrantin, die in Deutschland einen Inte–grationskurs besuchen, erklärt wird, dass jeder Mensch hierzulande Menschenrechte hat, scheuen sich viele geschlagene Frauen, sich an die Behörden zu wenden. Ein entscheidender Grund dafür ist, dass die Frauen finanziell abhängig von ihren Männern sind, aber es hat auch religiöse Gründe. In Deutschland gab es allein in der ersten Jahreshälfte 2017 30 „Ehrenmorde“ – und alle wurden in muslimischen Communitys begangen.

Ich kenne persönlich viele pakistanische Mädchen aus muslimischen und manchmal auch aus Hindu- und Sikh-Familien, die hierzulande strenger erzogen werden, als es in ihrem Heimatland der Fall wäre. Grund: die Angst vor der westlichen „Kontaminierung“ ihrer Gedanken und ihres Körpers.

Die Mehrheit dieser Familien lebt ein widersprüchliches Leben: Jungen und Männern ist es erlaubt, sich mit deutschen Familien und sogar Frauen anzufreunden, wohingegen die Frauen und Mädchen überwacht werden. Und das nicht nur von ihrer Familie, sondern von (fast) allen, die aus demselben Land stammen. Deren Berichte landen, auch dank der modernen Kommunika­tionstechnik, blitz­schnell bei den Eltern.

Auch die Rolle der Imame muss sehr kritisch hinterfragt werden. Meiner Meinung nach sollte es nur denjenigen erlaubt sein, Muslime anzuleiten, die selbst nicht nur die Religion, sondern auch ­europäische Gesetze und Sitten kennen und akzeptieren. Doch die Mehrheit der ­Moscheen in Deutschland wurden durch Länder wie Saudi-Arabien, Iran oder der Türkei finanziert. Deshalb werden deren rückwärtsgewandte Ideen von der Rolle der Frau dort gepredigt.

Wann immer ich mit religiösen Gelehrten über Themen wie Frauenrechte spreche, werde ich als „westlich beeinflusst“ oder „bezahlte Liberale“ tituliert. Und statt eine Diskussion über Fakten zu führen, werde ich beleidigt und zeigt man mit dem Finger auf mich.

Die Aufklärung der Frauen in den Communitys müsste oberste Priorität haben. Es sollten nicht nur Sprachkurse verpflichtend sein, sondern auch Informationen, wo Frauen Hilfe finden können. Viele pakistanische und indische Frauen, die ich kenne, werden geschlagen und vergewaltigt, wenden sich aber nicht an die Behörden, weil sie nicht wissen, wie sie um Hilfe bitten sollen – und was diese Hilfe überhaupt bedeutet.

Wenn du in einer Atmosphäre geboren bist, in der Unterwerfung und Gewalt gegen Frauen als normal gilt, ist es nicht leicht, aus diesem System auszubrechen, vor allem, wenn dir beigebracht wurde, dass es von der Religion gerechtfertigt wird – und dir niemand sagt, dass es nicht um Religionsfreiheit geht, wenn dich jemand im Namen der Religion ­seelisch oder körperlich misshandelt, sondern dass es ein Verbrechen ist.
 

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