Der Widerstand ist weiblich

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Vor einer braun lackierten Garage in Teheran prügelt ein Polizist eine Studentin zu Boden. Eine Demonstrantin eilt zur Hilfe. Sie zögert keinen Moment, riskiert selber Schläge. Wenige Sekunde später attackiert ein Soldat einen Jungen. Wieder ist es eine Frau, die dazwischen geht. Sie packt den Polizisten an der Jacke und breitet schützend ihre Arme vor den Teenager.

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Diese Szene ist in einem verwackelten Amateurvideo zu sehen, aufgenommen aus einem Teheraner Fenster an einem sonnigen Novembertag. Es zeigt einen der vielen Schauplätze der landesweiten Massen­de­mons­trationen ein paar Monate nach Ahmadineschads angeblichem Wahlsieg. Über Internetplattformen wie YouTube, Twitter und Facebook gelangte das Video vorbei an der Pressezensur in die Öffentlichkeit.

Solche Videos gehören zurzeit zu den wenigen Informationsquellen über die Lage im Iran, seit ausländische Journalisten nur noch eingeschränkt vor Ort berichten dürfen, wenn überhaupt. Die Filme erzählen von brutalen Revolutionswächtern und zeigen vor allem die mutigen Frauen des ­Landes. Mütter und Töchter, Hausfrauen und Studentinnen, Religiöse im Tschador und Mädchen mit Glitzernagellack gehen ­gemeinsam auf die Straße. Sie recken Fäuste und Schleier in den Himmel und kämpfen für Reformen. Die grüne Revolution in der Islamischen Republik ist weiblich. Und die 27-jährige Neda Agha-Soltan, deren Tod von einer Handykamera gefilmt wurde, gab dem iranischen Widerstand schon früh und nicht zufällig ein Gesicht.

„Mein Vater hat mir eine Tasse Tee auf den Tisch gestellt. Er sagte, ich soll vorsichtig sein, was ich im Internet veröffent­liche. Sorry, Dad, zu spät!“ schreibt Selma, 32. In ihrem Online-Tagebuch erzählt sie von den Demonstrationen der Opposition. Die junge Frau postet Aufnahmen von prügelnden Revolutionswächtern, Ahmadineschad beschimpft sie als Tyrannen. Bloggen, das Einstellen von privaten Nachrichten ins Internet, ist verboten im Iran, zahlreiche BloggerInnen sitzen hinter ­Gittern, ihnen droht die Todesstrafe.

Doch Selma will nicht länger schweigen. Ihr Zorn auf die Regierung ist immens. Was kein Zufall ist. Stärker noch als Männer leiden iranische Frauen am Alltag im Iran. Ahmadineschad nahm den Frauen in seiner ersten Amtszeit als Präsident noch mehr ihrer schon zuvor sehr geringen Freiheiten. Er verstärkte den Einsatz von Sittenwächtern, die aufpassen, ob der Mantel lang genug ist und das Kopftuch richtig sitzt. Er sorgte dafür, dass Frauen Schwierigkeiten im Job bekommen, wenn sie bezahlte Überstunden leisten wollen. Er stellte einen Gesetzesentwurf vor, der Männern die Vielehe erleichtert.

Selma hat ein Bild vom Freiheitsturm auf ihre Homepage gestellt. Das in den 70er Jahren errichtete Wahrzeichen, eine architektonische Mischung aus Moschee und Skyscraper, ist ein Symbol des modernen Teherans für den Aufbruch in eine neue Zeit. In ihrem Internetblog beschreibt Selma, wie sie sich auf den Perserteppich legt, Rauchkringel in die Luft bläst und von einer freien Gesellschaft für ihre fiktive Tochter träumt: „Meine Tochter soll ihren Freund auf der Straße küssen können ohne Angst vor Sittenwächtern. Der Wind soll mit ihrem Haar spielen, das Kopftuch ist für sie kein faschistoider Zwang, sondern ein modisches Accessoire. Meine Tochter erlebt, dass Polizisten Kriminelle verhaften, keine Mädchen in engen Jeans. Meine Tochter soll das Leben führen, das ich nicht habe. Dafür kämpfe ich“, schreibt sie.

Selma, die in persischer Literatur promoviert, war zwei Jahre alt, als der Schah ins Exil flüchtete und Ayatollah Khomeini die Islamische Republik ausrief. Ihre Kindheit waren Luftschutzbunker und Bomber auf dem Weg in den Irak, die den Himmel über Teheran verdunkelten. Sie erinnert sich an Witwen, die um ihre Männer weinten. Das Regime hingegen feierte die Gefallenen als Märtyrer. Zum neunten Geburtstag bekam Selma ein Kopftuch geschenkt. Sie musste sich nun auf der Straße verhüllen wie ihre Mutter und ihre Schwester.

„Die Frauen sind die Verlierer der Islamischen Revolution. Der Wunsch nach Veränderung macht sie mutig und stark“, sagt auch die Exil-Iranerin Behjat Moaali, 60. Sie arbeitete Ende der 80er Jahre als Anwältin in Teheran. Sie erlebte, wie nach Khomeinis Machtergreifung die Scharia, die islamische Rechtsprechung auf der Grundlage des Korans, Einzug hielt in die persischen Gesetze.

Frauen wurden bereits unter dem Schah traditionell diskriminiert, hatten jedoch auch „westliche“ Freiheiten. Mit Ayatollah Khomeini verschlechterte sich die Lage dramatisch. Nach der Scharia ist eine Frau nur halb so viel wert wie ein Mann. Bei Verstößen gegen den Schleierzwang drohen Peitschenhiebe; auf Ehebruch und Homosexualität stehen Steinigung oder der Tod durch Erhängen. In den 80er Jahren protestierte Behjat Moaali auf den Straßen für Demokratie und Gleichberechtigung. Sie verteidigte als Anwältin zum Tode verurteilte Frauen wie Tara, ein iranisches Dorfmädchen, das sich einer Zwangsehe widersetzte. Ihr lebensbedrohliches Engagement trieb Behjat Moaali 1989 ins Exil nach Deutschland (Porträt EMMA 4/03).

Moaali, die in Kiel das Flüchtlingszentrum REFUGIO leitet, steht in Kontakt zu ihren Schwestern, die in Teheran leben. „Vor ein paar Jahren haben mich die beiden ausgelacht, wenn ich in Deutschland für Freiheit im Iran demonstriert habe. Sie waren der Meinung, das bringt nichts. Heute heißt es: Erzähl der ganzen Welt von uns! Gib uns Deine Stimme.“

Die aktuellen Nachrichtenbilder erinnern an damals. Viele von Behjat Moaalis ehemaligen Kolleginnen – Juristinnen, Frauenrechtlerinnen, Demokratinnen – wurden während der Wahlbetrugs-Demonstrationen verhaftet und in Trakt 209 des Foltergefängnisses Evin geworfen. Die politische Intelligenz sitzt dort ein in winzigen, grell beleuchteten Zellen und ist der Willkür der Herren des Regimes ausgesetzt, den körperlichen, psychischen und sexuellen Misshandlungen.

Auch die Anwältin Shadi Sadr, 35, kam nach Evin. Sie wurde im Juli 2009 auf dem Weg zum Freitagsgebet von Milizen des Regimes entführt, verhört und verhaftet. Die Anklage: Mit ihrem Kampf um Frauenrechte will Shadi Sadr im Auftrag des CIA das iranische Regime stürzen. Ein absurder Vorwurf. „Ich setze mich aus Überzeugung für Frauenrechte ein, nicht, weil es mir jemand befohlen hat“, sagt Sadr.

Dank des massiven internationalen Drucks, auch seitens der Bundrepublik, kam Shadi Sadr frei. Doch die Beamten machten der Mutter einer Tochter unmiss­verständlich klar: Wenn sie ihre frauen­politischen Arbeiten fortsetzt, kommt sie wieder ins Gefängnis. Shadi Sadr verließ den Iran und lebt zur Zeit in Deutschland. Wird die ganze weibliche ­Oppo­sition mundtot gemacht oder ins Exil ­vertrieben?

Via Internet schwappt die grüne Revolution in den Westen. Neue Kommunikationsmedien stärken weltweit die Solidarität der Iranerinnen und damit auch die Opposition im so genannten Gottesstaat. Von England aus richtete die Comedy-Künstlerin Miriam Elia eine Facebook-Seite ein. Darauf rief sie zusammen mit Amnesty ­International dazu auf, die Journalistin Hangameh Shahidi aus der Haft zu befreien. Hangameh Shahidi lebte in London und fuhr zu den Wahlen nach Teheran, um zusammen mit Freundinnen zu demonstrieren. Sie wurde verhaftet. Im Gefängnis wurde sie mit der Ankündigung ihrer eigenen Hinrichtung gefoltert, die dann immer wieder verschoben wurde.

Doch trotz Berufsverbot und Vertreibung sind Frauen wie Hangameh Shahidi und Shadi Sadr davon überzeugt, langfristig Reformen in der Islamischen Republik erreichen zu können.
Dass iranische Frauen Widerstand leisten, ist nicht neu. Schon wenige Wochen nach der Machtergreifung Khomeinis protestierten sie 1979 gegen den Gottesstaat (EMMA 5/79). 1997 wählten sie Khatamie, den Liebling der Intellektuellen, der in seinem Amt als Präsident immerhin die Lockerung der Zensur in den Künsten und der Presse bewirkte. 2006 starteten Aktivistinnen die immer noch andauernde Kampagne „Eine Million Unterschriften für Gerechtigkeit“ mit dem Ziel, sich gegen frauendiskriminierende Gesetze zu wehren (EMMA 2/09).

2009 schließlich wählten sie Mussavi und gaben damit auch seiner Frau Zahra Rahnaward ihre Stimme. Die Mutter von drei Töchtern ist die ehemalige Dekanin der Frauenuniversität Al Sahra in Teheran und eine selbstbewusste Politologin und Bildhauerin. Sie begleitete ihren Mann zu ­Massenkundgebungen und hielt mit ihm öffentlich Händchen – im Iran ein Tabubruch. Vor laufenden Kameras zog Zahra Rahnaward gegen den Schleier zu Felde: Es sei „grob und abscheulich“, wenn Frauen von Sittenwächtern zur Verschleierung ­gezwungen würden. Ihr ist zu verdanken, dass auch Frauen zur Wahl gingen.

Die junge Generation verbindet ein kollektiver Zorn auf das Regime und die Bereitschaft, sich Gummiknüppeln und Tränengas entgegen zu stellen. Die Schwester von Behjat Moaali berichtet, dass Demonstranten während einer Kundgebung im November von Revolutionswächtern in einen Hinterhalt gelockt wurden. Die Milizen trieben sie in eine Sackgasse, riegelten die Straße ab und prügelten auf sie ein. Die Schwester kam mit blauen Flecken nach Hause. Sie hatte Schmerzen, trotzdem sagte sie: „Ich würde mich schämen unter so vielen Verletzten und Toten, für eine geschwollene Hand zum Arzt zu gehen. Ich bin froh, wenn ich etwas dazu beitragen kann, dass im Iran endlich etwas passiert!“.

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Die Hilferufe werden lauter (2/09)
Die Betrogenen (5/79)
Alice Schwarzer (Hrsg.): „Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz“ (Kiwi).

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