Ich lasse mich nicht einschüchtern

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Ingrid Betancourt hat ihr luxuriöses Leben in Frankreich aufgegeben, um in Bogota an der Seite ihres Volkes zu sein.

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Der Wahlkampf geht weiter! Sie können schließlich mit Ingrid nicht gleich die ganze Demokratie entführen. Die AnhängerInnen von Ingrid Betancourt, die als erste Frau Präsidentin von Kolumbien werden will, geben nicht auf. Am 1. April, 36 Tage nach der Entführung, haben sie die Chefin des grünen Wahlbündnisses "Colombia nueva" in Bogotà offiziell als Präsi­dentschaftskandidatin registrieren lassen. Seit dem 23. Februar ist die Spitzenkandidatin, zusammen mit ihrer Wahlkampfleiterin Clara Rojas, in Geiselhaft, entführt von linksgerichteten FARC-Rebellen.
Von der Reise nach San Vicente del Caguán, das von den Rebellen kontrolliert wird, hatten alle abgeraten, Freunde wie Politiker. Gerade drei Tage zuvor hatte die Regierung Luftangriffe in dem Gebiet der Guerilla gestartet, bei denen drei Zivilisten starben.
Damit war der Bürgerkrieg neu entflammt. Trotzdem - oder vielleicht jetzt erst recht - fuhr die zierliche 40-jährige Betancourt ohne Bodyguards im Geländewagen los. Prompt hielt eine FARC-Patrouille sie an. Als die Männer die Kandidatin erkannten, nahmen sie sie fest: als Geisel, um Gefangene aus den eigenen Reihen freizupressen. Ausgerechnet die liberale Politikerin, die sich bis kurz vor ihrer Entführung öffentlich immer für einen politischen Dialog mit der FARC eingesetzt hatte.
"Das kolumbianische Establishment - und damit meine ich alle Kräfte, die zu irgendeinem Zeitpunkt Zugang zu sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Macht gehabt haben - hat versucht, die Guerilla über den Tisch zu ziehen. Ehrliche Friedensabsichten waren nie dahinter", hatte Ingrid Betancourt noch kurz zuvor öffentlich erklärt. Nun zogen die Rebellen sie über den Tisch.
Dabei hat Kolumbien Frieden bitter nötig. 30.000 Menschen sterben pro Jahr im Bürgerkrieg, der das Land seit 50 Jahren schüttelt, jedeR zweite Zivilist. Und alle machen mit. Rebellen, Paramilitärs, Todesschwadronen, verdeckt im Auftrag der Regierung und Auftragsmörder der Mafia.
Die Motive: Drogen, Geld und Macht - und kein Ausweg in Sicht. Seit Jahren kontrollieren die Chefs der Kartelle von Medellin und Cali auch das Parlament. Auf unbequeme Personen setzen sie "Sicarios" an, junge Männer aus Armenvierteln, die für wenig Geld morden. 1996 kam ein gut gekleideter fremder Mann in Betancourts Abgeordnetenbüro: "Ich bin hier, um Sie zu warnen, Sie sollten wissen, dass Sie in Gefahr sind, dass Ihre Familie in Gefahr ist... um genau zu sein, will ich Ihnen sagen: Wir haben die Sicarios bereits bezahlt."
Sie ist zwar nicht die Einzige, die in Kolumbien bedroht wird, doch das Besondere an Ingrid Betancourt ist, dass sie sich nicht einschüchtern lässt. Um in Kolumbien Politikerin zu werden, hat sie freiwillig ein sehr privilegiertes Leben aufgegeben. Ihre ersten Lebensjahre verbrachte die Tochter des ehemaligen UNESCO-Botschafters und einer Schönheitskönigin wohl behütet in Paris. Als die reiche, im ganzen Land bekannte Familie später nach Kolumbien zurückkehrte, besuchte Ingrid das französische Gymnasium. Während des Politikstudiums in Paris heiratete sie einen französischen Diplomaten. Die beiden bekamen zwei Kinder, die Familie lebte mal in Los Angeles, mal auf den Seychellen. Ein Traumleben, oder?
Aber der Alptraum Kolumbien ließ Ingrid nicht los. Ganz wie die Mutter, die ihren Mann verlassen hatte, um Politikerin in ihrer Heimat zu werden. Nach dem tödlichen Attentat auf den gegen die Korruption kämpfenden Abgeordneten Luis Carlos Galan, für den ihre Mutter gearbeitet hatte, stand für die Tochter der Beschluss fest: Wie einst die Mutter verließ sie ihre Familie und flog nach Bogotá.
"Ich weiß genau, welches Leid mich dort erwartet: die Trennung von meinen Kindern, der Schmerz. (...) Doch ich weiß auch, dass dies der Preis ist, den ich zahlen muss, um endlich wieder unter den Meinen einen Platz zu haben." Das schreibt Betancourt in dem Buch über ihr Leben, "Die Wut in meinem Herzen".
In ihren Wahlkämpfen hat die Zurückgekehrte das konservative, katholische Kolumbien stets bewusst provoziert. 1994 verteilte sie auf der Straße Kondome an Autofahrer. "Hier, ich schenke Ihnen ein Präservativ. Denn in meinen Augen ist die Korruption in der Politik mit Aids gleichzusetzen."
Manche Kritiker werfen Betancourt Effekthascherei vor, andere sagen, sie sei bloß ein verwöhntes Mädchen aus Frankreich, das soziale Revolution spielt. Doch Ingrid Betancourt lässt sich nicht einschüchtern: Dem mächtigen Chef des Cali-Drogen-Kartells hat sie einmal ins Gesicht gesagt, er würde nichts weiter tun, als das Ansehen Kolumbiens im Ausland zu ruinieren und das gesamte Volk in den Terror stürzen. Den damaligen Präsidenten nannte sie im Parlament einen Lügner und Verbrecher.
Ingrid Betancourt hat auch als Frau Bewusstsein: "Die Männer an der Macht respektieren gar nichts. Sie interessieren sich nicht für meine Ideen. Stattdessen versuchen sie mich in persönlichen Bereichen anzugreifen. Da muss ich mir als Frau vorhalten lassen, dass ich meine Kinder allein und mich scheiden lasse." Die Wahlchancen von Senatorin Betancourt für den 26. Mai lagen vor der Entführung bei nur 1 %. Und jetzt?

Ingrid Betancourt: "Die Wut in meinem Herzen" (List Verlag)

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