Alice Schwarzer schreibt

Interview mit Leutheusser-Schnarrenberg

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Ursula Ott und Alice Schwarzer besuchten die Ministerin in ihrem Büro: mitten im Ödland zwischen Bonn und Bad Godesberg im elften Stock eines offensiv unwirtlichen Hochhauses. Breites Grinsen schon bei den Portiers am Empfang und aufmunternde Töne von Mitarbeiterinnen im Aufzug („Machen Sie 'ne Talkshow mit der Ministerin?"). Und am Ende eine herzliche und sehr unbefangene Ministerin, die so aussieht, als sei sie trotz Bonn und Terminkalender noch intakt an Leib und Seele.

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Frau Ministerin, es ist elf Uhr vormittags, und das ist nicht Ihr erster Termin heute...
Nein, das fing heute morgen wie meist um viertel nach sechs an, dann geht mein Wecker.

Wo geht der Wecker?
In meinem Ein-Zimmer-Appartement in der Bonner Innenstadt. Ich mach mir dann einen Kaffee und werfe nochmal einen Blick in die wichtigsten Akten. Heute bin ich um halb acht abgeholt worden, zur Sicherheitsratssitzung im Bundeskanzleramt. Die dauerte bis zwanzig vor elf. Von da aus bin ich direkt hierher. Um halb eins fliege ich per Hubschrauber nach Baden-Württemberg zu einer großen Veranstaltung über Gewalt gegen Frauen und Kinder. Da soll ich reden.

Haben Sie einen Fahrer? Oder eine Fahrerin, so wie neuerdings immer mehr Politikerinnen?
Ich habe männliche Fahrer. Mit denen fahr ich heute Abend noch ins Bayerische, da habe ich um 19 Uhr einen Termin in Starnberg. Um Mitternacht werde ich dann wohl in meinem eigenen Bett liegen. Morgen früh geht es um kurz nach sieben wieder los nach Cottbus, da kümmere ich mich um Vermögensfragen... Am Mittag fliege ich zurück nach Bayern, wo ich ab vier Uhr Termine habe. Ob es noch einen Abendtermin gibt? Das weiß ich noch nicht. Am nächsten Morgen fahre ich dann frischgestählt nach Nürnberg...

Am Samstagmorgen? Wir hofften, nun gehen Sie mal mit Ihrem Mann spazieren.
Nein. Ich muß mich am Samstag der bayerischen FDP widmen. Da stehen ein paar wichtige rechtspolitische Fragen an. Aber am Sonntag habe ich frei. Da quillt dann zwar das Fax-Gerät vor sich hin, aber das stört mich nicht.

Wäre das alles auch mit einem oder mehreren Kindern zu machen?
Unmöglich! Einfach gar nicht vereinbar und nicht zu verantworten. Da darf man gar nicht drumrum reden. Selbst dann nicht, wenn ich jedes Wochenende frei hätte, was undenkbar ist.

Sie sind im Mai vergangenen Jahres sehr überraschend Ministerin geworden. Ihr Kopf sitzt sozusagen da, wo der von Ihrer Kollegin Schwaetzer gerollt ist. Wir wollen damit sagen: Unabhängig von Ihren bereits bewiesenen Qualitäten sind Sie eine Alibifrau: Schwaetzer wurde runtergeholt, also mußte eine andere hochgelobt werden.
Ich habe das nicht so empfunden.

Haben Sie denn am Tag vor Ihrer Wahl überhaupt geahnt, daß Sie Ministerin werden würden?
Nein. Wenn mir das jemand gesagt hätte, den hätte ich für verrückt erklärt.

War es also in dem Fall ein Vorteil, daß Sie eine Frau sind?
Vielleicht hat es mit eine Rolle gespielt. Ich bin die einzige Frau unter den Rechtspolitikern in der FDP-Fraktion.

Die FDP-Frauen haben im November letzten Jahres auf dem Deutschland-Treffen der Liberalen Frauen in Dresden überraschend erstmals öffentlich Frauenquoten auch für ihre Partei gefordert.
Ich halte nichts von Quoten - und das nicht nur, weil ich die Chance hatte, Ministerin zu werden. Ich glaube, daß Frauen ohne Quoten langfristig bessere Chancen haben. Auch von ihrem Standing her.

Ist eine Alibifrau die eine im exklusiven Herrenclub, und sind die Quotenfrauen mehrere? Kann die Alibifrau also auf die Quoten verzichten?
Ich glaube, eine einzelne Frau kann auf gar keinen Fall auf andere Frauen verzichten. Auch nach meiner Wahl im Mai habe ich mich gleich mit Frau Schwaetzer kurzgeschlossen und ihr gesagt: Jetzt sind wir zu zweit, und es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir beide nicht mehr erreichen, als eine alleine.

Sie sind am Anfang mit Hohn oder herablassendem Wohlwollen begrüßt worden, Stil: blasse Verlegenheitskandidatin. Kann eine Politikerin, die sich erstmal als „ganzer Kerl" beweisen muß, sich überhaupt Frauensolidarität erlauben?

Ich stehe eigentlich nicht in dem Verdacht zu kungeln, auch nicht mit Frauen. Ich habe hier im Ministerium sehr interessante Gespräche mit der Frauenbeauftragten geführt, gerade auch zum geplanten Gleichberechtigungsgesetz. Aber es stimmt, die Reaktionen der Presse hätten bei einem Mann anders ausgesehen. Einen Mann fragt keiner: Was macht deine Frau? Was macht die beruflich? Hat die einen Hamster? Aber wenn es eine Frau ist... Erst hat's mich geärgert, aber dann hab ich mir 'ne Hornhaut zugelegt.

Und im Kohl-Kabinett?
Ich bin offen aufgenommen worden. Aber ich bin ja auch ein Typ, der auf die Menschen zugeht.

Sie waren 20 Jahre alt, als die Frauenbewegung zum ersten Mal auf die Straße ging. Haben Sie das eigentlich mitbekommen?
Und ob! Ich habe mich als Studentin damals in Bielefeld engagiert. Ich bin gegen den § 218 auf die Straße gegangen und habe Unterschriften gesammelt.

Das hören wir natürlichgerne... Hoffentlich vergessen Sie das nicht.
Sie wissen ja, wie ich mich beim 218 im Bundestag entschieden habe. Ich habe da aus meiner Auffassung keinen Hehl gemacht.

Anfang der 70er ging es nicht nur um den 218.
Für mich war das Gefühl wichtig: Wenn wir Frauen da zusammenhalten, dann müssen wir doch auch irgendwas bewegen können. Gerade als Juristin ist man ja doch oft in Gefahr, die Dinge zu formal zu sehen und die Inhalte zu vergessen.

Sie kommen aus einer regelrechten Juristen-Familie. Sie sind in der vierten Generation Juristin. Vielleicht wissen Sie aber auch, daß es sehr differenzierte Untersuchungen über das unterschiedliche - unterschiedlich gewachsene - Rechtsverständnis von Männern und Frauen gibt. Sehr verkürzt gesagt betrachten die (meisten) Männer Recht als Mittel zur Reglementierung und Durchsetzung von Macht, die (meisten) Frauen aber setzen Recht gleich mit Gerechtigkeit. Wie ist Ihr Rechtsverständnis, Frau Justizministerin?
Recht setzt einen Ordnungsrahmen für das Leben. Gleichzeitig bin ich als Liberale für so viele Freiheiten und so wenige Regelungen wie möglich. Aber es stimmt, der Glaube an die Notwendigkeit, alles regeln zu müssen, ist bei Männern vielleicht eher ausgeprägt. Gleichzeitig ist klar, daß man mit Gesetzen nicht alles regeln kann.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, seit Sie Ministerin sind, wissen wir das hoffentlich bald in Kraft tretende neue Namensgesetz - das den Frauen gestattet, ihren Namen zu behalten, ohne den des Mannes anzunehmen - doppelt zu schätzen. Wie heißen Sie künftig: Leutheusser oder Schnarrenberger?
Ich werde auch nach dem neuen Recht Leutheusser-Schnarrenberger heißen.

Sie scheinen gewisse sadistische Tendenzen zu haben... Wann dürfen wir mit dem neuen Gesetz rechnen? Und in welcher Form?
Ich hoffe, daß das neue Namensrecht bald verabschiedet wird. Es gibt, glaube ich, bei einigen im Rechtsausschuß noch Bedenken, daß überhaupt Doppelnamen getragen werden. Aber ich denke, dabei bleibt es: ein Name, zwei Namen oder ein Doppelname. Das einzige, was noch wirklich strittig ist, ist der Name des Kindes, falls die Eltern sich nicht einig sind. Dann soll der zukünftig nach Los, nach Alphabet oder durch das Vormundschaftsgericht entschieden werden - irgendeine Lösung werden wir schon finden.

Eine ganz zentrale Sache, gerade in bezug auf Frauen, ist das Sexualstrafrecht. Ein bißchen ist da jetzt mit dem geplanten Gesetz gegen Kinderpornographie in Bewegung gekommen. Ihr Vorgänger Kinkel hatte Ihnen da ja einen recht dürftigen Entwurf hinterlassen...
Als ich hier ins Amt gekommen bin, habe ich mich gleich gefragt: Wie geht das jetzt weiter mit dem Gesetzentwurf gegen Kinderpornographie? Und dann habe ich gemerkt, daß der ewig nicht auf die Tagesordnung kam. Ich hab' Druck gemacht, jetzt ist er in den Ausschüssen.

Wie  soll  Ihrer Auffassung nach denn der Besitz von Kinderpornos bestraft werden? Bisher ist von einem Jahr Höchststrafe die Rede, wie beim Schwarzfahren...
Die Relation zum realen Mißbrauch von Kindern muß gewahrt bleiben. Deshalb werden wir uns über die darüber hinausgehenden Forderungen unterhalten müssen.

Und die Verjährungsfristen?
In allen Gesprächen war das immer einer der Hauptproblempunkte. Meiner Auffassung nach sollte die Verjährungsfrist mit dem 14. Lebensjahr des Opfers beginnen und dann über zehn Jahre gehen.

Es gibt Stimmen, auch bei der SPD, die für einen Beginn bei dem 18. Lebensjahr des Opfers und für eine Frist von 20 Jahren plädieren.
Es gibt bei einem so langen Zeitraum doch starke Beweisschwierigkeiten, wie sich aus Gesprächen mit Fachleuten ergeben hat. Darum möchte ich den Lauf der Verjährung erst mit dem 14. Lebensjahr des Kindes beginnen lassen.

Dürfen wir denn hoffen, daß das Gesetz gegen Kinderpornographie noch vor den nächsten Wahlen verabschiedet wird?
Davon gehe ich aus. Ich hoffe, daß das Gesetz noch vor der Sommerpause verabschiedet wird.

Sie scheinen eine Frau der Tat zu sein. Nun ist aber das Gesetz gegen Kinderpornographie nur ein Teil des Problems. Kind ist man bis 14. Soll in Zukunft also mit einer 14-Jährigen strafbar sein, was mit einer 15-Jährigen straffrei ist? Brauchen wir nicht dringend auch ein Frauenporno-gesetz? Also ein Gesetz zum Schutz sowohl von Porno-Arbeiterinnen vor den Produzenten, als auch von Frauen überhaupt vor den Konsumenten? So wie den 1988 von Juristinnen für Emma im Zuge der PorNO-Kampagne erarbeiteten Gesetzesvorschlag?
Also, ich habe ja jetzt die neue einheitliche Jugendschutzvorschrift durchs Kabinett gebracht, die auch den § 175 - die homosexuelle Verführung männlicher Jugendlicher - überflüssig macht.

Das ist begrüßenswert, aber wir leben ja in Verhältnissen, in denen Menschen nicht nur aufgrund ihrer Jugend zu schützen sind. Auch Rasse oder Geschlecht können ein Grund für Diskriminierung und Angriffe sein. Da gibt es im Strafgesetzbuch zum Beispiel den § 130 gegen Volksverhetzung, in dem es heißt: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er 1. zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, 2. zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 3. sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft." Und der § 131 gegen die „Aufstachelung zum Rassenhaß" verschärft noch diesen Gedanken. Da heißt es: „Wer Schriften, die zum Rassenhaß aufstacheln oder die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeit ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, verbreitet (...), ausstellt (...), herstellt wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft." Trifft der § 130 gegen Volksverhetzung nicht exakt auch den Tatbestand der Pornographie, die ja eine Art Volksverhetzung gegen Frauen ist? Und wäre der Frauenhaß nicht analog zum Rassenhaß zu ahnden und entsprechend mit ins Strafgesetz aufzunehmen?
Daran ist bisher nicht gedacht worden. Aber ich glaube schon, daß wir nicht so tun können, als müßten wir auch in Zukunft nicht darüber nachdenken. Das Verständnis von Gewalt hat sich ja im Laufe der Jahre gewandelt. Wenn ich da an Sextourismus denke, Frauenhandel, Kinderhandel - das würde in diese Gesamtüberlegungen passen. Ich möchte das allerdings nicht speziell an den von Ihnen zitierten Paragraphen festmachen. Gerade im Sexualstrafrecht muß der Gewaltbegriff aber neu überdacht werden.

Wir haben jetzt in den USA gesehen, daß der Sexismus Wahlen entscheiden kann. Die Wahlanalysen sagen uns, daß Clinton stärker von Frauen gewählt worden ist, und daß die Affäre Hill - die Juristin, die sich gegen sexuelle Belästigungen durch ihren Vorgesetzten zur Wehr gesetzt hat - dabei entscheidend war. In Deutschland gibt es die „sexuelle Belästigung" bisher noch nicht einmal als juristischen Begriff.
Also, da machen wir ja jetzt einen Anfang mit dem Gleichberechtigungsgesetz.

Nur ist dieses Gesetz bisher nichts als eine gute Absicht, und geht es darin auch nur um die Verhältnisse im öffentlichen Dienst und nicht in der Privatwirtschaft.
Manchmal kann der öffentliche Dienst auch eine Vorreiterrolle spielen. Das geht ja möglicherweise bis zum Leistungsverweige-rungsrecht der Frau. Wir wissen ja, wie schwierig das alles mit diesem Gesetzesentwurf war - und das wird jetzt erst so richtig losgehen.

Internationale Untersuchungen zeigen übrigens, daß die Effektivität der Arbeit von Frauen unter den sexuellen Belästigungen leidet. Darum haben inzwischen auch Arbeitgeber ein Interesse daran, die sexuelle Belästigung in Grenzen zu halten. Dürfen wir hoffen, daß das Ihre Partei motivieren könnte?
Der arbeitsrechtliche Ansatz ist richtig. Die Tarifpartner sollten entsprechende Vereinbarungen schließen und Sanktionen festlegen. Das ist effektiver als der Ruf nach dem Strafgesetzgeber.

Sollte die 218-Reform scheitern oder noch stärker beschnitten werden - was hieße das für die Justizministerin?
Wenn das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber vor die Notwendigkeit stellen sollte, völlig neu zu beraten, würde das kein leichtes Unterfangen sein. Ich sehe dann eine schwere Zeit auf uns zukommen - auch für die, die jetzt gegen die Reform gestimmt haben.

Wie stehen Sie zu der RU 486, der sogenannten Abtreibungspille?
Der Hersteller sollte jetzt endlich den Antrag auf gesundheitsrechtliche Zulassung stellen und sich nicht ständig den Kopf der Politiker zerbrechen! Mit der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruches hat das nichts zu tun. Entschei- dend ist für mich, ob die RU 486 für die betroffenen Frauen ein schonende-res Mittel sein kann.

Stichwort Vergewaltigungslager in Ex-Jugoslawien oder gesteinigte Frauen in fundamentalistischen Ländern. Sind Sie dafür, daß der „Asylgrund Geschlecht" - also die Aufnahme von weiblichen Flüchtlingen, die wegen ihres Geschlechts verfolgt werden - in das neue Asylrecht aufgenommen wird?
Die Formulierung „politisch Verfolgte genießen Asylrecht" in dem neu gefaßten Artikel 16a Absatz l, über den jetzt im Parlament beraten wird, ist unverändert gegenüber dem geltenden Artikel 16 des Grundgesetzes. Ich bin der Auffassung, daß sich diese Formulierung bewährt hat.

Das muß ja auch nicht geändert werden. Nur die ausführenden Gesetze sollten klar machen, daß die Verfolgung qua Geschlecht auch eine politische ist.
Die Asylrechtsprechung hat sich nie auf den scheinbar engen Begriff „politisch" beschränkt, sondern den weiten Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention zugrundegelegt. Von daher kann ich mir vorstellen, daß auch Frauen, die wegen ihres Geschlechts individuell verfolgt werden, einen Anspruch auf Asyl haben können.

Seit wann interessieren Sie sich für die FDP und warum? Weil man als Frau da schneller Karriere macht?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (lacht): Daran hab' ich überhaupt nicht gedacht! Ich wollte immer unabhängig sein. Ich wollte auf jeden Fall einen Beruf, dann hat man auch innerhalb einer Partei die notwendige innere Unabhängigkeit. Letztendlich war es der Prof. Maiho-fer, der den Anstoß dafür gegeben hat, daß ich in die Politik gegangen bin.

Nun sind Sie nicht nur Liberale, sondern auch Frau. Wie stehen Sie zu dem Begehren, die Rechte von Frauen stärker in die Verfassung einzubringen?
Ich unterstütze die Ergänzung des Artikels 3, Absatz 2 im Grundgesetz. Der Staat hat Rarimen-bedingungen zu schaffen, um die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen durchzusetzen. Und dafür gibt es auch Chancen.

Und wie ist es mit der Erweiterung des Familien-Begriffes? Also daß nicht mehr nur die traditionellen Familien, sondern auch die neuen Familien - Alleinerziehende mit Kindern, Partnerschaften etc. - als „Familien" gelten?
Da sehe ich eher schwarz.

CDU-schwarz?
Nein. Mein Bestreben ist es eher, nicht noch mehr zu reglementieren und den Staat aus dem Privatleben mehr rauszuhalten.

Aber es geht ja bei diesen Überlegungen nicht um mehr Staat, sondern um weniger Privilegien für die Hausfrauenehe - Stichwort Steuer-Splitting - und mehr Rechte für die neuen Familienformen.
Es gibt in dem Bereich Ungleichbehandlungen, die ich oft nicht nachvollziehen kann, aber ich glaube nicht, daß man zwingend eine Verfassungsänderung braucht, wenn man das verbessern möchte. Das geht auch durch einfache Gesetzgebung.

Und das Recht auf die homosexuelle Ehe?
Ehm... also, da bin ich fast eher ein bißchen konservativ.

Möchten Sie den homosexuellen Paaren denn wenigstens zugestehen, daß sie sich - ganz wie unverheiratete, heterosexuelle Paare - als „Partnerschaft" registrieren lassen können?
Da habe ich, muß ich Ihnen ehrlich sagen, meine Vorbehalte. Abschaffung von Benachteiligung: ja. Aber keine zusätzliche Verrechtlichung. Weder für hetero- noch für homosexuelle Paare.

Sie beschäftigen sich zur Zeit stark mit dem Kinderrecht.
Mit der Kindschaftsreform, denn das ist ein Riesenpaket, das dauert. Deswegen ziehe ich da jetzt ein paar Punkte vor. Die Gleich-Stellung der nicht in einer Ehe geborenen Kinder; das Unterhaltsrecht, Erbrecht, Umgangsrecht.

Bedeutet das auch die Stärkung der Stellung der nicht-ehelichen Väter?
Nicht nur. Ich möchte auch die bisher automatische gesetzliche Amtspflegeschaft abschaffen. Wenn die Mutter Hilfe braucht, kann sie sie haben, aber sie soll nicht automatisch einen Amtsvormund für ihr Kind bekommen.

Und das Recht der Kinder? Zum Beispiel auf körperliche Unversehrtheit?
Den eben genannten Gesetzentwurf will ich auch um eine Vorschrift ergänzen, die körperliche und seelische Mißhandlungen von Kindern verbietet. Das ist mir sehr wichtig. Außerdem muß in der Ausbildung von Juristen noch viel geschehen. lch habe zum Beispiel angeregt, daß die Richterakademie spezielle Schulungen veranstaltet, damit Richter und Staatsanwälte die Signale der Kinder besser verstehen lernen.

Und rechtlich? In den USA hat sich gerade ein Kind von seinen Eltern „scheiden" lassen.
Auch in Österreich gab es einen derartigen spektakulären Fall. Und auch in unserer Rechtsordnung wäre das im Ergebnis möglich. So hat ein Kind zum Beispiel im vormundschaftsgerichtlichen Verfahren ein eigenes Antragsrecht auf Ersetzung der Einwilligung eines Elternteils in die Adoption. Das entspricht in etwa dem von Ihnen erwähnten Fall in Florida.

Die Nation weiß, daß Ihr Hund „Dr. Martin Luther" heißt. Aber es ist weniger bekannt, daß Sie auch eine sehr engagierte Tierschützerin sind.
Ich bin da auch schon aktiv geworden: In der Öffentlichkeit habe ich mich kritisch zu Tiertransporten, Tierversuchen und dem rituellen „Schächten" von Tieren geäußert. Der Landwirtschaftsminister hat mich daraufhin darauf aufmerksam gemacht, dies alles falle in sein Ressort. Ich habe auch deutlich gemacht, daß der Tierschutz auch in unserer Verfassung zum Ausdruck kommen sollte. Eine entsprechende Empfehlung sieht auch der Tierschutzbericht vor, den wir gestern im Kabinett beschlossen haben. Das ist für mich ein ganz wesentliches Anliegen. Und ich lasse mich auch nicht einschüchtern durch Sprüche wie: Tu mal erst was für Kinder statt für Tiere.

Eine letzte Frage, Frau Ministerin. Wir haben den Medien entnommen, daß Ihr Mann früher ein Soft-Porno-Magazin gemacht hat. Wir möchten nicht in offenen Wunden rühren, aber was macht Ihr Mann heute?
Ein Porno-Magazin war das nicht. Das Blatt hieß „High Society" und war so etwas Ähnliches wie der Playboy. Heute ist mein Mann freiberuflich in der PR-Beratung tätig.

Und hat er mit Bereichen zu tun, über die Sie sich kritische Gedanken machen müßten?
Dazu sehe ich keinen Anlaß.

Die allerletzte Frage zur Hausarbeit: Haben Sie einen Ausnahmemann?
Bei uns wird gerecht geteilt. Und: Mein Mann kocht hervorragend!

Das freut uns.

Das Gespräch führten Alice Schwarzer und Ursula Ott.

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