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Jafar Panahi: Palme in Cannes

Der iranische Regisseur Jafar Panahi gewann die Goldene Palme in Cannes. Foto: Jacovides Moreau/Bestimage/IMAGO
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Er sei kein Held, sagte der iranische Regisseur Jafar Panahi unlängst beim Filmfestival in Cannes. „Iranischen Frauen ist es verboten, ohne Kopftuch das Haus zu verlassen, und sie tun es trotzdem“, so Panahi. Im Vergleich dazu verhalte er sich nicht mutiger als alle anderen. Natürlich spricht hier die Bescheidenheit aus dem Filme­macher, denn was für die Weigerung der Verschleierung der Iranerinnen gilt, lässt sich auch auf Panahis Kunst anwenden: Sie ist ein politisches Statement gegen das Regime, das brutale Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Für Panahi hieß das, dass man ihn vor fünfzehn Jahren erstmals wegen „Propaganda gegen das Regime“ verhaftet hatte. Die Regierung verhängte Berufsverbote, setzte ihn unter Hausarrest. Sogar mit einem längeren Gefängnisaufenthalt versuchte man ihn zu brechen. Vor zwei Jahren wurde er aus der Haft entlassen, nachdem er in einen Hungerstreik getreten war. 

Vom Filmen ließ Panahi sich trotzdem nie abbringen. Seine Werke entstanden im Geheimen. Mal gab er Regieanweisungen von einem Versteck aus, weil man ihn draußen nicht sehen durfte, mal drehte er nur in seiner Wohnung oder innerhalb eines Autos. Immer blickten seine Filme auf die Menschen in Iran und wie sie mit den Repressionen umgingen, nie waren diese Geschichten einseitig oder selbst­gerecht erzählt. Auf internationalen Filmfestivals konnte man sie sehen, weil sie außer Landes geschmuggelt wurden – der Legende nach sogar einmal auf einem USB-Stick, den man in einem Geburtstagskuchen versteckt hatte. 

Immer blicken seine Filme auf die Menschen im Iran und ihre Einschränkungen

Diese Werke beeindruckten nicht nur wegen des politischen Muts, sondern auch wegen der künstlerischen Vision, die unter diesen Einschränkungen nur noch klarer hervortrat. Sein Film „Der Kreis“, in dem er die Schicksale mehrerer Iranerinnen lose verknüpft – eine Großmutter verschweigt das weibliche Geschlecht eines Babys, eine Frau darf nicht ohne Begleitung des Ehemanns die Stadt verlassen, eine Schwangere sucht einen Weg zur Abtreibung – gewann 2000 den Goldenen Löwen in Venedig. „Taxi Teheran“, für den sich Panahi selbst hinters Steuer eines Taxis setzte und mit halb versteckter Kamera drehte, erhielt 2015 den Goldenen Bären der Berlinale. Nun ist er für seinen neuesten Film „It Was Just an Accident“ bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet worden (nur die Regisseure Robert Altman, Michelangelo Antonioni und Henri-Georges Clouzot konnten bisher diese drei großen Filmpreise in ihr Regal stellen).

Erstmals seit 15 Jahren hatte nun das iranische Regime Panahi die Ausreise erlaubt. In Cannes berichtete er vor Journalisten von seinen Haft­bedingungen im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran: „Meine Zelle war keine vier Quadratmeter groß. Auf die Toilette gehen ließ man mich nur zwei Mal pro Tag und für den Weg dorthin wurden mir die Augen verbunden.“ Er sei permanent verhört worden, manchmal bis zu acht Stunden täglich. 

Auf diesen Erfahrungen beruht der neue Film: „It Was Just an Accident“ folgt einem Automecha­niker, der seinen ehemaligen Folterer aus dem Gefängnis wiederzuerkennen glaubt und den Mann kurzerhand entführt. Da er während seiner Verhöre jedoch die Augen verbunden hatte, sich also über die Identität des Peinigers nicht hundertprozentig sicher ist, bringt er den Gekidnappten zu anderen ehemaligen Häftlingen. 

Wie schon in seinen früheren Filmen zeigt sich hier der feine, melancholische Humor des Regisseurs, der selbst in düstersten Situationen ein Lächeln finden kann, wenn auch nur kurz. Panahi entspinnt einen Roadtrip, bei dem ein Brautpaar, eine Fotografin und deren aufbrausender Ex-Freund im Fond eines Lieferwagens durch die Stadt brausen und über die richtige Vorgehensweise in dieser vertrackten Situation diskutieren. Könnte man ihm ein Geständnis entlocken, notfalls mit Mitteln, die die eigenen Folterer nutzten? Soll man vergeben oder Rache üben? Wird man dadurch vom Opfer zum Täter? Panahis Antworten darauf sind differenziert, aber dennoch klar und entschieden.   

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