Johanna Dohnal: Kreiskys Jeanne d'Arc

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Selbst Bruno Kreisky, Österreichs Improvisationskanzler, hat wohl die Wirkung nicht voraussehen und einschätzen können, als er sich im Oktober 1979 ein Staatssekretariat für allgemeine Frauenfragen einfallen ließ und dieses mit Johanna Dohnal besetzte.

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Was Kreisky mit dieser Berufung auslöste, war das reinste Lehrstück in angewandter Diskriminierungskunde: dass – und in welchem Ausmaß – Frauen diskriminiert werden, ließ sich an der öffentlichen Reaktion auf Dohnals Ernennung studieren. Schon aus der Verbissenheit, mit der ein Großteil der Medien die Notwendigkeit eines Frauen-Staatssekretariats überhaupt leugnete, konnte man eben diese Notwendigkeit erkennen.

Oft tritt die Frauenfeindlichkeit auch in der Maske des Sacharguments auf. Einerseits werden die angeblich hohen Kosten eines angeblich unnützen Frauen-Sekretariats den steuerzahlenden Zeitungslesern ständig als einsparbar unter die Nase gerieben; andererseits wird, besonders von den reaktionären Zeitungskolumnisten, nur dann punktuell über Dohnal-Aktivitäten berichtet, wenn man sie lächerlich machen kann ("Dohnal will die Bundeshymne umtexten" – "Dohnal will den Wiener Philharmonikern Frauen aufzwingen" – "Dohnal will auf ihrem Briefkopf 'Staatssekretärin' stehen haben").

Zwar fand es die Neue Zürcher Zeitung neulich "schwer vorstellbar, dass ein künftiger Regierungschef das Frauen-Staatssekretariat wieder streichen könnte", dennoch ist manchen Österreichern dessen Notwendigkeit noch nicht recht klar geworden. Johanna Dohnal steht im ständigen All-Fronten-Kampf, um sich und ihre Arbeit erstens zu legitimieren und zweitens verständlich zu machen.

Natürlich ist das permanente und gezielte  "Kannitverstan" der Männeröffentlichkeit eine Behinderung für Johanna Dohnal. Die hochgewachsene 43-Jährige mit dem glatt gefönten Bubikopf und im sportlich-saloppen Seidenblusen-und-Spenzer-Look, ("kampfstarker Politdragoner") hat eine geradezu klassische sozialistische Karriere gemacht. Sie war das exemplarische benachteiligte Unterschicht-Mädl, das die Handicaps seiner Herkunft als uneheliches Kind einer Hilfsarbeiterin aus Wien-Penzing aus eigener Kraft überwunden hat ("geräuschvoller  proletarischer Aktionismus") und sich vom Industriekaufmannslehrling über die Straßenbahners-Gattin, Mutter und "Nur"-Hausfrau zur Teilzeit-Beschäftigten, Parteifunktionärin, Gemeinderätin und schließlich zum Regierungsmitglied hochrappelte.

Ihr Frauenbewusstsein hat sich spät, aber dafür umso sprunghafter entwickelt. Dohnal war in ihrer Partei eine der Vorkämpferinnen der Fristenlösung, der Straffreigabe des Schwangerschaftsabbruchs (1975). Sie hat, noch als Wiener Gemeinderätin, die Frauenhaus-Initiative der Feministinnen aufgegriffen und 1978 in Wien die erste "Zufluchtsstätte für misshandelte Frauen und ihre Kinder" eröffnet (inzwischen gibt es Frauenhäuser auch in Linz, Graz, Salzburg und Innsbruck). Sie ist mit "Selbstbewusstseins-Seminaren" für (Haus)Frauen in diversen Volkshochschulen seit 1976 einem bislang unerkannten, aber offensichtlich brennenden Bedürfnis vieler Frauen entgegengekommen - Frauen, die nicht nur der Bundeskanzler und SPÖ-Chef Kreisky als Wählerinnen-Potential erkannte.

Auch bei Johanna Dohnal hat das Sein das Bewusstsein bestimmt. Als Petit-point-Stickende und Hausaufgaben überwachende Mutter in einer 48-Quadratmeter-Gemeindewohnung in Penzing empfand sie nur "diffuses Unbehagen". Als Beauvoir-lesende und mit Feministinnen befreundete Gemeinderätin konnte sie ihr Unbehagen schließlich artikulieren und festmachen: 1976 - die Kinder waren 17 und 15 - ließ sie sich scheiden und zog mit Sohn und Tochter und den Katern Felix und Bruno in eine geräumige, city-nahe Altbauwohnung. Seit sie Staatssekretärin ist, sieht sie ihre Wohnung fast nur zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh.

Johanna Dohnal kann zu recht von sich sagen, dass sie in ihrem Leben alle Frauenrollen einmal durchprobiert hat. Sie weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, Nur-Hausfrau und von einem alleinverdienenden Ehemann ökonomisch abhängig zu sein; sie kennt aus eigenem Erleben die Klaustrophobien einer Full-Time-Mutter mit zwei kleinen Kindern und zu kleinem Haushaltsgeld in einer zu kleinen Gemeindewohnung; sie hat die Frustrationen eines neuerlichen Beruf-Einstiegs in eine Teilzeitbeschäftigung selber mitgemacht und kennt die Doppelbelastung, die sie sich damit aufgebürdet hat.

Seit sie wieder voll berufstätig ist, weiß sie, dass Job, Ehe, Kinder und Haushalt gleichzeitig auch von einer gut organisierten und leistungsorientierten Frau kaum zu bewältigen sind. In ihrem Fall blieb die Ehe auf der Strecke. Warum, das kann sie erst heute, im Nachhinein, richtig analysieren.

Johanna Dohnal, in dritter Generation uneheliche Tochter, suchte eine Beheimatung. Als Heranwachsende konnte sie sich diese nicht anders vorstellen als: Heiraten und Kinder kriegen. Weshalb sie mit 18 einen wesentlich älteren Mann heiratete, eine Art Ersatz für den Vater, den sie nie hatte. Später, als Hausfrau, entdeckte sie die Heimat woanders - in der SPÖ. "Da konnte ich mich zugehörig fühlen. Die Partei war das Übungsfeld für meine Selbstverwirklichung." Die Partei war denn auch der Auslöser für die gegenwärtige Dohnal-Rolle: die der geschiedenen, alleinstehenden, berufstätigen Frau.

Was der Dohnal tagaus tagein aus allen Männer-Lagern - von der Presse und der Opposition ebenso, wie von den eigenen Genossen - an Ablehnung und überheblicher Verständnislosigkeit so entgegenschlägt, das hat sie mit freundlicher Gelassenheit parieren gelernt. Es hat aber auch ihre Frauen-Sensibilität geschärft. Sie ist weder wehleidig noch patzig. Scheinbar ungerührt, übt sie sich im gleichmütigen Überhören und Übersehen. Sie setzt der Verständnislosigkeit eine geduldige Diskussionsbereitschaft entgegen - ein unermüdliches "ceterum censeo", das von der Überwindung der weiblichen Rollenklischees (in der Werbung, im Schulbuch, im Fernsehen) spricht, von der partnerschaftlichen Änderung der Geschlechterrollen als der Voraussetzung für die Chancengleichheit im Beruf und von der Abschaffung der vielfältigen Frauen-Benachteiligungen im Gesetz, in der Berufswelt, im Alltag. Der gezielten Ahnungslosigkeit begegnet sie mit Fakten und Daten - mit dem ganzen Diskriminierungskatalog: die ungleichen Löhne und Lehrpläne, der geteilte Arbeitsmarkt, die schlechtere Ausbildung, die allgegenwärtige Gewalt gegen Frauen, die Unterrepräsentanz von Frauen in Parteien, Verbänden und qualifizierten Berufen.

Der Sessel einer Staatssekretärin für allgemeine Frauenfragen ist der reinste Drachenthron. Die österreichische Verfassung beschreibt die Funktion des Staatssekretärs bloß als "zuständig für die Unterstützung und parlamentarische Vertretung" des jeweiligen Ministers, in diesem Fall des Bundeskanzlers. Weitgehend ohne Kompetenzen und ohne Budget - Dohnal konnte 1982 umgerechnet über knapp 300000 DM verfügen - ist die Frauenstaatssekretärin in ihrer Tätigkeit auf die Kooperations-Bereitschaft der Ministerien und Verwaltungsbereiche angewiesen.

Ihr Haupttätigkeit ist das Intervenieren. So braucht sie, beispielsweise, die Kooperation des Unterrichtsministers, wenn sie die Lehrplanangleichung für Buben und Mädchen vorantreiben und die Fächer "Hauswirtschaftslehre" und "Geometrisch-Zeichnen" als obligatorisch für die Zehn- bis 14-Jährigen beider Geschlechter durchsetzen will - was ihr bislang nicht gelungen ist. "Im Grunde", sagt Johanna Dohnal, "bin ich eine Bedürfniserweckungsanstalt". Sie kann nur so stark sein wie die Frauenbewegung. Ihre Legitimation ist der Druck von der Basis. Weniger der Druck von der Partei-Basis - seitens der Frauen-Organisationen der SPÖ und der gewerkschaftlichen Frauen-Referate erfährt Dohnal höchstens halbherzige Unterstützung; umso entscheidender ist der Druck seitens der autonomen Frauenbewegung.

Was die Frauen-Staatssekretärin politisch umzusetzen versucht, geht größtenteils auf die Ideen, Vorschläge, Projekte und Initiativen der autonomen Frauen zurück. Johanna Dohnal ist zugleich Schaltstelle und Schalldämpfer für Frauen-Anliegen - sie koordiniert sie, aber sie kanalisiert sie auch. Naturgemäß steigt in Vorwahlzeiten der Integrationsappetit der SPÖ auf die Frauenbewegung. Seit ihrer Angelobung im November 1979 hat Johanna Dohnal, getreu dem ungeschriebenen Staatssekretärinnen-Grundsatz ("Je weniger Kompetenz, desto engagierter"), vor allem die Basis zu mobilisieren gesucht. Sie hat eine Reihe von gesamtösterreichischen Frauen-Enqueten abgehalten und dazu Frauen und Organisationen über alle Parteigrenzen hinweg eingeladen.

In ihren anderthalb Zimmern im Bundeskanzleramt auf dem Ballhausplatz betreibt sie seit Anfang 1980 eine Frauen-Servicestelle: jeden Mittwoch von zwölf bis sieben steht sie jeder Frau, die kommt, zur Verfügung - hauptsächlich bei Scheidungsgrund Arbeitsplatzproblemen, in Pensionsversicherungs- und Wohnungsnöten. Der Andrang ist so gewaltig, dass Dohnal als mobile Service-Stelle inzwischen auch die 89 österreichischen Bezirkshauptstädte bereist und in den Gemeinde- und Arbeitsämtern von Dornbirn bis Villach und von Jenbach bis Steyr Frauen-Probleme entgegennimmt. Dohnal: "Aus der Häufung der - Fälle lassen sich Trends erkennen, die wunden frauenfeindlichen Punkte in den Gesetzen. Viele meiner Gesetzesänderungs-Initiativen sind aus den Beschwerden der Frauen direkt hervorgegangen".

Diese Gesetzesänderungen betreffen vor allem die frauenfeindlichen Relikte im Familien-, Ehe- und Sozialrecht, aber auch die Durchsetzbarkeit des Gleichbehandlungsgesetzes 1979: lauter mühselige und wenig imageträchtige Kleinarbeit. Dohnal propagiert unverdrossen das Machbare ebenso wie das Machenswerte- die Betriebshilfe für schwangere Bäuerinnen, den wahlweisen Karenzurlaub auch für Väter, ein gesetzliches Antidiskriminierungspaket, die Abschaffung frauenspezifischer Schulen, den Sechs-Stunden-Tag.

Seitens der autonomen Frauenbewegung wird Dohnal manchmal der Vorwurf gemacht, sie verzettle den utopischen, gesellschaftsverändernden Anspruch des Feminismus an allerlei reformistische Dienstleistungsgrund Kulturprojekte, binde damit die Energien der Frauen (auch ihre eigenen) und verliere über lauter arbeits- und interventions-intensiven Teilzielen die große Perspektive aus den Augen, kurz: sie arbeite systemimmanent im Kapitalismus und im Patriarchat.

Auf diesen Vorwurf hat die geeichte Sozialdemokratin Johanna Dohnal nur eine parteiimmanente Antwort parat: "Die Langziele hab' ich sehr wohl im Blick, aber den Kapitalismus kann ich nicht abschaffen."

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