Nobelpreis für Homo-Aktivistin!

Ⓒ Christine Dierenbach
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Als der Lehrer damals Kashas Brief fand, brach die Hölle los. Es war ein Liebesbrief gewesen. An ein Mädchen. Der Schuldirektor warf Kasha in hohem Bogen von der Schule und alle waren sich einig: Sie sei „von Dämonen besessen“. Glücklicherweise hat Kasha Jacqueline Nabagesera das selbst nie geglaubt. Stattdessen schrieb sie weitere Liebesbriefe und flog von weiteren Schulen.

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Die Schule be-
hauptete, sie sei „von Dämonen besessen!"

Es mag makaber klingen, aber für ugandische Verhältnisse hat die heute 35-Jährige noch Glück. Erstens hat sie verständnisvolle Eltern, die damals nicht nur ihre Tochter schützten, sondern sogar deren Freundinnen, die von ihren eigenen Familien verstoßen worden waren, bei sich zu Hause aufnahmen. Zweitens: Kasha lebt noch. Das ist für die bekannteste Aktivistin für Homosexuellen-Rechte in einem der homophobsten Länder der Welt nicht selbstverständlich. 

Kashas Freund David Kato ist tot. Im Oktober 2010 hatte die ugandische Zeitung Rolling Stone auf ihrer Titelseite die Namen von „100 Top Homos“ veröffentlicht, zusammen mit der Aufforderung: „Hängt sie auf! Sie sind hinter euren Kindern her.“ ­Kashas Name stand auf der Liste, Davids Name auch. 

Kasha Nabagesera hatte eigentlich Wirtschaftsprüferin werden wollen. Als sie aber 2002 wegen ihrer Homosexualität fast auch noch von der Uni geflogen wäre, sattelte sie auf Jura um. Sie wollte für den Kampf um Homo-Rechte professionell gewappnet sein. 2003 gründete sie FARUG (Freedom and Roam Uganda), eine Nicht-Regierungsorganisation, die sich für die Menschenrechte Homosexueller einsetzt. 

Als nun Rolling Stone den Mordaufruf veröffentlichte, klagten die Juristin Kasha und der Grundschullehrer David dagegen. Im Dezember 2010 untersagte der Oberste Gerichtshof dem Magazin weitere Outings und sprach den KlägerInnen eine Entschädigung zu. Vier Wochen später wurde David Kato in seiner Wohnung mit zwei Hammerschlägen auf den Kopf ermordet.

Seither ist Kasha doppelt vorsichtig. Ihre Wohnung hat eine Verwandte für sie angemietet, damit ihr Name in keinem Vertrag und in keiner Rechnung auftaucht. Außerdem schläft sie häufig an wechselnden Orten. „Am besten ist, niemand weiß, wo ich die Nacht verbringe“, sagt sie. Mit dem Bus fährt sie nie, zu gefährlich. Ihr Gesicht ist im ganzen Land bekannt. Verprügelt wurde Kasha schon öfter. „Manche drohen mir mit Vergewaltigung, um mir zu zeigen, wie eine Frau zu sein hat.“ Dennoch sagt sie der Hexenjagd auf Lesben, Schwule und Transgender weiterhin den Kampf an. „Mir wurde irgendwann klar, dass der einzige Weg, um all das zu stoppen, darin besteht aufzustehen und die Stimme zu erheben.“ 

In dem 34-Millionen-EinwohnerInnen-Land am Victoriasee, das bis 1986 von dem enthemmten Diktator Idi Amin malträtiert wurde und seit nunmehr fast drei Jahrzehnten von dem ­autokra­tischen Präsidenten Yoweri Museveni regiert wird, steht ­Homo­sexualität unter Strafe. Homosexuelle Handlungen zwischen Männern werden seit 1950 verfolgt – ein Gesetz, das noch unter der britischen Kolonialherrschaft verabschiedet wurde. Seit 2000 verstoßen auch Beziehungen zwischen Frauen „gegen die Natur“ und können mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft werden. 

Aber das reichte den Homo-Gegnern noch nicht. „Vor allem die Evangelikalen, die aus Amerika finanziert werden, sind besonders ­radikal“, sagt Kasha. Im Oktober 2009 bringt ein Abgeordneter, der der evangelikalen Organisation „The Family“ angehört, die „Uganda Anti-Homosexuality Bill“ ein. Der Gesetzentwurf sieht ­lebensläng­liche Haft und schlimmstenfalls sogar die Todesstrafe vor. Außerdem soll jetzt die „Beihilfe“ unter Strafe gestellt werden, sprich: alle, die zum Beispiel Lesben und Schwulen eine Wohnung vermieten.

Eine ugandische Zeitung forderte: "Hängt sie auf!

Juristin Nabagesera klagt mit FARUG gegen das Gesetz. Gleichzeitig schlägt die Organisation international Alarm. Es ­erhebt sich weltweiter Protest. Die EU protestiert und auch der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erklärt, Uganda habe „eine rote Linie“ überschritten und droht mit Kürzung der Entwicklungshilfe. Schließlich erklärt das von Kasha ­Nabagesera angerufene ugandische Verfassungsgericht das Gesetz für ungültig, wenn auch aus formalen Gründen: Bei der Verabschiedung seien nicht genügend Abgeordnete anwesend gewesen.

Solche Erfolge sind großartig, aber die Aktivistin weiß: „Selbst wenn ich das Gesetz ändere, wird es mich nicht schützen, solange die Leute nicht umdenken. Wir sehen doch das Beispiel Südafrika, wo die Gesetze fortschrittlich sind. Trotzdem werden viele ­Homosexuelle ermordet und vergewaltigt.“ Deshalb ist Kashas Strategie, den Homo-Hassern, die meist noch nie eine leibhaftige Lesbe oder einen Schwulen zu Gesicht bekommen haben, zu zeigen, dass Homosexuelle ganz normale Menschen sind. Im Dezember 2014 gab sie das Magazin Bombastic heraus. Auf 69 Seiten erzählen Homosexuelle und Transgender ihre Geschichten. Sie verteilten die 15.000 Exemplare in Supermärkten und Tankstellen, in Kirchen und Krankenhäusern. 

Jetzt wird Kasha Nabagesera mit dem „Right Livelihood Award“ ausgezeichnet, dem so genannten Alternativen Nobelpreis. „Wir waren unglaublich beeindruckt, als wir von ihrer ­Arbeit erfahren haben", sagt Stiftungsdirektor Jakob von Uexküll über die Geehrte. Die 50.000 Euro Preisgeld kann Kasha gut gebrauchen, zum Beispiel für die nächsten Bombastic-Ausgaben. Aber so ein internationaler Preis schützt auch ihr Leben. Und er „zeigt uns“, sagt Kasha Nabagesera, „dass die Welt zuschaut. Dass wir nicht allein sind.“ 

Chantal Louis

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Ein Denkmal für „Stonewall“

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An diesem Film sind gleich zwei Dinge überraschend. Erstens, dass er überhaupt gemacht wurde. Der Deutsche Roland Emmerich, bis dato bekannt als Hollywoods Meister für patriotische Katastrophenfilme („Independence Day“), hat sich pünktlich zu seinem 60. Geburtstag entschlossen, diesmal eine ganz andere Geschichte zu erzählen: die des Aufstandes der Homosexuellen, die am 28. Juni 1969 in der New Yorker Homo-Bar „Stonewall Inn“ mit Steinen und Molotow-Cocktails gegen Razzien und Polizeiwillkür aufbegehrten. Seither wird dieser Tag von Schwulen und Lesben weltweit als Christopher-Street-Day gefeiert.

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Hollywood war übrigens nicht eben begeistert vom Thema

Als all das damals passierte, saß Roland Emmerich im schwäbischen Maichingen und bekam von alldem nichts mit. Was bedauerlich war, denn der damals 14-Jährige wusste, dass er Jungs liebt und war „unheimlich einsam“. Vier Jahrzehnte später nutzt der Regie-Star nun seinen Einfluss und sein Geld, um dem stolzen Stonewall-Aufstand ein filmisches Denkmal zu setzen. Auch im Jahr 2015 war Hollywood übrigens nicht eben begeistert vom Thema. Emmerich finanzierte den Film, der ihm eine Herzensangelegenheit war, selbst.

Die zweite Überraschung: Roland Emmerich hat für „Stonewall“ Riesenärger bekommen. Und zwar nicht von konservativen Studiobossen, sondern von der eigenen „Community“. Der Vorwurf der LGBT-Gemeinde: „Whitewashing“! Der Protagonist sei ein Weißer und zudem noch „straight acting“, sprich: nicht tuntig.   

Das tut Emmerich unrecht. Denn er lässt nicht den Hauch eines Zweifels daran, dass es die Tunten und Drag Queens waren, die den Homo-Aufstand ausgelöst haben. Weil sie als „feminisierte“ Männer am untersten Ende der Hierarchie standen, verachtet von allen, sogar von ihren eigenen schwulen Brüdern, und bei den Razzien bevorzugte Opfer. „Mach dir keine Sorgen, sie nehmen nur die Transen mit“, sagt einer zu Danny, dem Protagonisten, als der zum ersten Mal erlebt, wie die Polizei das „Stonewall“ stürmt.

Danny (Jeremy Irvine) hat eine blonde Föhnfrisur und ein breites Kreuz. Er kommt aus Kansas, wo ihm sein Vater, der Football-Coach, den gepackten Koffer aufs Bett gelegt hat, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Gerüchte, die sich um seinen hübschen Sohn ranken, wahr sind. Der Small-Town-Boy strandet in der New Yorker Christopher Street und wird von der schrillen Truppe um die Latina-Drag Queen Ray (anrührend: Jonny Beauchamp) unter ihre Fittiche genommen.

Emmerich zeigt allerdings weniger das wilde Partyleben der Truppe, sondern vor allem, dass all die heimatlosen Paradiesvögel gebrochene Flügel haben. Rausgeflogen oder abgehauen, leben sie zu sechst, acht oder auch zehnt in abgerockten Absteigen, deren Miete sie notgedrungen mit Prostitution finanzieren. Das „Stonewall“ ist in Mafia-Hand, die auch das Rotlicht-Geschäft organisiert, die Polizei des Viertels durch und durch korrupt. Und während die gewaltfreien Polit-Schwulen in gestylten Wohnungen ihre Flugblätter tippen, entlädt sich auf der Straße die aufgestaute Wut. Die Tunten und Transen haben nichts mehr zu verlieren.

Emmerich zollt den historischen Figuren Tribut. Nur eins fehlt ...

Durch all das stolpert Danny mehr schlecht als recht. Der eigentliche Held – oder genauer: die Heldin - ist Ray, den es, im Gegensatz zu Danny, tatsächlich gab: „Sylvia“ Ray Rivera, genannt die „Rosa Parks der Schwulenbewegung“. Er/sie hatte seit ihrem zwölften Lebensjahr auf der Straße gelebt. An jenem Abend warf sie Molotow-Cocktails und Steine in Fensterscheiben. Später gründete Rivera die „Street Transvestite Action Revolutionaries" (STAR), die sich um obdachlose Transgender-Jugendliche kümmerte. Und auch die schwarze Drag Queen und STAR-Mitgründerin Marsha P. Johnson, bekommt ihren Platz, im Film und im Abspann, in dem wir erfahren, dass sie 1992 nach einer Gay Pride Parade tot aus dem Hudson River gefischt wurde.

Soweit zollt Roland Emmerich den historischen Fakten und Figuren Tribut. Nur eins fehlt: die Frauen. Dabei ist mindestens eine lesbische Frontfrau der Stonewall-Riots historisch verbürgt: Stormé DeLaverie, Sängerin aus New Orleans, die als Mann auftrat und im Gay Village als Aktivistin bekannt war. Sie selbst behauptete, sie habe an jenem Abend den ersten Stein geworfen. Stormé war Mitglied der „Stonewall Veterans Association“. Sie starb 2014 im Alter von 93 Jahren.

Im ansonsten verdienstvollen „Stonewall“ kommt Stormé nicht vor. Wie überhaupt die Frauen in Herrenanzügen - denen es auf den Polizeiwachen nicht minder schlecht erging wie den Männern in Frauenkleidern – zwar nebenbei erwähnt, aber so gut wie nie gezeigt werden. Und das ist nun leider gar nicht überraschend.

Dennoch: Reingehen! Es lohnt sich.

Chantal Louis

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