Kommt die Mütterrente überhaupt?

Artikel teilen

Für Mütter, die ihre Kinder vor 1992 bekommen haben, gibt es in diesem Jahr ein zusätzliches Muttertags-Präsent: Am 1. Oktober werden sie pro Kind 28,14 Euro mehr im Monat bekommen. Wer im Osten lebt, erhält mit 25,74 Euro allerdings 2,40 Euro weniger. Das zeigt schon die erste Gerechtigkeitslücke dieser neuen „Mütterrente“ – und leider gibt es noch viel mehr davon. Es ist unbestritten, dass Eltern und insbesondere Mütter in Deutschland besser gefördert werden müssen. Doch die jetzt beschlossene Mütterrente wird dieses Ziel nicht erreichen.

Anzeige

Ganz im Gegenteil: Sie ist außerordentlich problematisch. Denn bezahlt wird sie nicht von uns allen über Steuern, sondern durch einen dreisten Griff in die Rentenkassen. Immerhin 80 Milliarden Euro wird die Mütterrente bis 2020 kosten.

Ein dreister
Griff in die Rentenkasse?

Weil die Rentenkassen durch die gute Lage am Arbeitsmarkt prall gefüllt sind, hätte zu Anfang dieses Jahres eigentlich der Beitragssatz gesenkt werden müssen. Das hat die Große Koalition verhindert, damit Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die beiden zentralen Wahlgeschenke der letzten Bundestagswahl verteilen kann: Die CDU/CSU wollten unbedingt die Mütterrente, die SPD bestand auf der „Rente mit 63“ für alle, die 45 Jahre in die Rentenkassen eingezahlt haben.

Von der „Rente mit 63“ profitieren fast ausschließlich ohnehin schon besserverdienende männliche Facharbeiter, die nun deutlich früher in Rente gehen können. Von der Mütterrente profitieren ältere Frauen. Wer seine Kinder vor 1992 geboren hat, bekam bislang nur einen so genannten Entgeltpunkt

für ihre Erziehungsleistung angerechnet. Für ab 1992 geborene Kinder hingegen gibt es drei Entgeltpunkte. Ein Entgeltpunkt ist derzeit rund 28 Euro Monatsrente im Westen und 25 Euro Monatsrente im Osten wert. Jetzt kriegen die Mütter von vor 1992 geborenen Kindern einen Punkt mehr, also zwei Punkte.

Erst seit 1986 werden Kindererziehungszeiten überhaupt auf die Rente angerechnet. Das deutsche Rentensystem ist umlagefinanziert: Jeder Erwerbstätige, der einzahlt, spart nicht für sich selbst, sondern zahlt für die jeweilige Rentner-Generation. Ohne Kinder – und damit die künftigen Beitragszahler – bräche das System zusammen. 1986 wurde das „Babyjahr“ eingeführt: Pro Kind wurden jeder Mutter ein Jahr Kindererziehungszeiten angerechnet, und zwar so als ob die Mutter ein Jahr lang das Durchschnittseinkommen verdient hätte. Deshalb der Entgeltpunkt pro Kind.

Dass Kindererziehungszeiten eine „wichtige und bestandssichernde Bedeutung für das Rentensystem“ hätten, wurde dann 1992 im so genannten „Trümmerfrauenurteil“ vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt. Weil Mütter damals drei Jahre Erziehungszeiten nehmen konnten, wurden deshalb ab 1992 auch ihre Rentenzeiten angepasst – auf drei Entgeltpunkte pro Kind. Die Beiträge für die Mütter musste der Staat dann erst ab 1999 zahlen. Die Wählergeschenke werden heute verteilt. Bezahlt wird morgen oder übermorgen, wenn der geschenkeverteilende Politiker längst nicht mehr im Amt ist.

Mehr als jeder achte Euro für Mütterleistungen

Immerhin wählte die 1999 amtierende rot-grüne Regierung den ordnungspolitisch sauberen Weg und finanzierte die Beitragszahlungen für die Mütterrenten aus Steuern. Denn im Rentenjargon sind das so genannte „versicherungsfremde Leistungen“ – also Renten, denen keine eigenen Beitragszahlungen der Begünstigten gegenüberstehen. Das ist ähnlich wie bei den Rentenzahlungen an Ostdeutsche, die während DDR-Zeiten nicht in die Westkassen einzahlen konnte oder Deutschstämmige aus Osteuropa. Über 80 Milliarden Euro pro Jahr an Steuergeldern fließen deshalb derzeit zusätzlich in die Rentenkassen. 11,6 Milliarden davon, etwas mehr als jeder achte Euro, ist für die Mütterleistungen.

Im Prinzip müsste die Rente mit 63 und die Anpassung der Mütterrenten für vor 1992 geborene Kinder also ebenso aus Steuern finanziert werden. Doch dann hätten die Großkoalitionäre entweder die Steuern erhöhen oder irgendwo anders Milliardensummen einsparen müssen. 80 Milliarden Euro werden bis 2020 für die Mütterrente gebraucht, weitere 80 Milliarden Euro werden dann im folgenden Jahrzehnt fällig.

So wendeten CDU-Chefin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel folgenden Trick an: Statt den Rentenbeitragszahlern die in der Rentenkasse angehäuften Milliardenüberschüsse in Form niedrigerer Beiträge zurückzugeben, wird die Rentenkasse für die neuen Wohltaten ausgeplündert. Das aber bedeutet zum Beispiel, dass Selbstständige und Beamte bei der Finanzierung der neuen Renten-Wohltaten außen vor bleiben, weil sie nicht in die Rentenversicherung einzahlen. Geschröpft werden stattdessen die Jungen, die noch besonders viele Zahljahre vor sich haben und zudem nicht wissen, wie viel sie selbst jemals an staatlicher Rente bekommen werden.

Eigentlich steigen die Renten im Gleichklang mit den durchschnittlichen Lohnerhöhungen. Nehmen aber die Rentenausgaben „übermäßig“ zu, werden auch die jetzigen Rentner geschröpft: So werden die Rentner über den so genannten „Nachhaltigkeitsfaktor“ rund 1,6 Milliarden Euro der insgesamt 6,5 Milliarden Euro Zusatzkosten in diesem Jahr selbst bezahlen, weil ihre Renten weniger stark steigen als die Lohnerhöhungen.

Nicht nur die Jungen zahlen für die Alten. Sondern wahrscheinlich wird auch von Rentnern zu Rentnerinnen umverteilt. Denn es gibt mehr männliche Rentner und ihre Renten sind höher. Was angesichts der „Familienzeit“ der Frauen gerecht wäre. Gleichzeitig liegt die durchschnittliche Rentenbezugszeit von Frauen mit derzeit 21,3 Jahren gut vier Jahre höher als die von Männern (16,7 Jahre).

Frauen ohne Kinder stehen besser da

Wie auch immer: Erfreulich ist, dass sich die Rente der 9,8 Millionen Rentnerinnen durch die neue Mütterrente erhöht: von durchschnittlich 555 Euro im Monat auf 601 Euro. Bei den 1,5 Millionen Rentnerinnen mit drei Kindern stehen dann im Schnitt 558 statt 482 Euro auf dem Rentenbescheid. Das jedenfalls hat Ingo Schäfer von der Arbeitnehmerkammer Bremen aus gerechnet.

Am besten stehen sich allerdings nach wie vor Frauen, die keine Kinder hatten und stattdessen erwerbstätig waren: Ihre durchschnittliche Rente liegt schon heute mit 651 Euro deutlich über den Werten, auf die Frauen mit der Mütterrente im Schnitt kommen werden.

Grundsätzlich bleibt deshalb die Kernfrage, wie sinnvoll es zukünftig ist, Kindererziehungszeiten in der Rente zu fördern. Was, wenn 1986 statt dem „Babyjahr für die Rente“ ein flächendeckendes, qualitativ hochwertiges öffentliches und kostenfreies Kitasystem aufgebaut worden wäre? Oder wenigstens 1999, als der Bund angefangen hat, tatsächlich Beiträge für die Mütterrente in die Rentenkasse zu zahlen? Dann hätte so manche Mutter, die heute auf Renten-Almosen angewiesen ist, einfach vollzeitberufstätig sein können.

Weit mehr Frauen (und Männer) hätten Kinder, Familie und Beruf vereinbaren können. Weit weniger Frauen hätten die gebrochenen Erwerbsbiografien von heute, die sie zu armutsgefährdeten Rentnerinnen von morgen machen. Und vielleicht gäbe es sogar deutlich mehr Nachwuchs als die 1,39 Kinder, die Frauen im Schnitt seit Jahrzehnten bekommen.

Mehr zum Thema im Dossier "Frauenarbeit" in der aktuellen EMMA.

Artikel teilen

Dossier: Frauenarbeit

© Marjan Murat/dpa
Artikel teilen

Wir reden hier von Arbeit. Frauenarbeit. Gratis in der Familie und (unter)bezahlt im Beruf. In keinem europäischen Land ist der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen so groß wie in Deutschland, genauer: wie in Westdeutschland. In Ostdeutschland sieht das nämlich anders aus. In der DDR waren Frauen immer schon berufstätig, in der BRD galten berufstätige Mütter bis vor nicht so langer Zeit als Rabenmütter.

Anzeige

Und das dauert an. Es ist kein Zufall, dass die westdeutsche Familienministerin Kristina Schröder mit dem Argument an den Herd zurück kehrte, ihr Kind brauche sie – und die ostdeutsche Familienministerin Manuela Schwesig kaum je thematisiert hat, dass sie auch Mutter ist. Das hat wenig mit hie konservativ und da sozialdemokratisch zu tun und mehr mit hie West und da Ost.

Über 50 Prozent aller Berufstätigen in Ostdeutschland sind Frauen (West 43 Prozent). Die Durchschnittsrente für Frauen Ost beträgt 727 Euro (West 520 Euro). Und die gesamtdeutsche Falle heißt: Teilzeit! Die führt stracks in die Altersarmut. Drei von vier Teilzeitstellen sind in Deutschland von Frauen besetzt, aber nur eine von drei Vollzeitstellen. Das wollen immer mehr Frauen nicht länger hinnehmen. Nicht nur Arbeitnehmerinnen, sondern auch Arbeitgeberinnen wie Nicola Leibinger-Kammüller (Foto oben) nicht.

Was alles passieren muss – und was schon passiert ist! Das EMMA-Dossier der Mai/Juni-Ausgabe über Frauenarbeit:

Frau muss nur wollen
Nicola Leibinger Kammüller ist eine von immer mehr UnternehmerInnen, die ernst machen mit mütter- und vätergerechten Arbeitsbedingungen. mehr

Die 32-Stunden-Woche ist die Lösung...
... für Eltern mit Kleinkindern. Dann können Mutter und Vater sich die Kinderarbeit teilen - und keiner von beiden hat Nachteile im Beruf.

Hannelore muss sich ändern
Warum bekommen gut ausgebildete Frauen in Deutschland keine Kinder? Noch hinderlicher als die fehlenden Krippen sind noch immer die Barrieren im Kopf.

Ingenieurinnen in die Kita!
Denn schon dort fängt das an mit den "Frauen-" und "Männerberufen". Ein Interview mit Wirtschaftswissenschaftler Oliver Koppel aus Köln. mehr

Die Krux mit der Mütterrente
Denn die kriegen beiliebe nicht alle Mütter. Dafür profitieren aber vor allem Männer von der Rente mit 63.

Das Leid mit den Pflegeberufen
Pflegeberufe werden so schlecht entlohnt, weil Pflege Frauensache ist - und die machen das traditionell umsonst.

Wir müssen Bluffen lernen!
Und genauso mittelmäßig, aufgeblasen und von uns selbst überzeugt sein wie die Männer. Findet Annette Anton. mehr

Wir sind echte 50/50-Eltern
Sie versuchen es ernsthaft. Auch wenn es bei ihm noch gewissen Verantwortungsnachholbedarf gibt, geht sie schon munter Party machen. mehr

Liebe Elisabeth Niejahr! Liebe ZEIT!
Alice Schwarzer antwortet auf den Offenen Brief und den Vorwurf, sie und EMMA hätten sich noch nie für die ökonomische Gleichstellung stark gemacht. mehr

Neugierig geworden? Das vollständige Dossier steht in der EMMA Mai/Juni 2014. Ausgabe bestellen
 

 

Weiterlesen
 
Zur Startseite