In der aktuellen EMMA

EMMA-Buchtipps: Lesen, lesen, lesen!

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Zwischen den Kulturen
Zwei Frauen, zwei Generationen, zwei Geheimnisse: Da ist die junge Bijoux, die Anfang der 2000er Jahre von ihren Eltern von Kinshasa im Kongo nach London zu ihrer Tante Mireille geschickt wird. Bijoux ist lesbisch und muss ihre Freundin Kay vor der strenggläubigen Tante verstecken. Und da ist Mira, Anfang der 1980er Jahre, aus wohlhabender Upperclass-Familie, die sich des Nächtens im pulsierenden Kinshasa heimlich auf Partys amüsiert. Auch sie muss ihre Liebe verbergen, den begabten, aber armen Jazzmusiker Charlie Bolingo. Und vor lauter Verstecken laufen beide in die falsche Richtung: Bijoux schickt sich in eine von der Tante und dem eifernden Pastor arrangierte Ehe. Und Mira geht nach der gescheiterten großen Liebe nach Europa, wo sie abstürzt und in Armut und Alkohol versinkt. Und dann nehmen beide Geschichten eine unerwartete Wendung. Und verschmelzen miteinander. Ein spannender Roman voller afrikanischem Leben im Kongo und in Europa. Und zwei Geschichten, die davon erzählen, wie ein Leben dennoch gelingen kann, wenn man es denn in die Hand nimmt. B. F.
Christina Fonthes: Wohin du auch gehst. Ü: Michaela Grabinger (Diogenes, 25 €)

David & Goliath
„Hätte ich mir das selbst zugetraut, wenn man mich vor 22 Jahren zu Beginn meiner Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft Köln gefragt hätte?“, schreibt sie im Vorwort. „Nein, ganz bestimmt nicht.“ Denn die Männer, gegen die diese Frau angetreten ist, hatten 40 Milliarden Euro illegal in ihre Tresore gewirtschaftet und schienen unangreifbar. Es waren – und sind! – die Herren der Finanzwelt, gedeckt von Politikern bis in die höchsten Spitzen. Gegen die ist sie angetreten: Anne Brorhilker, eine ganz normale Staatsanwältin, die bis dahin auch keine Ahnung von Finanzen hatte. Die Rede ist vom Cum-Ex-Skandal, der ohne diese Frau vermutlich niemals öffentlich geworden wäre. 40 Milliarden Euro. Aber die junge Staatsanwältin in Köln hat sich nicht einschüchtern lassen. Einmal auf der Spur, verlor sie das Ziel nicht mehr aus den Augen. Über ihre Erfahrungen schreibt sie: „Ich konnte hinter die Kulissen der Glitzerwelt der Großbanken schauen und habe eine Branche erlebt, die nahezu ungehindert ihre Interessen auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzen kann. Fast wäre der größte Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepu­blik von der Öffentlichkeit unbemerkt geglückt.“ Auch auf die eigene Behörde blickt sie mit gemischten Gefühlen zurück. Da war der grüne Finanzminister, der ihr Steine in den Weg legte, aber da war auch der schwarze Finanzminister, der die Steine wegräumte. Letztlich hat Brorhilker dann doch gepasst. Die Fesseln als Beamtin waren zu eng. Sie hätte sonst dieses Buch nie schreiben können. Sie kämpft weiter. Jetzt im Kontext der unabhängigen Bürgerorganisation Finanzwende. David könnte Goliath
besiegen. A. S.
Anne Brorhilker: Cum/Ex, Milliarden und Moral (Heyne, 24 €)

Alte weise Männer
Wer ältere weiße Männer zum plumpen Feindbild erklärt, macht es sich ein bisschen einfach. Diese zwei hier zum Beispiel haben Wichtiges zu sagen. Erich Vad, früherer militärpolitischer Berater von Angela Merkel, und SPD-Eminenz Klaus von Dohnanyi haben sich zu einem Gespräch getroffen, aus dem ein Dialogbuch entstanden ist. „Krieg oder Frieden“ ist eine fundierte, hochaktuelle Analyse der internationalen Sicherheitslage, mit besonderem Blick auf den Krieg in der Ukraine und Deutschland. Beide plädieren eindringlich für eine Rückkehr zur Diplomatie und bedauern die desaströse deutsche Außenpolitik. Tenor: „Kriege brechen nicht einfach aus. Sie haben ihre Vorgeschichte.“ Und für diese Vorgeschichte liefern sowohl General Vad als auch Politiker Dohnanyi ein immenses profundes Wissen, von dem sich aktuelle PolitikerInnen eine ordentliche Scheibe abschneiden könnten. Ihr Gespräch ist ein aufrüttelnder Appell an die politische Vernunft – die angesichts der steigenden Kriegsbedrohung mehr gebraucht wird denn je. A. R.
Klaus von Dohnanyi & Erich Vad: Krieg oder Frieden (Westend, 20 €)

Der Pillen-Wahn
Medikamente sind für Frauen manchmal zum Verzweifeln. Weil sie an fast ausschließlich männlichen Probanden erforscht werden, stimmt die Dosierung für Frauen oft nicht. Weibliche Organe bauen bestimmte Stoffe schlechter ab. Aber darauf zu verzichten, kann auch grob fahrlässig sein. Wie also umgehen damit? Die Schweizer Ärztin Martina Frei hat den Nutzen von rund 1.500 Medi­­ka­menten bewertet und gibt Antworten auf Fragen wie: Welche Medikamente sind besonders sinnvoll? Welche vertragen sich nicht miteinander? Welche sollte frau möglichst meiden? Worauf sollten Frauen bei der Antibabypille achten? Es sind neutrale und wissenschaftliche Beurteilungen ohne Infiltration der Pharma-Industrie. Der Ratgeber richtet sich vor allem an ältere Menschen, weil die oft die meisten Medikamente nehmen und am stärksten mit Nebenwirkungen zu kämpfen haben. Und nebenbei hilft das Buch, um bei ÄrztInnen die richtigen Fragen stellen zu können. A. R.
Martina Frei: Gute Pillen – schlechte Pillen (Konsumenteninfo AG Zürich, 36 €), online: www.gesundheitstipp.ch/shop

Die Ostfrau
Stolze Arbeiterin, unabhängige Ehefrau, Wendeverliererin, Rabenmutter – Titel für die Frau aus dem Osten gibt es viele. Wer aber ist DIE Ostfrau? Und wer blickt da eigentlich auf sie? Diese Fragen stellt Annette Schuhmann und hat 13 Ostfrauen porträtiert. Künstlerinnen, Arbeiterinnen, Wissenschaftlerinnen. Sie alle wurden zwischen 1936 und 2001 geboren – und könnten unterschiedlicher nicht sein. Alter, Klassenzugehörigkeit und Region spielen oft eine größere Rolle als ihr Geschlecht. Die Biografien der Frauen sind spannend. Frauen aus dem Osten werden sich in ihnen wiederfinden. Frauen aus dem Westen bekommen einen unverstellten Blick auf DDR-Geschichte – und was sie für Frauen bedeutete. A. R.  
Annette Schuhmann: Wir sind anders! Wie die DDR Frauen bis heute prägt (Hoffmann & Campe, 28 €)

Moderne Heimat
Diese Geschichte könnte fast genauso vor 60 Jahren erzählt worden sein. Und das ist es, was einen beim Lesen so fassungslos macht. Denn sie spielt nicht in der amerikanischen Vorstadt der 1950er Jahre, sondern im Hier und Jetzt bei Berlin. Die hochschwangere Jana ist mit Mann und zwei Kindern ins Umland von Berlin gezogen, in ein cooles Smart­village, mit KI-gesteuerter Straßenbeleuchtung und automatisiertem Sprenklersystem. Jana hat ihre Stelle in der Werbeagentur gekündigt und das Leben hier soll ruhiger und entspannter werden. Aber das Leben gerät aus den Fugen. Jana lässt sich von ihrer neuen Bekanntschaft Karolin in den Bann ziehen, die eine Gruppe Tradwives anführt. Karolin sieht gut aus, hat fünf Kinder und einen netten Mann, postet auf ihrem Instagram-Account neben Kochrezepten und christlichen Seelensprüchen auch allerlei Deutschtümelndes. Und Jana, deren Ehe gerade den Bach runtergeht, wird zunehmend angezogen von Karolines scheinbar heilen Welt mit den Versprechungen eines traditionellen Frauenlebens. Es ist die unheimliche Atmosphäre, die einen in den Bann zieht. Irgendetwas stimmt nicht mit Karolin. Aber was? B. F.
Hannah Lühmann: Heimat (Hanser, 22 €)

Alte Frauen
Sie sind alle ü80, aber nicht eine der elf Porträtierten jammert über ihr Alter, ja, die meisten erwähnen es noch nicht einmal. „Sie machen einfach weiter“, schreibt die Journalistin und Schriftstellerin Verena Lueken, selber heute 70 Jahre alt. Die von ihr Porträtierten sind Schriftstellerinnen oder Künstlerinnen, wie die Filmemacherin Ulrike Ottinger, und haben nicht die Absicht, sich zur Ruhe zu setzen. „Jede von ihnen hat erlebt, wie eine Gruppe junger Männer die Bühnen und Bürgersteige in Beschlag nimmt, und keiner von ihnen zur Seite tritt, um sie vorbeizulassen“, schreibt die langjährige FAZ-Redakteurin und Autorin. „Aber sie machen die Ignoranz der anderen nicht zur Grunderfahrung ihres Lebens, sondern nehmen sie als Lizenz zum Freisein.“ A.S.
Verena Lueken: Alte Frauen (Ullstein, 24.99 €)

Gefühl & Verstand
Entweder hat Vince Ebert als Mann eine erstaunliche Inselbegabung in Sachen Analyse des erstarkenden Patriarchats
in der westlichen Welt und dem Niedergang der Frauenrechte – oder er liest EMMA. In seinem neuen Buch „Wot se Fack, Deutschland“ stellt der selbsternannte „Wissenschafts-Kabarettist“ eine Zeitgeistdiagnose, mit besonderem Blick auf die Frauen. Ebert, selbst diplomierter Physiker, kritisiert eine Gesellschaft, in der Gefühle über der Realität stehen.
Er fragt: „Wo ist der vernünftige Blick
auf die Welt geblieben? Warum haben wir Selbstverständlichkeiten verloren?“ Wie etwa die schlichte Tatsache, dass
es nun mal nur zwei biologische Ge-schlechter gibt. Sein Buch ist für EMMA-LeserInnen zwar keine Offenbarung – aber doch ein Labsal für die Seele. A. R. 
Vince Ebert: Wot se Fack, Deutschland? (dtv, 17 €) 

Der Tausendsassa
Mit Macho Man, dem feministisch angehauchten deutschen Intellello, aus dem die temperamentvolle Familie seiner türkischen Frau einen echten Mann machen will, brachte der Comedian uns als Autor zum ersten Mal zum Lachen. Seine politisch unkorrekte „Extrawurst“ wurde zum meistgespielten Theaterstück des Jahres (und kommt demnächst ins Kino). Und in seinem neuen Roman ist er „der beste Papa der Welt“ einer Tochter zwischen Lernspielzeug und Barbiepuppe. Der wird als Ghostwriter für die Autobiografie seines einstigen Idols engagiert, eine Mischung zwischen Didi Hallervorden und Thomas Gottschalk. Palimpalim. Und da die hohe Kunst des Autors die Ambivalenzfähigkeit ist, zeigt er uns den „alten weißen Mann“ als Kotzbrocken und Menschen zugleich. Das Anrührendste und Komischste aber sind in dem Buch die Sexszenen zwischen ihm und seiner emanzipierten, türkischen Ehefrau. A. S.
Moritz Netenjakob: Der beste Papa der Welt (KiWi, 18 €)

Alles über meine Mutter 
Als Sarah Kuttner die Wohnung ihrer verstorbenen Mutter betritt, „starrt sie in ein muttergroßes Loch, das mit staubigem Schutt gefüllt ist“. Dort lag die Leiche der Mutter so lange unentdeckt, dass wegen der eingesickerten Körperflüssigkeiten die Holzdielen ausgesägt werden mussten. So beginnt Kuttners Roman, der eigentlich keiner ist, denn die nun folgende Geschich- te ist tatsächlich so passiert. Ihre Mutter war Opfer eines sogenannten Love Scammers geworden. Der Betrüger hatte sich im Netz als Schauspieler Sam Heughan ausgegeben, für den die Mutter schwärmte. Anhand der E-Mail-Korrespondenz zwischen Täter und Opfer vollzieht die fassungslose Tochter nach, wie sich ihre Mutter dazu verführen ließ, dem virtuellen Geliebten insgesamt 100.000 Euro zu überweisen. Wie konnte das einer intelligenten, lebenserfahrenen 68-Jährigen passieren? Sarah Kuttner, Ex-VIVA-Moderatorin und Tochter von DDR-Kult-moderator Jürgen Kuttner, hat eine klare Antwort. Früh erlittene Verletzungen haben die Mutter zu einer hartherzigen und egozentrischen Person gemacht, deren Sehnsucht nach Liebe und Aner-kennung (auch deshalb) nie gestillt wurde. Tochter Sarah bringt sie früh den Hass auf den eigenen Körper bei. Klug und ehrlich reflektiert Sarah Kuttner über transgenerationale Bedürftigkeit bei Frauen. CL
Sarah Kuttner: Mama & Sam (S. Fischer, 24 €)

Schwestern, zur Sonne ... 
Inzwischen sind sie weltberühmt und ha-ben auf Instagram fast 100.000 Follower: Schwester Bernadette, 88, Schwester Regina, 86, und Schwester Rita, 82. Die Augustinerinnen hatten im September 2025 ihr Kloster Goldenstein bei Salzburg besetzt, nachdem man sie gegen ihren Willen ins Altersheim verfrachtet und ihr Privatvermögen eingeheimst hatte. Fast zwei Jahre lang hatten sie dort wohnen müssen, ohne ihre persönlichen Sachen: Briefe, Fotos, sogar Bernadettes Zahnprothese – alles weg. Aber wer hat diesen Skandal überhaupt aufgedeckt? Das war Christina Wirtenberger. Die ehemalige Internatsschülerin, die die Schwestern von früher kannte, konnte die in der ­Zeitung kolportierte Geschichte über die angeblich glücklichen Nonnen im Altersheim nicht glauben. Sie alarmiert Edith Meinhart, früher Redakteurin des Nachrichtenmagazins Profil und Co-Host des Investigativ-Podcasts Die Dunkelkammer. Als die Dunkelkammer am 7. August 2025 berichtet, kommt der Stein ins Rollen. Ende November 2025 gibt Propst Markus Grasl dem öffentlichen Druck nach: Die Schwestern dürfen im Kloster bleiben! Edith Meinhart hat die ganze Geschichte aufgeschrieben – spannend wie ein Krimi. CL
Edith Meinhart: Nicht mit uns! (Edition Lauter, 27 €)

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