Friedensdenkschrift: Eine Christin klagt
Sicher, es werden nicht direkt die Waffen gesegnet in der Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche (EKD). Doch die ethisch-theologische Argumentation der Schrift („Welt in Unordnung – gerechter Friede im Blick“) folgt weitgehend den Narrativen, die die westliche Politik nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine prägen. Zugespitzt lässt sich sagen: Die Politik kann das „All it takes“ von Kanzler Merz nun auch mit Hinweis auf die Evangelische Kirche begründen.
Selbst Atomwaffen sind kein Tabu mehr. Atomare Teilhabe kann laut der „Friedensdenkschrift“ zur Abschreckung notwendig sein, der Einsatz von autonomen Waffensystemen unvermeidlich.
Die Denkschrift suggeriert Schutz vor Gewalt durch Gegengewalt
Es überrascht also nicht, dass an der Abfassung dieses Textes die Militärseelsorge maßgeblich beteiligt war. In einem Podcast wirbt die Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Fehrs, gemeinsam mit dem leitenden Militärbischof Felmberg seit September für eine „differenzierte“ Auseinandersetzung mit dem Thema Frieden. Felmberg schwärmt davon, dass der Begriff des „gerechten Friedens“ heute „noch viel strahlender als vor einigen Jahren“ zum Leuchten käme. Von Außenminister Wadephul wurde die Denkschrift ausdrücklich begrüßt.
Die Entscheidung der Denkschrift, dem Primat des „Schutzes vor Gewalt“ das Prinzip der Gewaltfreiheit Jesu nachzuordnen, führt zum Abschied vom christlichen Pazifismus. Die Schrift traut der nicht-militärischen Lösung von Konflikten weit weniger zu als dem kriegerischen Einsatz von Waffen zum „Schutz vor Gewalt“. Die Denkschrift suggeriert, Frieden könne eher durch Krieg als „Gegengewalt“ statt durch Diplomatie erreicht werden. Aufrüstung statt Diplomatie. Auch die Perspektive des globalen Südens wird außer Acht gelassen. Der Fokus liegt auf dem Ukrainekrieg, der Krieg in Israel und Gaza wird nur am Rande erwähnt.
Angesichts der erschütternden Zahl an Opfern der aktuellen Kriege stellt sich die Frage, woraus sich das große Vertrauen in Waffengewalt speist. Von einer „Friedensvernunft“ her müsste die aktuelle Hochrüstung kritisch auf ihre Interessen, auf ihr Gefahrenpotential wie auch auf ihre verheerenden sozialen und ökologischen Folgen hinterfragt werden. Eine glaubwürdige friedensethische Intervention der Kirche müsste begründete Perspektiven für Auswege aus der militärischen Eskalation aufzeigen. Die EKD hat sich jedoch mit ihrer Friedensdenkschrift anschlussfähig an den politischen Mainstream gemacht und damit eine Chance verspielt, sich wahrnehmbar gegen gesellschaftliche Kriegsertüchtigung zu wenden.
Die Autorin ist Gefängnis-Seelsorgerin und Sprecherin der Friedensinitiative „Christlicher Friedensruf“.
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