In der aktuellen EMMA

Vorbild Spanien?

© Juan Carlos Lucas/NurPhoto/IMAGO
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An einem Oktoberwochenende verlor Martha E. M. (21) im Ma­drider Stadtbezirk Villaverde ihr Leben. Ihr ehemaliger Partner Juan José M. P. erstach sie in Anwesenheit des 16 Monate alten gemeinsamen Babys, das man arglos strampelnd neben dem Leichnam der Mutter fand. So weit hätte es nicht kommen dürfen, denn Martha, die zwischenzeitlich auch in mehreren Frauenhäusern gelebt hatte, hatte mehrere Anzeigen gegen Juan José erstattet. 

Doch obwohl sich der Mann in den letzten Monaten oftmals nicht an die verordnete Kontaktsperre gehalten hatte, senkte ein Richter den Risikofaktor in Marthas Fall von „hoch“ auf „gering“. Auf Basis dieser folgenschweren Fehleinschätzung ordnete der zuständige Jurist weder eine elektronische Fußfessel für den Täter noch ein GPS-Armband für das Opfer an. Martha war die 32. Frau in diesem Jahr, die von ihrem ehemaligen Partner umgebracht wurde. 

Gleichzeitig ist die Zahl der Femizide in Spanien in den letzten Jahren jedoch stetig gesunken. Spanien war 2004 das erste Land in Europa gewesen, das konzertierte Maßnahmen zum Schutz gegen Männergewalt verabschiedete und spezialisierte Gerichte schuf.

Als bahnbrechend erwies sich die Einführung einer elektronischen Überwachung von gewalttätigen Männern. Das System „VioGen“ (getauft nach der Gewalt, die es bekämpft, die „Violencia de Género“) berechnet das Gefährdungspotenzial von Tätern mithilfe eines speziellen Algorithmus. In besonders drastischen Fällen ordnen Richter eine Fußfessel für den Aggressor an. Die sendet regelmäßig Standortdaten an eine zentrale Überwachungsstelle, sobald sich der Ex-Mann auf weniger als 500 Meter an sein Opfer annähert. Dieses wiederum trägt ein Ortungsgerät als Armband und wird sofort alarmiert, wenn Gefahr droht. Auch die Polizei wird in diesen Fällen automatisch eingeschaltet. 

2006 wurde die Fußfessel in der Hauptstadtregion Madrid eingeführt und ab 2009 im ganzen Land. Im letzten Jahrzehnt sank die Zahl der Femizide um 20 Prozent. Keine der 26.000 Frauen, die in Spanien bislang mit einem Alarmgerät ausgerüstet wurden, wurde umgebracht. 

Allerdings häuften sich in den letzten Monaten Berichte über technische Probleme bei der Fußfessel. Mehrere Frauen berichteten, dass ihnen die bedrohliche Nähe des Aggressors nicht gemeldet wurde. Paloma Tomé, eine 44-jährige Frau aus Vigo, zeigte im Fernsehen Fotos von ihrem Verfolger, der ihr wenige Meter vor ihrem Supermarkt aufgelauert hatte.

Gewerkschaften kritisieren, dass die Überwachungszentrale nicht direkt von der Polizei geleitet wird, sondern aus Kostengründen privaten Telekomunternehmen überlassen wird. Deren Mitarbeiter würden in nur ein- bis zweiwöchigen Crash-Kursen nicht genügend geschult, um Gefahrensituationen als solche erkennen zu können. 

Ana Bella Estevez, eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen Spaniens, klagt schon seit zehn Jahren über technische Mängel bei den Armbändern. Frauen würden oftmals nicht gewarnt, wenn der Gefährder in der Nähe sei, andere Male hingegen gäbe es Fehlalarme, die die gepeinigten Frauen in zusätzliche Angst versetzten. „An uns darf nicht gespart werden, wir brauchen die beste Technologie und keine veralteten Mobiltelefone, die mit den neuen Datennetzen Probleme haben“, so Ana Bella. 

Wohl kaum jemand in Spanien ist mit dem Problem der Gewalt gegen Frauen so vertraut wie die gebürtige Sevillanerin. Elf Jahre lang wurde sie von ihrem Mann eingesperrt, geschlagen und vergewaltigt, bis sie mit ihren vier Kindern in ein Frauenhaus floh. 2006 gründete sie eine Stiftung, die ihren Namen trägt, die Fundación Ana Bella. Die ist weltweit in 82 Ländern aktiv und hat seither 30.000 Opfer häuslicher Gewalt betreut. Technische Probleme, so Ana Bella, seien lösbar. Sie selbst trägt einen Herzschrittmacher, dessen Batterie zehn Jahre läuft. „Warum erschöpft sich die Batterie der GPS-Armbänder nach einem halben Jahr?“, fragt sie. Außerdem kritisiert die Aktivistin: „105.000 Frauen sind in Spanien im VioGen-System eingeschrieben, aber nur 4.500 werden derzeit mit einer Fußfessel für den Aggressor geschützt, dabei bräuchten all diese Frauen diesen Schutz. Er funktioniert ja tatsächlich.“ In ihren Augen fehlt schlicht der politische Wille und die Bereitschaft, genügend Geld für anonyme Frauen auszugeben: „Wären hier Politiker und Fußballer zu schützen, dann würden alle Mittel der Welt für die Armbänder bereitgestellt, da bin ich mir sicher.“   

 

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