In der aktuellen EMMA

Limbach: Miss Marple in roter Robe

© Bettina Flitner
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Empört setzte sich die Chefredakteurin der Schülerzeitung der Berliner Goethe-Schule an die Schreibmaschine. Bei einem Treffen mit 40 jungen Kollegen fand sie sich fast allein unter lauten Jungen. Als Schülerin einer reinen Mädchenschule schlug Jutta Ryneck als 19-Jährige jetzt erstmals geballte männliche Überheblichkeit entgegen. Doch wieder bewährte sich das Familienmotto „Bange machen gilt nicht!“ Vielleicht kämen ja die Postillen der Jungenschulen besser aufgemacht daher. Doch das müsse frau zum Ansporn nehmen, „technische Mängel durch besseren Gehalt wettzumachen“. Allein unter Männern war Jutta Limbach später oft in ihrem Leben und übertrumpfte dann die geballte Männermacht mit Charme und Verstand.

Jutta Limbach, 160 cm groß, stets ein herz­liches, oft verschmitztes Lächeln im Gesicht, liebte es, ihr Gegenüber durch leisen Witz und blitzgescheite Schlagfertigkeit zu verblüffen. Den Spitznamen „Miss Marple in der roten Robe“ nahm sie nicht krumm, der Ehrentitel „Jutta Courage“, den die EMMA ihr verlieh, gefiel ihr ungemein, denn als Frau war für ihre hochkarätigen Lebensstationen besonderer Schneid gefragt. 

Auch wenn Limbach, die 2016 im Alter von 82 Jahren verstarb, mit dem Etikett „Feministin“ lange haderte, füllte sie es selbst früh mit Leben. Der Kampf für die Gleichberechtigung wurde ihr bereits in die Wiege gelegt. Ihre Urgroßmutter Pauline Staegemann gehörte zu den Gründerinnen des ersten Berliner Arbeiterinnenvereins im Kaiserreich, ihre Großmutter Elfriede Ryneck als SPD-Abgeordnete zur Weimarer Nationalversammlung. Der Urgroßmutter setzte Jutta in ihren letzten Lebensjahren mit einer Biografie ein Denkmal, das Porträt der Großmutter zierte ihre Amtszimmer. Jutta wuchs auf in dem Gefühl, Glied einer Kette starker Frauen zu sein, die für Gleichheit und Gerechtigkeit auf die Barrikaden und sogar ins Gefängnis gegangen waren. 

Geboren 1934 in Berlin Neukölln durchlebte die Urenkelin und Enkelin von beherzten Sozialdemokratinnen und Tochter eines in der NS-Zeit drangsalierten Vaters die besonderen Herausforderungen ihrer Generation und Herkunft: den Bombenhagel auf ihre Heimatstadt, Evakuierung in den letzten Kriegsjahren, Schulzeit auf Reformschule und Lyzeum. Journalistin war ihr Traumberuf, dafür sollte erst einmal ein Jurastudium eine solide Basis legen. Doch sie fing Feuer für das Fach. Nach dem Studium mit Bestnoten an der FU Berlin begann eine Folge von Karriereschritten, bei denen sie immer „die Erste“ war: Die 1. Juraprofessorin an der FU, die 1. Justizsenatorin von Berlin, die 1. Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, und danach die 1. Präsidentin des Goethe-Instituts. Nur fast allerdings auch die 1. Bundespräsidentin.

Und das alles zu turbulenten Zeiten. Als Professorin begann sie in der heißen Phase der Studentenbewegung, „plötzlich Politikerin“ wurde sie ein Jahr vor dem Mauerfall und blieb es im wiedervereinigten Berlin. Die Integration von DDR-Juristinnen und Juristen und die Verfolgung der DDR-Regierungskriminalität fielen in ihr Ressort als Justizsenatorin. 

Als Präsidentin am Karlsruher Gericht hatte sie kontroverse Entscheidungen wie die zu der Aussage „Soldaten sind Mörder“ oder das „Kruzifix-Urteil“ vor der Öffentlichkeit zu vertreten. Im Goethe-Institut stopfte sie klaffende Finanz­löcher, als Vorsitzende der „Limbach Kommission“, zuständig für die Rückgabe von NS-Raubkunst an die jüdischen Nachkommen, kämpfte sie mit renitenten Museen. 

Somit war sie stets prominent dabei und sogar verantwortlich, wenn es um gesellschaftliche Weichenstellungen ging. Und ganz nebenher zog sie drei Kinder groß und hatte einen Ehemann, der in die Rolle eines „neuen Vaters“ schlüpfte, lange bevor diese neue Spezies auf den Plan trat.

Als lange einzige Juraprofessorin standen Frauen­rechte im Fokus ihrer Forschung und Lehre, machte sie sich stark für eine Frauenquote. Sie in-spi­rierte vor allem Studentinnen, die sie im Hörsaal stets mit „Liebe Ladies“ begrüßte. Die Förderung junger Frauen lag ihr am Herzen und sie kannte kein Pardon, wenn manche von ihnen auf halbem Wege stecken blieben. 

Als Walter Momper 1989 einen Senat mit einer Frauenmehrheit bildete und sie dabei haben wollte, zögerte sie nur kurz: „Nein, Frau, in dieser Situation kannst du nicht nein sagen.“ Mit dem „Hexenfrühstück“ immer vor den Sitzungen schufen sich die politischen Quereinsteigerinnen einen geschützten Diskussionsraum, um gegenüber den männlichen Seilschaften „an einem Strang“ zu ziehen. Und Jutta Limbach brachte neue, humorvolle wie nachdenkliche Töne in die raue Welt der Berliner Politik. 

Vor der Ernennung zur Bundesverfassungs­gerichtspräsidentin machten ihr die eigenen Genossen und Genossinnen das Leben schwer. Oft beklagte sie die „Feigheit der Männer“, die ihr schon in der Berliner Regierungszeit gerne hinterrücks in die Parade fuhren. Aber auch die Frauen. Noch am Tag ihrer Wahl appellierte eine Journalistin an ihr Mitgefühl für die gescheiterte Konkurrentin. Elegant konterte Limbach auf das wenig galante Ansinnen und den Vorwurf, zu „liebedienerisch“ zur Opposition zu stehen. Limbach galt als Politikerin mit Augenmaß, frei nach ihrem Motto: „Man muss es für möglich halten, dass sich die Vernunft auch mal auf der anderen Seite befindet.“ 

Als Präsidentin am Karlsruher Verfassungs­gericht richtete sie das Amt der Pressesprecherin ein, besetzte es – natürlich –  mit einer bewährten Mitarbeiterin, die die verzwickten Entscheidungen prägnant auf den Punkt brachte. Auch den Abschied von den „Schneewittchensenaten“ – eine Richterin unter sieben Richtern war lange die Regel – brachte sie mit auf den Weg, indem sie sich für mehr Frauen am hohen Haus stark machte. 

Mitten in ihre Amtszeit fielen dreimal Anläufe, Jutta Limbach den Weg nach Bellevue zu bahnen. Schon Anfang der neunziger Jahre gab es ein Flüstern im Blätterwald, das in einem zornigen „Jutta for President“ der SPD-Frauen gipfelte. Später hieß es „Frau statt Rau“ und noch später „Frau nach Rau“. Gelassen nahm sie das Gerangel hinter den Kulissen zur Kenntnis, wohl wissend, dass weibliche Kandidaten für das erste Amt im Staat immer nur unter der unzumutbaren Bedingung gehandelt wurden, nicht den Hauch einer Chance zu haben. Für sie war ohnehin mit dem Weg nach Karlsruhe der Lebenstraum erfüllt, obschon ihr Mann Peter die Meldeadresse „Schloss Bellevue“ doch „ganz hübsch“ gefunden hätte.

Dabei hätte sie durch ihre Persönlichkeit dem hohen Amt einen neuen Glanz verliehen. Zum „Limbach-Stil“ gehörte nicht nur das Pochen auf „anständige“ Umgangsformen. Sie selbst zollte dem Mann in der Pförtnerloge wie der Frau hinter der Schreibmaschine den gleichen Respekt wie dem Kollegium. In der Adventszeit lief sie mit selbstgemachten Weihnachtstellern für ihren Stab zur Hochform auf. Zum „Limbach-Stil“ gehörten auch ihre funkelnden Reden ebenso wie ein ganz eigener Kleidungsstil. Am 8. März wählte sie schon mal ein lila Kostüm, ansonsten trug sie mit Vorliebe Blümchenkleider mit weißem Bubikragen. 1992 widmete ihr das Szenemagazin Zitty unter der Schlagzeile „Queen von Berlin“ eine liebevolle Hommage. 

Schon als Schülerin hatte Jutta quietschbunte Kleider auf der Nähmaschine produziert. Später las sie mit Begeisterung die Elle, allerdings die französische Ausgabe, „die ist viel feministischer als die deutsche“. Klein aber fein kam sie daher, ohne auch nur einen Deut des Versuchs, sich auch äußerlich der Männerwelt, in der sie sich so souverän bewegte, anzupassen.

Ende der 1990er Jahre erneut gefragt, ob sie eine Feministin sei, bejahte sie das nun mit Verve. Und auch ihre Vorbildfunktion wies sie nicht mehr zurück. Schließlich zeige das jungen Frauen: „Aha, ich kann sogar eines Tages Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden – das ist doch schön.“   

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