Drohungen gegen Watson waren Fake

#HeForShe: Emma Watson spricht vor den Vereinten Nationen. - © UN Photo/Mark Garten
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Aktualisierung, 24.9.: Die Seite EmmaYouAreNext.com sowie die Drohung, nach vier Tagen Nacktbilder von Emma Watson zu veröffentlichen, waren ein Hoax, ein Internet-Gag. Kurz nach Erreichen der Drei-Tages-Marke blieb der Zähler stehen. Der Link führte nun auf eine Webseite, die „#Shutdown4chan“, die Schließung der Internetplattform „4Chan“ forderte - die kürzlich durch Veröffentlichung von Promi-Nacktfotos zweifelhafte Berühmtheit erlangt hatte (siehe „Die Frau als Beute“). Aber auch diese Kampagne einer vermeintlichen "Social Media Agentur" namens "Rantic" gegen das Leaken privater Fotos entpuppte sich inzwischen als falsch. Wer wirklich dahinter steckt, ist bis jetzt unklar.

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So sieht sie aus, die politische Gegenwart der Frauen im Internet: Knapp 48 Stunden nachdem die Schauspielerin Emma Watson, UN-Botschafterin für Gleichberechtigung, mit entschlossenem Blick an das Rednerpult im Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York trat, um ihre beeindruckende Rede über ihre Kampagne #HeForShe zu halten, startet der Countdown. Vier Tage noch, so steht es drohend auf der Webseite mit der Adresse EmmaYouAreNext.com, die nichts enthält außer ein verzerrtes Foto von Watsons Gesicht, dem besagten Countdown und dem Logo des Online-Messaging-Boards „4chan“. Vier Tage - bis was!?

Dafür braucht frau so kurz nach der Veröffentlichung der Nacktbilder von Jennifer Lawrence & Co auf 4chan nach einem iCloud-Hack nicht so viel Fantasie: Vier Tage noch, und auch du bist du dran, Emma Watson! Dann wird dir das gleiche passieren, wie den ganzen anderen Schlampen: Deine Nacktfotos landen im Netz, wenn du nicht endlich die Fresse hältst.

Viel Wind um nichts? Nur eine leere Drohung? Gibt es überhaupt Nacktfotos von Emma Watson? All das ist völlig egal! Das Signal zählt: Eine Frau, die sich politisch äußert, ist zum Abschuss freigegeben durch einen, vielleicht drei, vielleicht zehn anonyme Irre, die mit ihrer kleinen, billigen Aktion viel Aufmerksamkeit generieren. Denn eine solche Erpressung zeigt sofort Wirkung. Sie macht Angst. Nicht nur Emma Watson, sondern allen Frauen. Was ist wenn mir das auch passiert?!

Aber erinnern wir uns noch mal an vergangenen Samstag, als die zierliche, junge Frau so selbstbewusst vor die mächtigste Institution der Welt trat. Und etwas eigentlich Unerhörtes tat: Emma Watson hielt nicht nur eine Brandrede für stärkeres Engagement der Jungen und Männer dieser Welt für die Gleichberechtigung der Geschlechter. Das ist der Kern ihrer Kampagne #HeForShe. Sie hielt auch eine Brandrede für den Feminismus jenseits aller Klischees.

„Ich wurde vor 6 Monaten zur Sonderbotschafterin für mehr Gleichberechtigung ernannt und je mehr ich über Feminismus gesprochen habe, desto mehr habe ich erkannt, dass der Kampf für Frauenrechte zu oft mit Männerhass gleichgesetzt wird. Das muss aufhören! Feminismus ist per Definition der Glaube daran, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben sollen! Es ist die Theorie der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gleichberechtigung der Geschlechter!

Diese Theorie ist keine Praxis, klagt Watson. „Kein Land in dieser Welt hat die Gleichberechtigung erreicht!“ Weder, was die Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper angeht, noch die Lohngleichheit oder die Partizipationsmöglichkeiten an politischen Entscheidungsprozessen. Und das soll sich ändern.

Für diese Veränderung nimmt Watson die Männer nun in die Pflicht. „Wir brauchen eure Hilfe!“ sagt sie. Für eine Welt, in der weder Frauen noch Männer eingeschlossen sind von Rollenklischees.

Watson stellt im Jahr 2014 eine urfeministische Formel auf: Auch Männer profitieren von der Gleichberechtigung. Und wenn Männer aus ihren Rollenklischees befreit werden, verändert sich die Situation der Frauen auf dieser Welt automatisch mit. Watson: „Wenn Männer nicht aggressiv sein müssen, um akzeptiert zu werden, fühlen Frauen sich nicht gezwungen, unterwürfig zu sein. Wenn Männer nicht herrschen müssen, müssen Frauen nicht beherrscht werden.“

Ihre Kampagne trägt dem Rechnung: Sie funktioniert wie ein Sprungbrett für alle, die zum Botschafter für diese Veränderung werden möchten. Auf der Kampagnen-Webseite können sich Männer namentlich eintragen. Auf einer Landkarte wird angezeigt, wie viele aus welchen Ländern sich dem Aufruf #HeForShe angeschlossen haben. Zu den Unterstützern zählen Präsident Barack Obama, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Schauspieler Matt Damon.

Watsons mutige Rede im UN-Hauptquartier wird immer wieder vom Applaus aus den Rängen unterbrochen. Es ist ein bewegender Moment, offensichtlich auch für Watson selbst, denn ihre Stimme zittert, während sie spricht. Die Schauspielerin, die als Hermine aus den Harry-Potter-Verfilmungen berühmt wurde, kennt das Rollengefängnis, über das sie spricht:

"Als ich acht Jahre alt war, war ich irritiert, denn ich wurde als „bossy“ bezeichnet, nur weil ich bei einem Theaterstück für unsere Eltern Regie führen wollte. Den Jungen ist das nicht passiert. Mit 14 haben gewisse Medien angefangen, mich zu sexualisieren. Mit 15 sind meine Freundinnen aus ihren Sportteams ausgetreten, weil sie nicht zu muskulös werden wollten. Und mit 18 waren meine männlichen Freunde plötzlich unfähig, ihre Gefühle auszudrücken.

Als Emma Watson schließlich die Bühne verlässt, nimmt der Applaus kein Ende. Ihre energische Rede wird noch eine Weile nachhallen. Zu den aktuellen Drohungen hat sie sich bisher nicht geäußert. Als die Nacktfotos ihrer Kolleginnen im Netz auftauchten, twitterte sie: „Noch schlimmer, als die Privatsphäre von Frauen in den sozialen Medien verletzt zu sehen, ist es, die begleitenden Kommentare zu lesen, die einen solchen Mangel an Empathie zeigen.“

Vielleicht hat die Weltfrauenbeauftragte Emma Watson ja nun einen weiteren Punkt ganz oben auf ihrer Agenda: Die Rechte von Frauen in der digitalen Gesellschaft. Ansonsten gilt: Gegenwind ist ein Zeichen von Erfolg. Und Emma Watsons Rede ist genau das. Ein Erfolg.

Die Rede von Emma Watson vor den Vereinten Nationen auf Video.

 

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Die Frau als Beute

Die Frau als Trophäe. Auch Nacktfotos von Jennifer Lawrence landeten im Netz. - © Reuters
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Das ist die Lektion, die Frauen in dieser Woche erteilt worden ist: Du sollst dir kein Bild von dir machen, auf dem du nackt bist. Es wird dir gestohlen und im Internet der Welt vorgeworfen werden. Und dann werden Legionen von Männern damit beginnen, deine Nippel, deinen Hintern, deinen Gesichtsausdruck beim Sex zu besprechen und dich für deine Dummheit zu verhöhnen. Denn für sie gilt: Frauen sind dumm, wenn sie darauf vertrauen, dass man respektiert, wem sie sich nackt zeigen wollen und wem nicht. Jedes Mal, wenn einer es sagt, klingt es, wie es vor 30, 20, 10 Jahren geklungen hat, wenn über eine vergewaltigte Frau gesagt wurde, dass sie einen Minirock anhatte, im Dunkeln nach Hause ging oder ihr Lächeln so missverständlich einladend war. Es ist dieselbe Botschaft: selbst schuld. Wenn du so blöd bist, darfst du dich nicht darüber wundern, was dir angetan wird.

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Gestohlene Nacktfotos ins Netz gestellt - das widerfährt auch nicht-prominenten Frauen.

Man muss sich nichts vormachen. Dass Hacker jetzt Nacktfotos und -videos von über hundert Schauspielerinnen wie Jennifer Lawrence, Kirsten Dunst oder Jessica Brown Findlay gestohlen und ins Netz gepumpt haben, unterscheidet sich nur durch die Prominenz der Opfer von dem, was tagtäglich geschieht. Fappening – wie das Ereignis mit einer Wortkombination getauft wurde, in der "Happening" und "fap" stecken, ein lautmalerischer Slangausdruck für das Geräusch beim Masturbieren – ist eine permanente Veranstaltung, die auch unzähligen nicht prominenten Frauen widerfährt. Um sich davon zu überzeugen, muss man bei Google bloß "Revenge Porn" eingeben – all die Jungs, Ex-Liebhaber, Ex-Freunde, Ex-Männer, die es lustig finden, wenn sie mit der Welt Intimitäten teilen, die fürs Sharing nie vorgesehen waren.

Der Fehler, den die prominenten wie nicht prominenten Frauen angeblich begangen haben: Sie haben ihre Handys und Digitalkameras dazu verwendet, sich nackt oder beim Sex zu fotografieren (oder es ihren Partnern erlaubt). 2014 macht man so etwas, auch deswegen, weil man denkt, man könne es sich leisten. Schließlich muss man die Zeugnisse seines Leichtsinns nicht mehr in Labors tragen, wo irgendein untervögelter oder unterbezahlter Mitarbeiter sie kopieren oder an die Yellowpress verkaufen könnte.

Private Nackt-Selfies und Homepornos kann jeder doof oder ästhetisch anfechtbar finden, wie man bekanntlich alles doof oder ästhetisch anfechtbar finden kann. Aber sie gehen einen nichts an. Sie sind die Sache der Menschen, die sie machen, und das gilt selbstverständlich auch für jene, die auf den A-Listen der Prominenz stehen. Jeder Mensch hat das Recht, sich im Privaten so zu inszenieren, wie er will, jeder Mensch, wenn er damit anderen nicht in die Quere kommt, hat das Recht auf sein eigenes erotisches, schmutziges, sexuelles, versautes Selbst. Und keiner das Recht, sich die Intimitäten anderer zu grapschen.

Frauenkörper sind immer noch so etwas wie Eigentum jener, die sie ansehen.

Doch vermutlich ist es genau das, was Frauen, prominenten wie unbekannten, verdorben werden soll: jene Augenblicke, in denen sie sich noch vormachen, zu ihren Freiheiten gehöre es auch, sich ihre Komplizenschaften, Abenteuer, Neugierden und Identitätsüberschreitungen selbst zu wählen. In unserer Gegenwart sind Frauenkörper immer noch so etwas wie Eigentum jener, die sie ansehen. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegen, werden sie unablässig taxiert und kommentiert – als wären Menschen es anderen schuldig, ihnen zu gefallen. Und wenn sie nicht in die Öffentlichkeit gehen? Steigert es nur den Jagdeifer derer, die es nicht ertragen können, wenn jemand für sich bleiben will. Das Glück des Nichtöffentlichen und des Ignoriertwerdens sollen nur Frauen genießen können, von denen Spanner befinden, sie seien ihrer Blicke nicht wert.

Bei allen anderen soll sich nie der Zweifel verflüchtigen, ob sie nicht doch jemand belauert, in ihr Leben eindringt, sich holt, was ihm nie gehört hat. Und nie sollen sie vergessen, dass sie sich vor dem Gehechel von Spannern und der Bereitschaft von Männern, sie gleichzeitig stimulierend und verachtenswert dämlich zu finden, nur dadurch schützen können, dass sie ihre Nacktheit niemandem mehr zeigen, nicht einmal ihrer Handykamera. Die totalvernetzte Welt ist tatsächlich zu einem globalen Kaff geworden; wer je in einem gelebt hat, weiß, wie es dort jenen Frauen ergeht, die sich Freiheiten herausnehmen. Irgendwann kommt alles raus, und dann Gnade ihnen Gott.

Was es den Männern bringt, die solche Nacktfotos stehlen oder sich mit ihnen wie auch immer vergnügen, obwohl es für sie bekanntlich auch reichlich Stoff gäbe, der aus freien Stücken ins Netz gestellt wurde? Bei der Beantwortung dieser Frage kann man sich getrost auf die Auskünfte verlassen, die man nicht nur von Feministinnen über den Grund von Vergewaltigungen erhält: Es geht um die Demonstration von Macht. Jede Frau soll wissen, dass man sie kriegen kann, dass sie eine Trophäe ist – umso kostbarer, je mehr sie sich darum bemüht hat, sich nicht erbeuten zu lassen.

Die Menschen, die die Fotos verbreitet haben, sind keine Hacker sondern Sexualverbrecher.

Selbstverständlich ist das alles nur ein Sport und ein Jungsspaß, und so wurde der Celebrity-Leak auch inszeniert. Auf Reddit, jener Website, auf der die Öffentlichkeit viele der entwendeten Nacktfotos abgreifen konnte, bis die Angst vor der Polizei schließlich doch stärker wurde als die Triumphgefühle, wurde zu Spenden für die Prostate Cancer Society aufgerufen, weil häufiges Masturbieren angeblich vor Prostatakrebs schützt. (Die Organisation lehnte es umgehend ab, von Idioten unterstützt zu werden, die einen doch fast daran glauben lassen, dass Selbstbefriedigung zu Gehirnschäden führt). Und ein kalifornischer Künstler namens XVALA gab durch, er werde bei seiner nächsten Ausstellung "No Delete" im Oktober auch gehackte Nacktfotos von Jennifer Lawrence und Kate Upton zeigen. Seine Rechtfertigung: "Wir teilen unsere Geheimnisse mit Technologie. Und wenn wir das tun, wird unsere Privatheit für andere zugänglich."

Für Frauen allerdings, die solchen Humor und dergleichen Schlaumeiertum ausbaden müssen, fühlt es sich anders an – daran hat die Schauspielerin Lena Dunham auf Twitter erinnert: "Ganz im Ernst: Vergessen Sie nicht, dass die Menschen, die diese Fotos gestohlen und verbreitet haben, keine Hacker sind. Sie sind Sexualverbrecher."

Ihre Opfer können nun noch so sehr zu vergessen versuchen; man wird sie für den Rest ihres Lebens in Artikeln, Interviews und Weblogs nicht mehr vergessen lassen, dass Ende August 2014 Hacker und im Anschluss daran unzählige Boulevardjournalisten, Blogger und Twitterer über sie hergefallen sind. Und jede Menge technikaffine Interneterklärer, die ihnen und uns allen erklärten, was das alles bedeutet – dass es im Netz und in den Clouds, in denen man sich alleine fühlt, nur dann Privatheit gibt, wenn man sich alle paar Minuten neue Passwörter gibt, die man sich nicht merken kann oder für zweifache Autorisierungen entscheidet. Als ginge es bloß um ein technisches Problem. Und nicht darum, dass Frauen immer noch eine Beute sind, etwas, auf das Jäger und Sammler scharf sind.

Das ist die Lektion, die Frauen in dieser Woche gelernt haben: Im Islamischen Staat verkaufen die harten Jungs die Frauen, die ihnen in die Hände gefallen sind. Im nicht islamischen Staat werden sie im Netz verschenkt.
 

Der Text erschien zuerst in der Welt am Sonntag.

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