Raabs Song Contest – Ein Alptraum!

Bundesvision Song Contest - und keine Frau weit und breit. © ProSieben/Willi Weber
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Conchita Wurst, die Frau mit dem Bart, die im Mai völlig überraschend den „Eurovision Song Contest“ gewann, hat offensichtlich nicht viel verändert: Beim diesjährigen „Bundesvision Song Contest“ von Stefan Raab waren wieder nur die Männer mit den Bärten dran. Und zwar fast ausnahmslos. Der innerdeutsche Musikwettbewerb, den ProSieben am Samstagabend ausstrahlte, war ein geschlechterpolitischer Albtraum. Gewonnen hat in der Jubiläumsshow die Softrock-Band Revolverheld mit dem Song „Lass uns gehen“.

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Die Sieger sind männlich, weiß, und tragen kurze Haare mit gepflegtem Bart.

Da wirkt der in Schlager- und Folklore-Tradition stehende „Eurovision Song Contest“ heute progressiver als Stefan Raabs Gegenentwurf, der einst als Talentshow mit „richtiger Musik“ antreten wollte.

Unter den 16 teilnehmenden, zum Teil etablierten Acts wie dem deutschen Rapper Marteria und dem Singer/Songwriter Andreas Bourani, waren gerade mal zwei Sängerinnen. Und diese beiden Sängerinnen landeten dann auch noch auf den hintersten Plätzen.

Kitty Kat, die im deutschen HipHop keine Unbekannte mehr ist und immerhin schon drei respektable Alben veröffentlicht hat, sogar ganz auf dem letzten. Miss Platnum, die für Berlin antrat (was eigentlich ein Vorteil ist) und ohnehin zu den bekannten Acts des Wettbewerbs gehörte, konnte nur Platz 12 für sich verbuchen. Obwohl sie einen wirklich außergewöhnlichen Song am Start hatte, der das Feiern ohne Geld, dafür mit „Hüftgold“ zelebriert.

Aber so viel smoothe Bekenntnis zu Fett, Spaß und Armut ist dem spießigen Status quo der Raab-Show scheinbar nicht zuzumuten. Sieger sehen im deutschen Pop nämlich so aus: Sie sind männlich und weiß, sie tragen kurze Haare mit gepflegtem Bart, haben eine schlanke Silhouette und bevorzugen bei Anziehsachen die Farben weiß, blau und schwarz. So, wie der sexy Hipster eben dem Klischee nach auszusehen hat.

In einem solchen soulig-angehauchten, vom Machismo des HipHop gestärkten Rockpop für alle gibt es keine Ecken und Kanten, keine Queerness und schon gar keine Frauen mehr. Außer im Background-Gesang. Merke: Wenn du eine Frau im Bild haben willst für die Zuschauerquote, dann hilft nur Chorgesang. Selbst, wenn du in einer Rockband spielst.

Viel Machismo, keine Queerness - und schon gar keine Frauen.

Die einzig gemischte Band an diesem Abend auf ProSieben war die Hamburger Gruppe „Tonbandgerät“ um die gitarre- und bassspielenden Schwestern Isa und Sophia Poppensieker. Aber die Freude, dass es auch mal zwei Instrumente beherrschende Frauen in einer Rockband gibt, wurde uns von der machistischen Gesamtausstrahlung rasch zerstört.

Diese ProSieben Sendung, die ihren Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen sucht, beweist eindeutig, dass der deutsche Pop unter ein emanzipatorisches Niveau zurückgefallen ist, das selbst wir nicht mehr für möglich gehalten hätten. Verwechselt da irgendjemand Popkultur mit Männerfußball?

Ausgerechnet in Zeiten von staatlich ermöglichtem Gender Mainstreaming hat sich in der marktorientierten deutschen Rock- und Poplandschaft der softe Machismo seinen trotzigen Weg gebahnt. Aber daran sind auch die Frauen selbst schuld. Es ist nämlich ein bekanntes Phänomen, dass Mädchen lieber für Jungs als für Mädchen anrufen. Allerdings: Wenn es auch nur zwei weibliche Acts zum Voten gibt...

Mehr von Kerstin und Sandra Grether auf ihrem Blog "Freundinnen der Nacht".

 

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Wie naiv ist Mae Holland?

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Klar, Mae Holland, die 24-jährige Hauptfigur in Dave Eggers vieldiskutiertem neuen Roman „Der Circle“ macht es einem nicht gerade leicht, sie zu mögen. Dabei tut sie doch alles, um zu gefallen! Für den Internetgiganten „Circle“ fährt sie planmäßig Zustimmungsquoten von 100 % ein. Sie schuftet rund um die Uhr für den Monopolisten und hilft, den Datenverkehr und das Privatleben aller Menschen dieser Welt zu kontrollieren in dieser zeitnahen Science-Fiction-Geschichte. Die begeisterungsfähige Mae lässt sich schließlich sogar zum transparenten Menschen machen: Mit Hilfe einer am Körper installierten Kamera kann man sie immerzu beobachten.

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Nur Mae Hollands Körper ahnt, dass etwas schief läuft...

Trotzdem ist das kein „flacher Roman über simple Menschen“, wie unlängst in der taz zu lesen war, noch ist er „arm an Überraschungen und Irritationen“ (FAS). Doch auch in ausnahmslos allen anderen Feuilletons dieses Landes, die diesen „Roman einer Epoche“ zugleich hypen und niedermachen, herrscht die einhellige Meinung, dass Mae Holland eine naive und eindimensionale Person sei. Dabei ist es der „Circle“, der aus Mae Holland am Ende einen stumpfen Charakter macht. Über weite Strecken des Romans ist sie lebendig. „Oberflächlich“ und „dumm“? Weil sie eine junge hippe Frau ist? Oder gefällt es den Herrschaften im Feuilleton nicht, dass Mae Holland in Sachen Begehren sehr aktiv und entschieden handelt? Dabei wissen nur Mae Hollands Körper und ihr Unbewusstes noch, dass was schief läuft…

Wir jedenfalls finden nach Lektüre, dass Dave Eggers seine LeserInnen einlädt, die Untiefen seiner Protagonistin zu ergründen. Oder anders gesagt: Mae Holland verfügt über genau die charakterlichen Ambivalenzen, die einer Romanhandlung den nötigen hintersinnigen Esprit verleihen.

In dem Widerspruch zwischen dem, was ihr Geist, der gebrainwasht wurde, ihr befiehlt, und dem, was der Körper ihr heimlich zuflüstert, liegen die Überraschungen dieses Buchs.

Es ist den Feuilletonisten offensichtlich entgangen, dass Mae sich inmitten dieses totalitären Systems von Ja-Sagern ausgerechnet in den einzigen Menschen verliebt (unsterblich sogar!), der gegen das System des „Circle“ arbeitet: in einen „Spinner“, der die Firmenidylle unterwandert und bekämpft. Am Ende entpuppt ausgerechnet er sich als Firmengründer.

Simple Naivität? Nein! Man zögert, sie ernst zu nehmen.

Es ist nicht neu, dass gesellschaftspolitisch motivierte Romane in der Literaturkritik ähnliche Probleme haben wie junge Frauen in der Gesellschaft: Man zögert, sie ernst zu nehmen. Schade, denn sonst hätte man die Lektüre genießen können! Man hätte sich wohlig gruseln können in der Szene, in der Mae Holland versucht, mit einem gestohlenen Kajak zum am wenigsten beobachteten Punkt der Erde zu gelangen. Ohne dass sie begreifen würde, warum ihr das auf einmal so wichtig ist.

Irgendetwas sträubt sich gewaltig in Mae Holland gegen die Zumutungen des „Circles“, der sich zum Beispiel weigert, ein Sex-Video von ihr zu löschen. Sie will da weg. Kein Grund auch, Mae simple Naivität zu unterstellen, nur weil sie Loyalität gegenüber einer Firma zeigt, die ihren schwerkranken Vater versichert, den keine Krankenkasse mehr aufnehmen will.

Und ganz am Ende, als klar wird, dass die gute Mae trotz aller Nöte und Gründe und Ausbruchsversuche nie mehr die Konsequenzen ihres Handelns begreifen wird - sie hat ihren Ex-Freund mit einem Eine-Milliarde-Menschen-Mob in den Selbstmord getrieben -, da ist der Begriff „naiv“ auch wenig treffend: „gemeingefährlich“ wäre passender…

Hätten die verehrten KritikerInnen womöglich mehr Spaß beim Lesen gehabt, wenn Dave Eggers sich einen männlichen Helden erschaffen hätte, der die „großen Probleme unserer Zeit“ veranschaulicht? Oh, die Literaturgeschichte wäre dann wohl um einen spannenden Charakter, um ein mehrdimensionales Drama, reicher!

Mehr über die Autorinnen auf ihrem Blog „Freundinnen der Nacht“

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Dave Eggers: "Der Circle" (Kiepenheuer & Witsch, 22.99 €)

 

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