Kindergrundsicherung: Lächerlich!

Familienministerin Lisa Paus scheitert erneut.
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Herr Butterwegge, wird die Kindergrundsicherung überhaupt etwas bringen?
Eine nennenswerte Anhebung bisheriger Leistungen für Kinder ist nicht in Sicht. Natürlich wäre es gut, wenn es einfacher wird, Leistungen abzurufen. Der bürokratische Aufwand ist tatsächlich für viele Menschen eine zu hohe Hürde. Aber was ist mit den Familien, die alles korrekt beantragen und trotzdem arm sind? Wo bleiben die nötigen Verbesserungen für sie? Sinnvoll wäre es, endlich den steuerlichen Kinderfreibetrag abzuschaffen und damit höhere Leistungen für Familien zu finanzieren, die mehr Geld brauchen. Oder den Garantiebetrag so hoch anzusetzen, dass er der maximalen Entlastungswirkung des Kinderfreibetrages entspricht.

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Armutsforscher Christoph Butterwegge
Armutsforscher Christoph Butterwegge

Das steht als Wunschziel im Eckpunktepapier.
Ja, das ist aber mit der FDP nicht zu machen. Die Partei lässt nicht daran rütteln, dass zum Beispiel auch Chefärzte, Investmentbanker und Topmanager für ihre Kinder dank des Steuerfreibetrags 354,16 Euro und nicht nur 250 Euro erhalten, wie eine Verkäuferin. Dem Staat sollte das Kind eines Spitzenverdieners jedoch nicht mehr wert sein als das Kind einer Geringverdienerin. Diese grundsätzliche Ungerechtigkeit bleibt vorerst weiter bestehen.

Wie sieht es mit weiteren Eckpunkten, etwa der „Kinderwohnkostenpauschale“ aus?
Sie soll sich am aktuellen Existenzminimumbericht orientieren und liegt derzeit bei zu geringen 120 Euro pro Monat. Bisher wurden die tatsächlichen anteiligen Wohnkosten erstattet, sofern das Jobcenter die Wohnung für angemessen hielt. Auch das Geld für Klassenfahrten oder das Mittagessen in einer Ganztagseinrichtung ist durch den geplanten Zusatzbetrag nicht abgedeckt. Aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sollen nur die 15 Euro pro Monat für kulturelle Teilhabe, die Musikschule oder den Sportverein, und eventuell das Schulstarterpaket im Zusatzbetrag aufgehen. Alle anderen Leistungen müssen die Eltern weiter separat beantragen.

Zwölf Milliarden waren im Gespräch. Nun sind es 2,4 Milliarden. Was halten Sie davon?
Nötig sind mindestens 20 Milliarden Euro pro Jahr, und selbst mit denen kommt man nicht aus, wenn die Kinderarmut wirksam bekämpft werden soll. Die Kindergrundsicherung kommt höchstens in einer Schrumpfversion daher. Kanzler Scholz und die SPD, die den Kampf gegen Kinderarmut auf ihre Fahnen geschrieben haben, halten sich auffällig zurück. Das unwürdige Parteiengezänk findet auf dem Rücken armer Kinder statt, und das in einem so reichen Land wie dem unseren – wo es seit rund drei Jahrzehnten eine sehr hohe Kinderarmut gibt.

SPD und FDP legen den Fokus auf „Arbeit gegen Armut“.
Sozial ist aber längst nicht alles, was Arbeit schafft, sondern nur, was Armut abschafft. Schließlich hat sich die Arbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren halbiert, während die Kinderarmut im selben Zeitraum weiter zunahm. Durch die von der FDP mitgetragene Deregulierung des Arbeitsmarktes ist ein breiter Niedriglohnsektor entstanden, der zwischen 20 und 25 Prozent aller Beschäftigten umfasst.

Wie müsste eine Kindergrundsicherung Ihrer Meinung nach also aussehen?
Sie muss eine Doppelfunktion erfüllen, nämlich sowohl die verdeckte Armut von Familien beseitigen, die zwar anspruchsberechtigt sind, aber – sei es aus Unkenntnis oder Scham – bisher keinen Antrag auf Sozialleistungen gestellt haben, wie auch die Not von Familien lindern, die wegen der Energiepreiskrise und der Inflation kaum noch über die Runden kommen. Wenn man Kinderarmut erfolgreich bekämpfen will, geht das nur auf zwei Ebenen. Einmal individuell, indem man armen Eltern finanziell unter die Arme greift. Aber auch infrastrukturell. Wenn die Gebühren für die Kita-, die Schul- und Ganztagsbetreuung entfallen würden, wären von Armut betroffene Kinder ein Stück weit abgesichert. In den skandinavischen Ländern ist das kostenfreie Mittagessen für Kinder in Ganztagseinrichtungen eine Selbstverständlichkeit – warum eigentlich nicht auch bei uns?

Das Leben mit Kindern ist teuer.
Allerdings, zumal die Kindheit in Deutschland gezielt ökonomisiert und durchkommerzialisiert wird. Als ich jung war, kostete der Eintritt ins Freibad zehn Pfennig. Wenn Sie mit Ihren Kindern heute in ein Spaßbad gehen, ist es besser, Sie haben einen 50-Euro-Schein dabei. Zu einem guten Kinderleben gehört aber auch, mal ins Kino, ins Eiscafé, in den Zoo, in den Zirkus oder auf die Kirmes gehen zu können.

Hat unsere Gesellschaft den Gemeinsinn aus den Augen verloren?
In Westdeutschland wurde nach 1945 fast alles ins Private und auf den Markt gelenkt. Man förderte die Automobilindustrie; andere Länder haben lieber ihre Eisenbahnstrecken ausgebaut. Und die Pandemie hat nicht bloß die soziale Ungleichheit verstärkt, sondern ärmeren Menschen, und dabei besonders den Frauen und ihren Kindern gezeigt: Ihr könnt sehen, wo ihr bleibt. Der gesellschaftliche Zusammenhalt leidet enorm.

Was müsste passieren?
Nur, wenn genügend Kindertagesstätten, gut ausgestattete Schulen und ausreichend Freizeitangebote – vom öffentlichen Hallenbad über den Jugendtreff und das Museum bis zum Tierpark – vorhanden sind, kann verhindert werden, dass ein Großteil der nachwachsenden Generation unterversorgt und perspektivlos bleibt. Kita, Schule, Ganztagsbetreuung, Mittagessen und Mobilität müssen kostenfrei, die soziale Teilhabe und der Zugang zu kulturellen Angeboten selbst für Mitglieder armer Familien bezahlbar sein. Dann wären Kinder wirklich auf der sicheren Seite.

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