Modell SOEss

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Der Zeiger auf der Waage steht zwischen „Haare“ und „Zähne“. Würde er noch weiter Richtung 30 Kilo wandern, stünde er schließlich auf „Leben“. Mit Postkarten-Aktionen und Zeitungsinseraten, die bildlich darstellen, was im zwanghaften Kampf ums extreme Dünnsein auf dem Spiel steht, hat die österreichische Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (ÖVP) den Hungerwahn im ganzen Land zum Thema gemacht. „Wenn die Seele hungert – wer zuviel abnimmt, verliert mehr als nur ein paar Kilo“ lautet der Titel der Kampagne, die die Ministerin im Mai 2007 startete. 200.000 Österreicherinnen, so schätzt das Wiener Beratungs- und Informationszentrum für Essstörungen „sowhat“, leiden unter Magersucht oder Bulimie.

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Für Kdolsky, 45, und seit März 2007 in Ministerinnenwürden, war die Anti-Essstörungsoffensive eine ihrer ersten Amtshandlungen. Der bis vor kurzem noch praktizierenden Ärztin kommt dabei ihr persönliches Standing zugute: Mit ihrer barocken Figur steht die genussfrohe Ministerin kaum im Verdacht, dem Schlankheitswahn verfallen zu sein. Und seit Kdolsky ihre Üppigkeit in einem Interview gelassen als „Wohlfühlgewicht“ bezeichnete und von Schweinebraten schwärmte, gewann sie im Land der Sachertorten und Germknödel zusätzliche Sympathien.

Zum Kampagnenkoordinator ernannte die Ministerin einen jungen Mann, der weiß, wovon die Rede ist: Bernhard Wappis, 31, hat sich selber zehn Jahre lang mit Magersucht und Bulimie herumgequält und darüber das Buch „Darüber spricht man nicht“ geschrieben. Heute leitet Wappis Selbsterfahrungsgruppen für Männer mit Essproblemen. „Ziel ist es, die Bevölkerung zu informieren und Betroffene und ihre Angehörigen an Beratungsangebote heranzubringen“, erläutert er. Dabei machen eine ganze Reihe prominenter Unterstützerinnen und Unterstützer mit. Etwa die Ernährungsberaterin Sasha Walleczek, die mit der Sendung „Du bist, was Du isst“ im privaten österreichischen Fernsehkanal ATV bekannt geworden ist: Sie outete sich als früher selbst von Binge-Eating-Fressanfällen Betroffene. Oder den Designer des österreichischen Modehauses Liska, Thang de Hoo, der die „übersteigerten Schönheitsideale“ der Modebranche anprangert. Und auch die Chefredakteurin der Frauenzeitschrift Woman, Euke Frank, und der Werber Rudi Kobza sind mit im Boot.

Mit einer ganzen Maßnahmenpalette von Plakaten und Postkarten über Radio- und Fernsehspots bis zur Telefon-Hotline hievten Kdolsky, „sowhat“ und MitstreiterInnen das Thema aus dem Dunkelfeld ins Licht der Öffentlichkeit. Dabei scheute sich die Ministerin auch nicht, auszusprechen, dass es – neben dem Medienbeschuss mit Magerbildern – weitere Gründe beim gestörten Verhältnis von Mädchen und Frauen zu ihrem Körper gibt: „Bei der Entstehung von Essstörungen spielen auch Missbrauch und Misshandlung eine Rolle“, erklärte Kdolsky.

Die politische Kampagne hatte Erfolg: Über Monate berichteten die österreichischen Medien über „Erwachsene Frauen in Kinderkörpern“ und prangerten an, „wie Modelshows und Internetforen den bedenklichen Diätwahn verharmlosen“.

„Eidotter und Zucker verrühren, Schokolade schmelzen und gemeinsam mit der Milch beigeben“, schmeichelt sich eine sonore Männerstimme in die Ohren der RadiohörerInnen. Dann folgt eine weibliche Stimme mit der Ernüchterung: „Für 200.000 Österreicherinnen ist jedes Essen ein Horror. Hilfe bei www.sowhat.at“. Die Hotline lief heiß: Allein in den ersten zwei Wochen der Kampagne fragten 15.000 betroffene Mädchen, besorgte Freundinnen und verzweifelte Mütter um Rat.

Eine tragende Säule der Kampagne ist auch die Wiener Frauengesundheitsbeauftragte Beate Wimmer-Puchinger. Die Psychologin kämpft bereits seit 1998 gegen den Schlankheitswahn. Repräsentative Befragungen von Schülerinnen in der Hauptstadt hatten schon vor Jahren ergeben: 90 Prozent der Mädchen sind unzufrieden mit ihrem Körper, die Hälfte war schon auf Diät, ohne übergewichtig zu sein, jede sechste hatte bereits absichtlich erbrochen, um ihr Gewicht zu reduzieren. So startete auch Wien unter der Ägide der Gesundheits-Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) die Intitiative „S-O-Ess“. Motto: „No Body is Perfect“. Symbol: Eine Schleife in Form eines zerrissenen Maßbandes. Kern der Wiener Kampagne ist ein Manifest, dessen UnterstützerInnen sich verpflichten, „ein gesundes Frauenbild in der Öffentlichkeit mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu fördern“. Dazu gehört zum Beispiel: Keine Models unter 15 Jahren auf den Laufstegen oder in den Kollektionen nur Kleider ab Größe 34 und die Zusage, „gegen die Verwendung von Bildern mit offensichtlich essgestörten und/oder zu mageren Frauen aufzurufen sowie gegen redaktionelle Inhalte, die – etwa in Diätbeschreibungen – den Schlankheitskult verherrlichen und den Körper der Frau – und zunehmend auch den des Mannes – zur ‚Problemzone‘ erklären.“

Die (von Präsidentin Brigitte Jank geführte) Wiener Wirtschaftskammer unterstützt die Kampagne ebenso wie der Designer Nhut La Hong, die Models Cordula Reyer und Melanie Scheriau oder die Chefin der Agentur „Wiener Models“, Andrea Weidler, die ihre Branche scharf kritisiert: „Wenn ich mir diese dürren, kranken Kinder auf den Laufstegen internationaler Modeshows anschaue, wird mir klar, dass in den vergangenen 30 Jahren etwas Grundlegendes schiefgelaufen ist. Größe 32 ist frauenfeindlich!“ Deshalb ist die Agenturchefin in einen Größenstreik getreten: „Wenn für eine Modeshow auf Größe 32 zugeschnitten wird, dann gibt es bei uns eben niemanden, der diese Mode tragen kann.“

Es wäre schön, wenn wir solche Statements demnächst auch von deutschen Modelagenturen hören würden.

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Dossier: Gegen Diätwahn (2/08)

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