In der aktuellen EMMA

Onlyfans & die Mädchen nebenan

Schnelles Geld bei Onlyfans? Von wegen! - Foto: Pond5 Images/IMAGO
Artikel teilen

Die junge Frau räkelt sich auf dem Bett, präsentiert ihren Hintern der Kamera und beginnt, den knappen Slip auszuziehen. Sie strippt für die Kamera, die ihre Bilder in Echtzeit an ihre Zuschauer überträgt. Doch wer Frauen wie Katja Krasavice beim Ausziehen und Masturbieren zuschauen möchte, der muss Geld bezahlen.

OnlyFans, die Internetplattform mit Sitz in London, hat das Geschäft mit pornografischem Material vom Mädchen von nebenan revolutioniert. 187 Millionen Kunden weltweit zählt das Portal. Über drei Millionen Frauen liefern die Inhalte. Instagram hat den Weg für die Selbstvermarktung des weiblichen Körpers vorgezeichnet, OnlyFans hat ihn perfektioniert. Was bei Instagram und Co. verboten ist, ist bei OnlyFans Prinzip: unzensierte Nacktfotos und Pornografie. Während InfluencerInnen auf Instagram über Werbeeinnahmen zu Geld kommen, erhalten Frauen, die ihren Körper auf OnlyFans anbieten, direkt Geld von ihren Followern. Frauen können sich auf der Internet-Plattform anmelden, Fotos und Videos hochladen und zwischen zehn und 50 Dollar pro Stück verlangen. Und dann hoffen sie auf die vielen „Fans“, die exklusives – und teureres – Material von ihnen wollen. OnlyFans stellt die Plattform bereit, übernimmt die finanzielle Abwicklung und behält dafür 20 Prozent der Einnahmen.

Die Anbieter, die sogenannten „Content-Creaors“, meist Frauen, ziehen blank, sie posen oder masturbieren vor der Kamera. Manche laden auch Sex-Videos hoch. Ihre Kunden, meist Männer, bezahlen für den Zugang zu diesen Inhalten. Finden die das Userprofil einer Frau spannend, können sie unterschiedlich hohe monatliche Beträge zahlen, die ihnen Zugriff auf unterschiedlich exklusive Fotos und Videos geben. Und sie können per Chat Wünsche äußern: Mach doch mal dies, mach das. Für die Abonnenten verspricht die Plattform so das „ultimative, individuelle Nutzervergnügen“, denn anstelle pornografischer
„Standardware“, die man allenthalben kostenlos im Netz finden könne, habe man hier persönlichen Kontakt zu dem „Girl Next Door“.

Für die Mädchen von nebenan steht dagegen das Märchen von der selbstbestimmten Vermarktung des eigenen Körpers im Vordergrund: Schnelles Geld, viel Geld, großer Erfolg, für einen geringen Einsatz. Davon künden ungezählte Online-Artikel, Videos und Podcasts, regelrechte Werbekampagnen für die Plattform. OnlyFans sei sicher, heißt es – denn alles laufe ja nur virtuell.

Ein OnlyFans-Girl berichtet in einem Podcast, dass da, wo sie herkomme, dem Westen der USA, eigentlich alle ihre Freundinnen OnlyFans als Verdienstquelle nutzen. Angesichts der großen Zahl von Straßenprostituierten störe sich doch wohl niemand an ein paar OnlyFans-Nacktbildchen. Sie ist überzeugt, dass sie selbst bestimmt, was sie hochlädt und wann ihre Bilder von der Plattform verschwinden. Aber das stimmt nicht.

Die Bezahlschranke, hinter denen sich die Inhalte zunächst verbergen, wiegt allzu viele Content-Herstellerinnen in trügerische Sicherheit: Tatsächlich aber ist es ein Kinderspiel, Screenshots von den  Darbietungen zu erstellen, Inhalte zu kopieren und auf andere Websites hochzuladen. Bekanntlich vergisst das Internet nie. Man muss also davon ausgehen, dass Content-Produzentinnen noch in Jahrzehnten von ihren Jugendsünden verfolgt werden.

„Jugendsünden“ ist nicht übertrieben, denn eine Recherche der BBC legte offen, dass es auch Jugendlichen gelang, sich auf der Plattform anzumelden, obwohl man angeblich über 18 Jahre alt sein und sich bei der Anmeldung ausweisen muss. Offensichtlich versagte das Authentifizierungsverfahren. Die Folge: Auch Teenager konnten Nacktbilder und Masturbationsvideos hochladen. Die BBC-Recherche berichtet weiterhin von einem Mädchen, dessen Nacktbilder gegen ihren Willen zunächst in der Schule kursierten und dann von einem Unbekannten auf OnlyFans hochgeladen wurden. Das Rechercheteam stieß sogar auf kinderpornografisches Material, das jüngste Opfer war fünf Jahre alt.

Die Aussicht, Geld mit pornografischen Inhalten zu verdienen, öffnet den Tätern Tür und Tor für Missbrauch jeglicher Art. Frauen berichten von Rache-Pornografie, also Fotos und Videos von Ex-Freunden, die ohne das Wissen der Betroffenen ins Netz gestellt werden.

Zudem entwickelte sich, als die Plattform startete, rasch das Geschäftsmodell „Fuck a Fan“, bei dem die Creatorinnen anboten, mit ausgewählten (und meistbietenden) Fans auch im echten Leben Sex zu haben. Das hat OnlyFans inzwischen verboten, aber die Girls weichen mit ihren Angeboten problemlos auf andere Social-Media-Kanäle wie X (vormals Twitter) aus. Und werden auch dazu gedrängt.

Denn überall, wo Prostitution, egal in welcher Form, stattfindet, sind Zuhälter nicht weit. In der schönen neuen OnlyFans-Welt nennen sie sich „Manager“ und erhalten im Netz maßgeschneiderte Tutorials, wie sie dabei am besten vorgehen.

Das wiederum deckte eine Recherche des Online-Reportage-Portals „Y-Kollektiv“ auf: Junge Frauen hatten davon erzählt, wie sie auf OnlyFans von Männern ausgebeutet wurden, die bis zu 50 Prozent ihrer Einnahmen einstrichen. Die Anleitung dafür fanden die Männer wohl auf „ChampLife“, einem Netzwerk, das Coachings für Männer anbietet, und ihnen erklärt, wie sie Frauen in die Porno-Arbeit und Prostitution treiben. Die Methode basiert darauf, junge Frauen emotional abhängig zu machen und sie zum Erstellen immer expliziterer Inhalte zu verführen. Es ist das in der traditionellen Prostitution bekannte Prinzip „Loverboy“.

Und nicht selten landen die Frauen nach der virtuellen Prostitution auf OnlyFans in der Prostitution auf der Straße oder im Bordell. Wie es zum Beispiel der Fall von Roxie Roots zeigt. „Ich habe mit Modeln auf OnlyFans angefangen, dann Fetisch-Fotografien gemacht und bin schließlich als Domina in der Prostitution gelandet. Das war für mich damals ‚sexpositiver Feminismus‘ – also bei nichts mehr Scham zu empfinden, alles mitzumachen und keine Grenzen mehr zu haben.“ Die 34-Jährige bereut inzwischen ihre vier Jahre bei OnlyFans und engagiert sich heute für das „Nordische Modell“: für die Bestrafung der Freier und Ausstiegshilfe für die Frauen. Zu viele fallen immer noch auf die Erzählung vom „Girl-Boss“ herein, der Frau, die sich selbstbestimmt vermarktet und Macht über die Männer hat.

Im Business-Insider-Interview erzählt der deutsche „OnlyFans-Star“ Bonny Lang (1.300 hochgeladene Bilder, 36 Videos, 27.200 Follower) freimütig von ihrem „Management“, das 50 Prozent ihrer Einnahmen nach Steuern einstreicht: Weil es sich um ihre Steuer kümmere. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Doch jeder Zweifel an solchen Geschäftspraktiken wird von den Frauen selbst im Keim erstickt: „Die eigene Chefin zu sein, fühlt sich gut an“, beteuert Lang. Eine eigene Chefin mit eigenem Management.

Dass OnlyFans-Prostitution vor allem für einkommensarme, bildungsferne oder alleinerziehende Frauen eine vermeintlich lukrative Alternative darstellt, dürfte klar sein. In diesem Kontext mag man an die vulgärmarxistische Aussage Laurie Pennys denken, wonach man über Sexarbeit als Ausbeutungsform doch bitte schweigen solle, solange Arbeit unter kapitalistischen Vorzeichen stets die Form der  Ausbeutung annehme. Na dann!

Der Mythos von der „selbstbestimmten Sexarbeit“ und fortschrittlichen Libertinage wird auch in den klassischen Prostitutionsdebatten stets von jenen „Sexarbeiterinnen“ vorgebracht, die in jeder Hinsicht privilegiert sind – als Escort oder gar Bordellinhaberin. Dass sie die Realität der Masse der Prostituierten nicht widerspiegeln, liegt auf der Hand. Dasselbe gilt auch für die „sagenhaft reichen“ OnlyFans-Creators – das zeigt nicht zuletzt ein Blick in die Statistik: Von über zwei Millionen aktiven Nutzerinnen haben lediglich dreihundert mehr als eine Million Dollar verdient, also 0,015 Prozent.

Das Medianeinkommen der sich Online prostituierenden Frauen liegt bei gerade einmal 180 Dollar im Monat, vor Steuern, also circa 140 Dollar netto. „Median“ bedeutet, dass die Hälfte der aktiven Nutzerinnen weniger als 140 Dollar damit verdient, ihren Körper im Netz darzubieten. Mit Verlaub, diese Summe bekäme man auch mit einigen Stunden Kellnern zusammen. Übrigens gelang OnlyFans der Sprung zur boomenden Plattform just in der Corona-Pandemie: Millionen von Männern saßen vor ihren Bildschirmen; zeitgleich verloren hunderttausende junge Frauen ihre Einkommensquellen als Kellnerinnen oder anderweitige Aushilfskräfte.

Auf den Boom folgte eine Übersättigung mit Inhalten. Also erstellen Creators wie die YouTuberin MelRose Michaels nun „Coachings“, die erklären, wie man auf OnlyFans viel Geld verdient. Dabei zählen zu den Top-Verdienerinnen auf OnlyFans mit Rapperin Cardi B, Schauspielerin Bella Thorne oder YouTuberin und Rapperin Katja Krasavice nicht zufällig Personen, die bereits vor ihrer OnlyFans-Zeit Millionen von Instagram- und X-Followern hatten. Krasavice bedient mit ihrem Look bewusst Plastik-Pornofantasien: Blondierte Haare, lange Nägel, aufgespritzte Lippen, vergrößerte Brüste. Als Jurorin der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“, die auch viele Kinder anschauen, gelang ihr der Durchbruch. Aber wer nicht schon zuvor ein „Star“ ist, dem bleiben eben die 140 Dollar im Monat und ein lebenslanger bitterer Nachgeschmack.

Ausgabe bestellen
Anzeige
'

Anzeige

 
Zur Startseite