Alice Schwarzer schreibt

Paris: Begegnung mit den Femen

Sasha, Yana und Oksana sind aus der Ukraine geflohen. - Fotos: Bettina Flitner
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Sie sitzen mir gegenüber in dem lichten Dachboden des Off-Theaters „Lavoir“ mitten in dem überwiegend schwarzen und arabischen 18. Arrondissement. Direkt vor der Türe die von ihnen so bekämpfte Prostitution. Junge Mädchen und Familienmütter, die, aus offensichtlicher Not, auch schon mal für 10 Euro mitgehen in den nächsten Hinterhof. Der weiträumige Dachboden ist seit über einem Jahr der Trainingsraum der französischen Femen. Zurzeit dient er den Ukrainerinnen auf der Flucht auch als Schlafraum. In einer mit Vorhang abgetrennten Ecke liegen drei Matratzen auf dem Boden.

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Drei der vier geflohenen Femen sind jetzt in Paris, die vierte, Anna Hutsol, ist bei ihrer Schwester in der Schweiz. Vor erst zwölf Tagen, am 29. August, haben sie nachts um 23 Uhr die Polizeistation in Kiew verlassen. Sie sind gar nicht mehr in ihre Wohnungen, denn sie mussten befürchten, dass man dort – ganz wie in dem Kiewer Fementreff – Waffen „finden“ würde, angeblich. Die Frauen schwören, dass man ihnen diese Waffen untergeschoben habe, um einen Vorwand zu haben für die Anklage wegen „Terrorismus“. Das hört sich glaubhaft an und ist eine übliche Methode.

Die vier übernachten bei Freunden und beantragen gleich am nächsten Morgen ein Visum bei der französischen Botschaft. Frankreich, weil es das westeuropäische Land mit der aktivsten Femengruppe ist und der größten Sympathie für diese Art von fantasievollem, anarchistischem politischen Aktivismus. Am nächsten Tag verlassen die vier Frauen ihre Heimat, mit Handgepäck.

Links neben mir auf dem durchgesessenen Sofa sitzt die mädchenhafte Oksana Shachko, sie ist mit 16 von zuhause weg und von Beruf Malerin. Ihre beiden Unterarme sind vergipst. Auf der Flucht vor der Geheimpolizei ist sie von der Mauer gesprungen und hat beide Arme gebrochen. Gekriegt haben sie sie und die drei anderen dann doch noch.

Neben ihr die bei Aktionen so strahlende Sasha Shevchenko, von Beruf Volkswirtin. Rechts die ernste Yana Zhdanova, eine studierte Kulturwissenschaftlerin. Alle drei Mitte zwanzig. Und gerade fängt eine ganz neue Etappe in ihrem Leben an. Sie sind allein, sie haben keine Wohnung, keine Arbeit, kein Geld. Aber sie scheinen entschlossen, weiterzumachen. „Wir müssen jetzt einen Schritt weitergehen“ sagt Sasha, „etwas Neues entwickeln.“

Seit Sommer 2008 schockieren die Femen mit auf bloßer Haut gemalten Politparolen die Öffentlichkeit: gegen Prostitution und Menschenhandel („Frauen sind keine Ware“), gegen den Islamismus („Keine Scharia! Nackte Brüste gegen Islamisten“) und, seit 2011, zunehmend auch gegen die Diktatoren in aller Welt, allen voran ihre quasi hauseigenen, Lukaschenko und Putin. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Spätestens ab da musste klar sein: Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Auch in der ukrainischen Opposition wurde Kritik an den barbusigen Amazonen laut. Die diesjährige Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels, Svetlana Alexijewitsch, allerdings begrüßte die Aktionen der Femen ausdrücklich und erklärte in einem Interview, dass sie sie für ihren Mut bewundert.

Seit ein paar Tagen nun machen die Femen nicht mehr Schlagzeilen mit ihren Protestaktionen in der Öffentlichkeit, sondern mit einem Mann in ihrer Mitte: Viktor Swjatski, ein „politisierender Philosoph“. Er war „wie einige andere Freunde auch“ zu den Femen gestoßen. „Es gibt ja Männer, die Feministen sind“ sagt Sasha. Und: „Wir haben viel von ihm gelernt. Zum Beispiel mit welchem Blick Männer auf Frauen sehen. Und auch, keine Angst mehr vor körperlichen Attacken zu haben.“ – Vielleicht ja auch die Femen als Kaderorganisation aufzubauen, die sich angewöhnt hatte, ihren West-Filialen herrische Befehle zu erteilen.

Zunehmend machte Viktor sich wichtiger. Der Politprofi dominierte die Gruppe – und wurde eine Belastung für die Frauen. Statt Unterstützer und Inspirator. Also taten sie etwas, was typisch ist für die Femen: Sie machten es öffentlich. „Wir dachten“ sagt Sasha, die als einzige wirklich Englisch spricht, „dass andere Frauen davon lernen können. Wenn sie sehen, dass selbst wir nicht nur gegen die Tyrannen draußen kämpfen müssen, sondern auch gegen die Tyrannen drinnen.“

Die Australierin Kitty Green, die die Femen zwei Jahre lang mit der Kamera begleitet und auch für sie gearbeitet hat, präsentierte am 4. September auf dem Filmfestival von Venedig einen Dokumentarfilm über die Gruppe – in Anwesenheit und mit Zustimmung der Ukrainerinnen. Ich kenne den Film nicht, denn es gibt bisher keine DVD, die Filmemacherin will ihn „zunächst auf Festivals vorführen.“ Der Film „Ukraina ne Bordel“ („Die Ukraine ist kein Bordell“) geht über 78 Minuten und Viktor ist nur ein Nebenthema, doch für die Medien ist er seither Hauptthema.

Höhöhö. Die Amazonen sind in Wahrheit die Marionetten eines Mannes. Wenn das keine hübsche Pointe ist in der Geschichte der frechen, radikalen, mutigen Femen. Jetzt berichten sogar Medien, die die so schillernden Feministinnen bisher ignoriert hatten.

Wir sitzen nun seit über einer Stunde in dem Pariser Übungsraum, dem „europäischen Hauptquartier“ wie die Femen sagen, die es gerne eine Nummer größer haben. Überhaupt scheinen sie der Überzeugung, sie seien die ersten Feministinnen, bei denen es mal so richtig zur Sache geht. Aber da sind sie ja nicht die einzigen ihrer Generation.

Als ich sie kritisch auf ihre Aktion in Tunesien anspreche, weil ihre im Westen zu Recht provokante Art im islamischen Kulturraum nur das Klischee vom westlichen Feminismus bestätigt habe, wehrt Sasha ab. Sie ist überzeugt, dass die drei Aktivistinnen aus Frankreich und Deutschland sowie die Tunesierin Amina nur freigekommen seien dank des Femen-Protestes in Tunesien. Doch Realität ist, dass die vier Frauen freigelassen wurden, weil im Hintergrund viele Menschen viele Strippen gezogen haben: darunter Kanzlerin Merkel, die beim tunesischen Präsidenten persönlich ein Wort für die Femen einlegte, und die Philosophin und Schriftstellerin Elisabeth Badinter, die sich um einen guten Anwalt für Amina kümmerte. Es ist bitter aber keineswegs überraschend, dass die von den Femen zunächst so begeisterte 19-jährige Amina sich jetzt öffentlich von ihnen wegen „Islamfeindlichkeit“ distanzierte – das wird der Preis dafür sein, dass man wohl „Gnade vor Recht“ walten lassen wird.

Wenige Tage, nachdem die französischen Femen aus Tunis zurück waren, brach Feuer im obersten Stock des Femen-Trainingsraums aus. Da, wo die Zimmer sind, in denen so manche Aktivistin ab und an übernachtet. Die Brandursache ist bis heute nicht geklärt.

Plakatgroße Zeichnungen an der Wand des Trainingsraumes demonstrieren den Neueinsteigerinnen, die hier von der vor einem Jahr nach Frankreich gegangenen Inna stramm trainiert werden, wie es geht. Fest und breitbeinig dastehen (70 – 75 Zentimeter Abstand zwischen den auf flachen Sohlen stehenden Füßen)! Den Slogan auf den bloßen Brustkorb, auf den Bauch schreiben, den Blumenkranz auf’s Haar drücken! Nicht lächeln, aggressiv sein! Nicht weichen, wenn die Polizei kommt („Du hast das Recht zu protestieren“)! Widerstand leisten! Weitermachen, wenn sie dich abschleppen! Und dich schlagen!

Mag sein, dass auch hier diese oder jene Anregung von Viktor ist. Falsch ist sie darum noch lange nicht. Und außerdem: Ist der Frauenbewegung der 1970er Jahre nicht immer vorgeworfen worden, es sei männerfeindlich, wenn sie die Männer von ihrer politischen Arbeit ausschließt? Nun, 40 Jahre später, wird den Femen vorgeworfen, es sei dumm, wenn sie Männer mitmachen ließen. Was denn nun?!

Während wir reden, trödeln die Französinnen rein. Ein rundes Dutzend sind sie im harten Kern in Paris. Morgen haben sie einen Prozess wegen Beschädigung der Glocken von Notre Dame. Nein, in den Glockenturm sind sie nicht gestiegen. Die neuen Glocken waren zur 850-Jahr-Feier vor dem Altar ausgestellt worden – und die Femen hatten aus Protest gegen die Frauen- und Homosexuellenfeindlichkeit der katholischen Kirche mit Stöcken dagegen geschlagen. Halb nackt, versteht sich. Was für Erregung sorgte.

Wie es nun weitergeht? Die drei erschöpften Frauen vor mir wissen es selber nicht. Sie wissen nur eins: Sie wollen weiter kämpfen. Und dazu brauchen sie nicht unsere Häme - sondern unsere Solidarität.

Über Sashas linkem Busen, da wo das Herz sitzt, ist in zarter Schreibschrift ein Satz tätowiert. Auf ukrainisch. Was er bedeutet? „Lernen, lernen, lernen.“ Der Satz ist von Lenin. Auch ein Mann.

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