Rauchen ist sexy & emanzipiert

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Ihr Institut hat gerade verkündet: „Die Tabakepidemie hat die Frauen erreicht“ und dazu alarmierende Zahlen veröffentlicht.
Dr. Martina Pötschke-Langer: Die Zahl der Raucherinnen ist in den letzten 30 Jahren kontinuierlich angestiegen. Und zwar auf heute fast 30 Prozent. Besonders dramatisch ist aber die Entwicklung der letzten zehn Jahre: In dieser Zeit haben vor allem die Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren exorbitant zugelegt. Jede vierte in dieser Altersgruppe raucht. Das heißt: Die Mädchen haben inzwischen die Jungen erreicht und in Ostdeutschland raucht sogar jede zweite junge Frau!

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Woran liegt der verstärkte Griff der ostdeutschen Frauen und Mädchen zur Zigarette?
Die Tabakindustrie hat nach der Wende ganz gezielt den ostdeutschen Markt ins Visier genommen und ihn mit großflächigen Werbekampagnen überzogen. Vorher gab es dort ja gar keine Zigarettenwerbung. Und offenbar verbinden die ostdeutschen Frauen das Rauchen sehr stark mit westlichem Lebensstil und mit dem Bild der modernen Frau. Und das, obwohl die Frauen in der DDR ja im beruflichen Bereich viel emanzipierter waren als die Frauen im Westen.

Nun ist ja der Griff der Frauen zur Zigarette tatsächlich der Griff zu einem männlichen Privileg gewesen. Bei den Nazis hieß es noch: „Eine deutsche Frau raucht nicht!“
Davor, ab den 20er Jahren, hat die Zigarettenindustrie versucht, das Bild der emanzipierten Frau klischeehaft mit der Zigarette zu verknüpfen. Sie hat zum Beispiel Models in die Kluft der Suffragetten gesteckt und sie rauchend durch New York laufen lassen. Das war damals ein Skandal, denn in den 20er Jahren rauchten Frauen ja noch nicht öffentlich, und wenn sie es taten, dann erregte das wirklich Aufsehen – so wie Marlene Dietrich in Hosen und mit Zigarette im Mundwinkel in Hollywood. Und in den 1950er Jahren, als die Trümmerfrauen sich die Seele aus dem Leib geschuftet haben, hat die Zigarettenwerbung die Frauen als starke Personen gezeigt, oft im Gespräch mit Männern. Diese Strategie der Tabakindustrie ist – leider Gottes, muss ich sagen – äußerst erfolgreich gewesen. Ganze Frauengenerationen sind auf diese Strategie hereingefallen.

Interessanterweise ist ja die Zahl der Raucherinnen nach dem Krieg exakt mit der zweiten Frauenbewegung enorm angestiegen: Zwischen 1960 und 1979 schnellte die Zahl der rauchenden Frauen von 4,7 auf 7,7 Millionen – während in der gleichen Zeit die Männer immer weniger rauchten.
So ist es! In dieser Zeit habe ich übrigens auch selber geraucht. Ich war damals in der Heidelberger Frauengruppe und in Frauengruppen an der Uni, und da gehörte das Rauchen einfach zum Lebensstil dazu. Das war Ausdruck von Aufsässigkeit und Rebellion. Denn auch in den 60er und 70er Jahren wurde eine Frau, die öffentlich rauchte, immer noch beachtet. Und wir wollten mit unseren Wünschen und unseren Forderungen schließlich beachtet werden. Was wir aber nicht begriffen haben, ist, dass die Tabakindustrie sich die Frauen als Zielgruppe ausgesucht hatte. Sie haben zum Beispiel die Zigaretten mit Zusatzstoffen so verändert, dass sie für Frauen rauchbar wurden. Denn die Zigaretten der 50er Jahre waren ja entsetzlich! Die kratzten im Hals, die taten weh, die konnten Sie überhaupt nicht inhalieren. Philip Morris hat dann mit den leichteren Produkten in den 60er Jahren begonnen, und die anderen Markenhersteller haben sofort nachgezogen. Und auch die Werbebilder haben die damalige Stimmung aufgegriffen. Ich kann mich noch gut erinnern an ein Motiv mit einer Frau in den Hippieklamotten, die wir damals trugen.

Nun hat das deutsche Krebsforschungs­institut Alarm geschlagen.
Ja. Eigentlich hatten Frauen noch nie eine so hohe Lebenserwartung wie heute. So zeigen EU-Daten, dass weibliche Neugeborene heutzutage durchschnittlich die Chance haben, 80 Jahre alt zu werden. Männliche Neugeborene werden im Schnitt 74 Jahre alt. Und jetzt kommt’s: Eine Studie aus Großbritannien, bei der die ausschließlich männlichen Teilnehmer 50 Jahre lang beobachtet worden waren, konnte nachweisen: 80 Prozent aller Nicht­raucher erreichten das 70. Lebensjahr, aber nur 50 Prozent aller Raucher. 33 Prozent aller Nichtraucher erreichten das 85. Lebensjahr, aber nur acht Prozent aller Raucher. Das war, wie gesagt, eine Männerstudie. Doch durch die Angleichung der Geschlechter beim Rauchverhalten können wir davon ausgehen, dass die Lebenserwartung der Frauen sich zusehends der der Männer angleicht, sprich: deutlich sinkt. Wenn Frauen rauchen wie Männer, dann werden sie auch sterben wie Männer. Und zwar an den klassischen Raucherkrankheiten wie: Herzinfarkt, Krebs, Lungenemphysem, Bronchitiden und so weiter. Genau wie die Männer. Aber darüber hinaus werden sie zusätzlich frauenspezifische Leiden entwickeln, näm­lich: verstärkte Menstruationsprobleme, verstärkte Menopausenprobleme und verstärkte Osteoporose. Wenn Frauen rauchen wie Männer, sterben sie also nicht nur wie Männer, sondern sie leiden auch noch wie Frauen.

Das scheint sich ja schon jetzt in den Medizinstatistiken niederzuschlagen.
Ja, die neuesten Zahlen sind erschreckend. Die Zahl der Frauen, die an Lungenkrebs gestorben sind, ist in den letzten zehn Jahren um 60 Prozent angestiegen! Und zwar bei den jungen Frauen. Das liegt daran, dass die Frauen entsprechend früh mit dem Rauchen anfangen. Früher lag das durchschnittliche Einstiegsalter bei 24 Jahren, heute liegt es bei den Mädchen bei 13 Jahren! Und da können Sie 20 bis 25 Jahre hinzurechnen, und das große Sterben beginnt. Wir haben bei uns in Heidelberg die größte Lungenkrebs-Klinik Deutschlands, und ein Kollege berichtet mir in regelmäßigen Abständen verzweifelt: „Heute habe ich wieder eine 38-jährige Frau dagehabt, und sie wird sterben.“ Und wir hören von unseren Kollegen aus dem Herz-Kreislauf-Bereich, dass auch die Herzinfarktrate und die Zahl der Schlaganfälle bei den jüngeren Frauen steigt.

Könnte die gestiegene Herzinfarkt- und Schlaganfallrate nicht auch darauf zurückzuführen sein, dass Frauen immer häufiger Männerkarrieren machen und zum Teil ähnlichen Stressbelastungen im Beruf ausgesetzt sind?
Sicher sind Frauen immer öfter dem gleichen Stress ausgesetzt, und häufig sogar noch größerem, weil sie zusätzlich auch noch für die Kinder zuständig sind. Aber diese Doppelbelastung führt nicht zu Herzinfarkten und Schlaganfällen. Deren Ursachen sind ein verändertes Blutbild, veränderte Fließeigenschaften des Blutes und Arteriosklerose, also eine Verengung und Verdickung der Gefäße. Und die werden ausgelöst durch die Schadstoffe in der Zigarette. Das macht nicht der Stress – das machen die Substanzen. Und deshalb ist es uns so ein großes Anliegen, schon die Mädchen anzusprechen, dass sie nicht in diese Suchtfalle tappen.

Studien zeigen, dass Frauen aus anderen Gründen rauchen als Männer. Während Män­ner eher in geselliger Runde zur Zigarette greifen, rauchen Frauen eher zur Stress­bewältigung und zur Gewichtskontrolle.
Nun muss man aufpassen, rauchende Frau­en nicht zu pathologisieren. Aber klar: Frauen sind bekanntlich keine Meisterinnen darin, Konflikte auszutragen. Und Rauchen wird ganz klar eingesetzt als Beruhigungsdroge. Das ist dieser berühmte HB-Männchen-Effekt. Man regt sich furchtbar auf, kommt mit dem Konflikt nicht zurecht und muss sich beruhigen.

In einer österreichischen Untersuchung gab jede dritte Frau an zu rauchen, um nicht zuzunehmen, aber nur jeder achte Mann.
Das ist auf jeden Fall ein Faktor. Das trifft meiner Beobachtung nach auf eine noch kleine Gruppe von Mädchen zu, die aber im Anwachsen begriffen ist. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gab jede fünfte Raucherin zwischen 12 und 15 Jahren als Grund an: „Rauchen macht schlank“. Und es gilt natürlich auch für die Frauen, die schon nikotinabhängig sind. Wenn die bei ihren Versuchen, mit dem Rauchen aufzuhören, das Heißhungergefühl bekommen, das Nikotinentzug ja auslöst, und dieses Gefühl mit Essen bekämpfen und zunehmen, dann wird der Ausstieg natürlich schwierig.

Man müsste also die rauchenden Mädchen und Frauen gezielt ansprechen, wenn man sie mit Kampagnen erreichen will.
Genau. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Beispiel tut das auch schon. Auf ihrer Homepage für Jugendliche gibt es Links für „Boys“ und „Girls“. Die Jungen werden stärker über die Bereiche Fitness und Bewunderung durch Freunde angesprochen, bei den Mädchen ist zum Beispiel auch das Körpergewicht ein Thema. Und auch der Spot der Deutschen Krebshilfe, der vor kurzer Zeit im Fernsehen lief, ist ein sehr gutes Beispiel für so eine Kampagne, die gezielt Frauen anspricht. Da bietet ein Mann einer jungen, attraktiven Frau in einem Café eine Zigarette an.

Und sie antwortet mit so einer verzerrten, blechernen Stimme: „Nein danke, ich rauche nicht mehr.“
Genau. Weil sie Kehlkopfkrebs hat. Der Spot hat zwei Dinge zusammengebracht, die wir bisher noch nicht miteinander in Verbindung bringen: Eine junge Frau und Kehlkopfkrebs. Diese Krankheit verbinden wir bisher doch nur mit alten Männern.

War der Spot eine Reaktion der Deutschen Krebshilfe auf die alarmierenden Raucherinnen-Zahlen?
Ja, definitiv. Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen von der Krebshilfe gesagt haben: „Wir müssen eine junge Frau als Protagonistin nehmen, um die jungen Frauen zu erreichen!“ Wir haben das natürlich sehr begrüßt. Denn das müssen Sie zeigen: Dass das die Realität nach 20 oder 25 Jahren Rauchen ist.

Wie haben Sie selbst es geschafft, mit dem Rauchen aufzuhören?
Ich wollte gesunde Kinder zur Welt bringen und habe frühzeitig vor meinen Schwan­gerschaften aufgehört zu rauchen. Von einem Tag auf den anderen.

Dr. Martina Pötschke-Langer ist Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und des WHO-Kollaborationszentrums für Tabakkontrolle. - Zum Weiterlesen: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Die Luft anhalten – oder: Warum rauchen Frauen?
EMMA Mai/Juni 2005.

Thema im EMMA-Forum diskutieren. Geht auch: @emma schreiben.

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