Ein Recht auf die Wahrheit!

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Hat bei dem Amoklauf in Winnenden das Motiv Frauenhass eine Rolle gespielt?
Es kann kein Zufall sein, dass fast ausschließlich Mädchen das Ziel des Täters waren. Aber leider hat die Polizei diesen Aspekt bisher nicht öffentlich thematisiert.

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Wie könnte sich der Hass aufgebaut haben?
Bei Amokläufern handelt es sich ja fast durchweg um junge Männer, die Verlierer sind – in den Augen ihrer Umwelt und sicher auch in ihrer eigenen Wahrnehmung. Und Verlierer sind nicht die attraktivsten Partner für Mädchen. Die orientieren sich eher an erfolgreichen, spaßigen und kontaktfreudigen Jungs. In der Presse war zu lesen, dass er angeblich einem Mädchen seine Liebe gestanden hat und dass sie dies deutlich zurückgewiesen hat. Es kann sein, dass sich seine Wut gerade daran entzündet hat. Sollte das so gewesen sein, wird aber eines deutlich: Jungs müssen lernen, dass so ein "Nein" zum Leben gehört. So etwas sollte auch in der Schule theamtisiert werden.

Bei Tim K. wurden sogenannte "Bondage"-Bilder gefunden. Auch das ist von der Staatsanwaltschaft und in den Medien kaum erwähnt worden.
Wenn es im Falle von Tim nun besonders sadistische Pornografie ist, die von der Vergewaltigung und von Quälereien von Mädchen und Frauen lebt, dann wäre das Ausdruck einer aggressiven Grundhaltung Frauen gegenüber. Vielleicht war er stets in der Rolle des zuschauenden Verlierers bei den Mädchen und hat seine Phantasien zusätzlich durch solches Pornomaterial in eine bestimmte Richtung gelenkt. Wir werden allerdings kaum Aufklärung ohne die Psychologen finden können, bei denen Tim K. in Behandlung war. Es ist ja sehr zu bedauern, dass hier, soweit man weiß, die Eltern noch keine Aussagegenehmigung erteilt haben. Die Opfer und die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf zu erfahren, was die Vorgeschichte der Tat ist. Ich sehe hier eine Bringschuld der Eltern.

Offenbar stand Tim K. auch unter Druck durch seinen leistungsorientierten Vater.
Wir wissen noch nicht, wie stark möglicherweise der Leistungsdruck war, den der Vater auf Tim K. ausgeübt hat. Aber wir wissen: Der Vater ist jemand, der es nötig hat, 15 Waffen zu besitzen. Und wenn man fragt: Was ist eigentlich das Besondere an Waffen, dann ist die Antwort: Sie verleihen einem subjektiv Macht. Man ist wer, wenn man eine Tötungswaffe im Hause hat. Da kommt man schon ins Grübeln.

1999 wurde die Meißener Lehrerin Leuteritz von einem Schüler in ihrer Klasse erstochen. Damals  forderten Sie in EMMA, das "Männlichkeitskonzept zu hinterfragen, das die Gesellschaft diesen Jungen vermittelt".  
Wir haben inzwischen durch unsere Studie mit 45.000 Neuntklässlern nachgewiesen, dass Jungen, die sehr stark Männlichkeitsfantasien anhängen, die mit Dominanz und Heldseinwollen zu tun haben, häufiger Gewalttäter werden. Diese Männlichkeitsfantasien werden sehr stark geprägt von den Helden aus den Computerspielen und den Filmen, die sie schauen.

Sie weisen ebenfalls seit langem darauf hin, dass solche Killerspiele nicht ohne Wirkung bleiben. Das wurde lange bestritten.
Es gibt inzwischen sehr interessante Forschungen aus den USA, die belegen, dass die Empathie durch solche Spiele beeinträchtigt wird. Und zwar weit stärker als durch das passive Betrachten von gewalthaltigen Filmen. Die Forscher haben zu diesem Zweck Vergleichsgruppen gebildet. Dem wurde eine Leseübung angeschlossen, bei der die Probanden die vorlesende Person bei einem Fehler mit einem schmerzhaft lauten Ton bestrafen konnten. Und es stellte sich heraus, dass diejenigen, die das Computerspiel gespielt hatten, die geringsten Hemmungen hatten, das zu tun. Es ist ja auch bekannt, dass das US-Militär seine Soldaten mit riesigen Schieß-Kino-Anlagen vorbereitet, die wie ein Killerspiel funktionieren. Und der Nachweis ist geführt, dass sich tatsächlich die Tötungsbereitschaft der Soldaten dadurch erhöht. Klar ist allerdings auch: Man wird durch solche Spiele nicht ein hasserfüllter Mensch, der andere töten will. Der Hass hat seine Vorgeschichte im Leben. Auch im Leben von Tim K..

So erfreulich es ist, dass der brutalisierende und abstumpfende Effekt der Computerspiele inzwischen nahezu Konsens ist, so erschreckend ist es doch, dass die Frauenfeindlichkeit der Spiele in der öffentlichen Diskussion nach wie vor keine Rolle spielt.
In den USA gibt es durchaus Texte, die sich kritisch damit beschäftigen. Denn diese Computerspiele sind oft regelrecht frauenhasserisch. In der alten GTA-Serie zum Beispiel werden Prostituierte mit Kettensägen hingeschlachtet. Auch in anderen Spielen findet man die Aufgabe, Frauen in die Rolle von dienenden Opfern zu bringen. In den meisten Spielen ist die Macho-Dominanz erdrückend.

Was schlagen Sie vor?
Wir sollten Spiele, in denen exzessive Gewalt ausgeübt werden kann, weit häufiger indizieren. Das heißt, es kann zwar an Erwachsene verkauft werden, aber nur unter dem Ladentisch, denn mit einer Indizierung darf es nicht beworben werden. Und auch der Suchtfaktor eines Spiels sollte eine Rolle spielen. Ein Spiel wie "World of Warcraft"  sollte erst ab 18 Jahren freigegeben sein. Aber für mich ist das Entscheidende, dass wir Ganztagsschulen brauchen, die nachmittags einem Motto verpflichtet sind: Lust auf Leben wecken durch Sport, Musik, Theater. All das, was Kinder ins Leben reinführt.

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