Wie sie den Aufstand probten

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Auf dem Gipfel ihrer Macht waren die Schwedinnen 1995, als sie die amerikanische Feministin Susan Faludi einluden, über ihre Fortschritte zu berichten. Doch die scharfsinnige Autorin von 'Backlash' sah nicht nur Erfolge, sondern analysierte auch die Gründe für die drohenden Niederlagen.

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Im Jahr 1795 reiste die englische Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, Autorin der 'Verteidigung der Rechte der Frauen' (1792), zur Mittsommerzeit nach Schweden, auf dem Arm ein Baby. Ihr verflossener Lover, ein Kapitän, dessen Schmuggelschiff von norwegischen Seeleuten aufgebracht worden war, hatte ihr nicht nur Schulden hinterlassen, sondern auch ein Kind. Durch die Reise wollte die Frauenrechtlerin ihren Kummer vergessen, nicht nur über den Kapitän, sondern über Englands Politiker und Frankreichs Revolutionäre, die ihre größten Erwartungen für die Förderung der Frauen erst geweckt und dann zerschlagen hatten.
Zunächst fand Mary Wollstonecraft im Land der Mitternachtssonne ihre Hoffnung wieder. Doch nach dreieinhalb Monaten anstrengender Reise durch Skandinavien, ihr einjähriges Kind immer dabei, hatte sie vollends den Mut verloren. „Eine junge Frau“, schrieb sie in ihren Reiseerinnerungen ('Ein kurzer Aufenthalt in Schweden, Norwegen und Dänemark'), „die der Wirtin des Gasthofs, in dem ich abgestiegen bin, als Amme dient, bekommt nur zwölf Dollar im Jahr, wovon sie zehn für die Versorgung ihres eigenen Kindes aufwenden muss. Der Vater hat sich davongemacht, um sich vor den Kosten zu drücken.“ Die gleiche alte Geschichte, selbst hier. Verzweifelt reiste Mary Wollstonecraft ab, so resigniert und niedergeschlagen, dass sie sich kurz nach ihrer Rückkehr nach London von der Putney Bridge stürzte – und überlebte.
Im Frühjahr 1995 lud mich die Kulturredakteurin von Expressen, eine der größten schwedischen Tageszeitungen, für zwei Monate ein, um mir über „unsere Frauenrevolution“ zu berichten, wie sie es stolz nannte. Ich beschloss, es als vielversprechendes Zeichen zu werten, dass mein Besuch genau 200 Jahre nach dem von Wollstonecraft stattfinden sollte. Zumindest redete ich mir das ein. Denn ich hatte das unbedingte Bedürfnis, etwas Positives über feministische Politik zu erfahren: 1994, im selben Jahr, das uns Amerikanerinnen den von den Republikanern beherrschten Kongress bescherte, wählten die Schweden die weiblichste Regierung der Welt – ein Parlament, das zu 41 Prozent, und ein Kabinett, das zu 50 Prozent aus Frauen bestand.
Zu diesem Zeitpunkt ist der schwedische Parlamentssprecher eine Frau, ebenso wie der Außenminister und der stellvertretende Ministerpräsident Mona Sahlin. Als Hauptaufgabe hat sich diese neue sozialdemokratische Regierung die Gleichstellung der Frauen auf die Fahnen geschrieben. In seiner Antrittsrede erklärt Ministerpräsident Ingvar Carlsson, seine Regierung stehe in erster Linie für die Gleichheit der Geschlechter. Einfach unglaublich! Wie, frage ich mich, war den schwedischen Feministinnen im gleichen Jahr, das für ihre amerikanischen Schwestern so verhängnisvoll verlief, ein solcher Triumph gelungen, und was hatten sie aus diesem Sieg gemacht?
Ich fand ein Land vor, in dem Frauen auf nahezu allen Regierungsebenen sichtbar sind; wo Männer konstruktiv an der Gleichberechtigungsdebatte teilnehmen; wo Frauen sich auch deswegen zum Kinderkriegen entschließen, weil ihnen staatliche Unterstützung sicher ist, und nicht, weil sie keine andere Wahl haben; und wo Frauen Vorteile genießen, von den wir Amerikanerinnen nur träumen können.
Doch war der Triumph der Frauen kein vollständiger. Zu meiner Verwunderung fand ich ausgerechnet bei den Frauen, die die Früchte dieses politischen Sieges eingeheimst hatten, Enttäuschung und Misstrauen vor. Schon im Herbst 1995, vier Monate nach meiner Rückkehr aus Schweden, sollte Mona Sahlin resigniert zurücktreten. Wie Mary Wollstonecraft hatten auch sie und ihre Mitstreiterinnen Betrachtungen „über die Instabilität der schmeichelhaftesten Pläne für das Glücklichsein“ anstellen müssen. Wollten die Männer, die den Frauen in der Sozialdemokratischen Partei Platz gemacht hatten, wirklich die Gleichheit der Geschlechter – oder verteilten sie nur Schmeicheleien, um im Austausch dafür die Zügel noch fester in die Hand zu nehmen?
Der Trick der Männer, Frauen zeitweilig ein gewisses Maß an Macht einzuräumen, um sie ihnen anschließend wieder zu entreißen, ist so alt wie die Welt. Aber für die Schwedinnen, Bürgerinnen eines Landes, das mit Stolz auf seine Tradition weiblicher Unabhängigkeit und Freiheit verweist, ist er eine besonders bittere Pille. Wenn Frauen je den ihnen rechtmäßig zustehenden Platz in der Gesellschaft einnehmen, sollte das zuerst in Schweden geschehen, wo Frauen seit Jahrhunderten erfolgreich ihren Platz und ihre Rechte verteidigt haben.
Es ist schließlich das Land, das sich nicht nur seiner Wikingerinnen rühmt, die während der oft jahrelangen Abwesenheit ihrer seefahrenden Männer die Herrschaft übernahmen, Grund und Boden erbten, sich nach eigenem Gutdünken scheiden ließen und für die Errichtung von Grabstätten sorgten, die an Pracht denen der Männer in nichts nachstanden. Das Land der Mitternachtssonne ist auch die Heimat der Heiligen Birgitta und ihrer mächtigen Klöster (selbst der Papst mochte sich nicht mit ihr anlegen), wie auch Generationen schwedischer Sennerinnen, die seit 500 Jahren den ganzen Sommer allein auf abgelegenen Almen verbringen und das Vieh versorgen. Aber das waren stets Situationen, in denen Frauen in einer von Männern getrennten Sphäre Macht ausüben. Was würde geschehen, wenn man die Männer auffordert, die Macht ihrer eigenen Einflusssphäre zu teilen?
Die Saat der schwedischen Frauenrevolution wurde in den Tagen nach der Wahl von 1991 gesät, als die seit langem regierenden Sozialdemokraten plötzlich von einer konservativen Koalition aus ihrer Vormachtstellung verdrängt wurden. Der Anteil weiblicher Parlamentsabgeordneter war von 38 auf 33 Prozent gefallen – zum ersten Mal seit Einführung des Frauenwahlrechts 1921.
Das reichte, um Maria-Pia Boethius, eine beliebte und anerkannte Journalistin und Verteidigerin von Frauenrechten, in Alarmbereitschaft zu versetzen. Ihre rigorosen Auseinandersetzungen mit solchen Tabuthemen wie der schwedischen Kollaboration mit den Nazis, sexueller Gewalt und fahrlässiger medizinischer Behandlung hatten ihr die Bewunderung selbst ihrer konservativsten Zeitgenossen eingebracht. Gleichzeitig ist sie eine Frau mit großem Enthusiasmus und moralischer Intensität – eine Seelenforscherin und Sucherin vom Range Mary Wollstonecrafts. Sie lud neun Frauen ein, die sie schätzte, Journalistinnen und Akademikerinnen, und sie diskutierten bis spät in die Nacht. In der folgenden Woche brachte jede von ihnen fünf weitere Frauen zu einem erneuten Treffen mit, und sie brachten ihr Anliegen auf einen simplen Nenner: Frauen in der Politik zu unterstützen und zu fördern. Sie gaben sich einen Namen: 'Stödstrumporna' (Stützstrümpfe) und beschlossen, die Mitgliedschaft in ihrer neuen Vereinigung solle geheim bleiben, außer für jene, die an die Öffentlichkeit treten wollten – eine Strategie, die es auch exponierten Frauen erlaubte mitzumachen, ohne befürchten zu müssen, in der Presse wegen ihres Einsatzes für feministische Belange angeprangert zu werden.
Die Anonymität weckte die Neugier der Medien und die Paranoia der Politiker: Hatten sie es mit einer feministischen Verschwörung zu tun? Inspirieren ließen sich die Stützstrümpfe hauptsächlich von Pipi Langstrumpf, der aufmüpfigen Hauptfigur aus Astrid Lindgrens Kinderbüchern, ein Mädchen, das Pferde hochheben und Polizisten von Dächern werfen kann und keinen Respekt vor Geschlechtergrenzen kennt.
Die 'Stützstrümpfe' hatten, genau wie Pipi, so gut wie kein Geld und wenig Mittel zur Verfügung – außer ein paar Aufklebern mit der Aufschrift „Little Sister Is Watching You“, die in den Herrentoiletten des Reichstags auftauchten. Und doch wurden die Stützstrümpfe innerhalb weniger Monate zu einer nationalen Bewegung. Teilweise ging ihre Beliebtheit auf ihre zenartige Einstellung zurück: Sie führten, indem sie sich weigerten zu führen. Wenn andere Frauen sich ihnen anschließen wollten, wurde ihnen empfohlen, eigene Geheimorganisationen zu gründen. Schließlich entstanden mehr als 120 feministische Netzwerke im ganzen Land, einschließlich eines Kegelclubs, der gleichzeitig als feministische Zelle diente. Die vielfachen Aktivitäten fanden am Internationalen Frauentag 1993 ihren Höhepunkt in einem überfüllten Frauen-'Tribunal' in Stockholm.
Die Popularität der 'Stützstrümpfe' wuchs ebenfalls so schnell, weil die Gründerinnen seit vielen Jahren mit Frauen zu tun hatten, die nicht unbedingt Aktivistinnen waren. Gleichzeitig gaben sie kostenlose Abendkurse für Verkäuferinnen und Bankerinnen.
Dieses Gefühl sozialer Gleichheit gründet sich sowohl auf das schwedische Ideal von der Umverteilung des Wohlstandes als auch auf das Sozialsystem der letzten 25 Jahre, das es den meisten Frauen ermöglicht hat, Berufstätigkeit und Familie zu vereinen, ohne nennenswerte Opfer bringen zu müssen. Dank staatlich subventionierter Kindertagesstätten, Gesundheitsfürsorge und Erziehungsbeihilfe liegen der Anteil weiblicher Berufstätigkeit und – mit Ausnahme von Island und Irland – die Geburtenrate in Schweden höher als in allen anderen europäischen Industriestaaten. Zudem sind die Klassenunterschiede zwischen Frauen geringer als zwischen Männern. Die Gehaltunterschiede zwischen Frauen betragen höchstens 4.000 Kronen im Monat (etwa 440 €).
Wohin diese Solidarität führen könnte, zeigte sich in dem Ergebnis einer Meinungsumfrage im Frühjahr 1994. Die Frage lautete: „Würden Sie für eine von Maria-Pia Boethius geführte Frauenpartei stimmen?“ Fast 40 Prozent der Befragten, Frauen wie Männer, antworteten mit Ja! Unter den Politikern brach Panik aus. Kurz darauf verkündete die Sozialdemokratischen Partei, sie würde 50 Prozent weibliche Kandidaten aufstellen – und die 'Stödstrumporna' vertagten die Gründung einer Frauenpartei.
Die schwedischen Sozialdemokraten, die seit 1932 fast ununterbrochen regiert hatten, kämpften verzweifelt darum, wieder an die Macht zu kommen. Und wenn sich das Image einer frauenfreundlichen Partei dafür als beste Werbestrategie erwies, waren sie bereit, es einzusetzen. Im Nachhinein scheint es bereits unheilverkündend, dass die Partei zur Unterstützung ihrer Kampagne eine amerikanische Consultingfirma einschaltete – und die jüngsten und unerfahrensten Frauen, die sie finden konnten, als Kandidatinnen aufstellte. Ältere Parteigenossinnen, die seit Jahrzehnten für die Gleichberechtigung kämpften, wurden größtenteils übergangen. Als stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für praktische Gleichberechtigungsmaßnahmen stellte der Parteivorstand die damals 37-jährige Mona Sahlin auf, die immer wieder öffentlich betonte, sie habe den ersten Barbie-Doll-Club des Landes gegründet und habe keine Ahnung vom Feminismus.
Der Plenarsaal des Reichstags ist hell und skandinavisch modern, und als ich ihn acht Monate nach dem Sieg der Frauen zum ersten Mal betrat, rieb ich mir beim Anblick so vieler Frauen ungläubig die Augen. Es gab subtile Anzeichen einer Revolution: eine neue Zwanglosigkeit – einige der jüngeren Parlamentarierinnen trugen T-Shirts und Turnschuhe – und eine neue Struktur der Fragestunde im Parlament.
In den Monaten seit der Wahl hatten die Parlamentarierinnen und Mona Sahlin begonnen, sich zu fragen, ob ein hoher Frauenanteil in der Regierung gleichbedeutend war mit viel Macht – und ob die Regierung überhaupt noch ein Machtinstrument war. Erhöhte sich nur die Frauenanzahl auf einem sinkenden Schiff? Eine enorme Staatsverschuldung, kostspielige finanzielle Fehler und die daraus resultierenden Konsequenzen, alle von einem überwiegend männlichen Regime verursacht, sollten nun unter einem weiblichen Regime ausgeglichen werden. War das Segen oder Fluch?
Am nächsten Morgen erschien Sahlin im ehemaligen Langholmen-Gefängnis, um vor einer Gruppe Jungsozialisten zu sprechen. Das Gefängnis ist jetzt ein schickes Restaurant mit einem Souvenirladen, in dem T-Shirts, bedruckt mit Bildern ehemaliger Gefangener in Handschellen, verkauft werden – ein passender Hintergrund für eine Rede voller Besorgnis über ein politisches System, dessen Mitglieder befürchten müssen, ihnen seien die Hände gebunden. „Wenn die Politik alle Einflussmöglichkeiten verliert, wenn andere Kräfte das Ruder übernehmen, dann sind wir verloren“, erklärte Sahlin den jungen Politikaspiranten. „Wir befürchten, dass die Demokratie verlieren wird. Die Leute sagen, die Steuer sei schuld, die öffentliche Hand sei schuld, die Europäische Union sei schuld. Wenn das so weitergeht – was bleibt dann als Vision? Die Politik abzuschaffen?“
Später, als sie mir bei einem inzwischen kalt gewordenen Kaffee gegenübersitzt, kann die 38-jährige Sahlin nur noch von ihren Ängsten reden. „Ich bin seit 13 Jahren in der Politik, und die letzten acht Monate waren absolut grauenhaft“, sagt sie. „Keiner weiß, was die Zukunft uns bringen wird. Wenn wir jetzt versagen, wird all das, was Frauen in der Vergangenheit angetan wurde, nichts sein im Vergleich zu dem, was dann passiert.“
Die Siegeseuphorie der Politikerinnen hatte einer totalen Desillusionierung Platz gemacht, als ihnen klar wurde, dass ihre Hauptaufgabe – dank anhaltender Rezession und dem gewaltigen Defizit, das durch die Steuersenkungspolitik der Konservativen noch mehr angewachsen war – darin bestand, die Haushaltsausgaben zu senken, statt die Rechte der Frauen zu fördern. Schlimmer noch, die Kürzungen würden zum überwiegenden Teil im Sozialbereich erfolgen, der den größten Batzen des Staatshaushaltes ausmacht – bei Programmen, die den Schwedinnen die für Frauen seltenste Erfahrung beschert hatten: die Freiheit, nicht zwischen einem Leben als 'Nur-Hausfrau' und der Berufstätigkeit wählen zu müssen. Jetzt war all das bedroht – es schien, als wären die männlichen Politiker durchaus zufrieden damit, dass den Frauen die Aufgabe zufiel, sich selbst das Wasser abzugraben.
„Es ist der denkbar unglücklichste Zeitpunkt für Frauen, an die Macht zu kommen“, erklärt mir Eleanor Wikborg, Anglistikprofessorin an der Universität Stockholm. „Alle sehen nur auf lange Zeit Schlechtes vor sich, und die Frauen wird es am härtesten treffen.“ Elizabeth Cederschiöld, die während meines Aufenthaltes gerade eine Biografie über Mary Wollstonecraft beendete, stimmt dem zu. „Es ist eine Situation, die die Autorin der ‘Verteidigung der Rechte der Frauen’ gehasst hätte“, sagt sie – vor allem wegen der Koppelung reduzierter staatlicher Unterstützung mit dem Entstehen einer neuen Klasse von Geschäftsleuten, die, ganz im Stil der USA, für den Zusammenbruch einer Reihe von Banken in den 80er Jahren verantwortlich waren und sich dann unbeschadet am goldenen Fallschirm abseilten. Die Gefahr dieses Phänomens hatte Wollstonecraft bereits zwei Jahrhunderte früher vorausgesehen, als sie davor warnte, der sich entwickelnde Handel werde schließlich zu einer noch brutaleren „neuen Art der Macht“ werden.
Die noch nie dagewesene Anzahl von Frauen in Schwedens Parlament ist zwar „ein phantastisches Symbol für die Welt“, sagte Maria-Pia Boethius. „Aber für die Frauen im Parlament ist es ein Schock, weil sie machtlos sind.“ Die Macht liegt in den Händen globaler Finanzinstitutionen; einiger weniger sehr erfolgreicher schwedischer Exportunternehmen, die größtenteils außerhalb des Landes produzieren; eines europäischen Marktes, der Schweden zwingt, seine Sozialleistungen zu reduzieren; sowie Medienmonopolen, mit Wurzeln in den USA. Frauen fällt die Aufgabe, sich um das öffentliche Wohl zu kümmern, just in dem Augenblick zu, wo sich der wirkliche Einfluss zugunsten der Disneys und Microsofts verschiebt. Man kann in Stockholm kilometerweit an Boutiquen, Videoverleihs und Filmtheatern vorbeilaufen – und hat keine Ahnung, dass man Amerika verlassen hat.
Was die Frauen in der Politik verändern können und verändert haben, ist, wie Boethius feststellte, „die Kultur des Parlaments“. Ein Beispiel dafür ist die von ihnen im Reichstag eingerichtete Kindertagesstätte für die Kleinkinder der Abgeordneten.
Frauen wie Mona Sahlin haben die Kultur bereits verändert, ihre Offenheit und Ansprechbarkeit wird inzwischen „Sahlinismus“ genannt. Als ich ihr sagte, ich hätte mit Frauen gesprochen, die ihr mangelnde Schritte in Richtung Gleichberechtigung vorwerfen, nickt sie zustimmend. „Ich bin ebenfalls frustriert“, sagt sie. „Ich hätte mehr tun sollen... Aber sie sollten mit ihren Ideen zu mir kommen. Ich brauche mehr Unterstützung.“ Solche Feststellungen klingen erfrischend unschuldig – obwohl ich mich später fragte, ob sie nicht auch auf eine gewisse Naivität hindeuten.
Letztlich spielt es aber keine große Rolle, ob sich die Form des Regierens ändert, wenn sich nicht auch die Inhalte ändern – was besonders Mitgliedern der „Stützstrümpfe“, die sich der Regierung anschlossen, schmerzlich bewusst ist. Sie sind vielleicht die frustriertesten von allen. Ebba Witt-Brattström nahm einen Posten im Erziehungsministerium an. „Ich komme mir vor wie eine Geisel“, erzählt sie mir in ihrem Büro und schaut wehmütig auf ein radikales Frauenbewegungsplakat aus den 60er Jahren. „Mona sagt dauernd: ‚Seid radikaler’... Wir trinken jeden Morgen zusammen Kaffee (in Sahlins Büro), wo wir so radikal sein können, wie wir wollen. Und dann gehen wir zu Ausschusssitzungen, wo es nur darum geht, welche Kürzungen wir bei Frauen-, Kinder- und Familienprogrammen vornehmen können.“
Der einzige „radikale“ Vorschlag, den ihr Ministerium hat einbringen können, war ein bescheidener Plan zur Schaffung von 30 neuen Professorenstellen für Frauen, eine Ausweitung der existierenden 2000 Posten um gerade mal 1,5 Prozent. Das führte zu einem wahren Wirbelsturm der Denunziation durch Akademiker und Presse. Witt-Brattström wurde besonders stark angegriffen; die Medien waren voll mit Anzüglichkeiten darüber, dass sie ihre Studenten einer „hexenähnlichen Gehirnwäsche“ unterzöge.
Wenn diese Feindseligkeit gegenüber den Errungenschaften berufstätiger Frauen in einem angeblich so fortschrittlichen Land fehl am Platze scheint, liegt das daran, dass Schweden ein wohl gehütetes schmutziges Geheimnis hat: die weibliche Berufstätigkeit ist fast ausschließlich auf den öffentlichen Sektor beschränkt. Private Unternehmen beschäftigen weniger als 10 Prozent weibliche Manager, die Universitäten weniger als 7 Prozent weibliche Professoren. Selbst die lutherische Kirche hat nie einen weiblichen Bischof ernannt. 80 Prozent der Männer sind in der Privatwirtschaft tätig während 60 Prozent der Frauen im öffentlichen Dienst Säuglingsstationen überwachen und Bettpfannen leeren.
Nach dem Ende der fetten Jahre bekamen der öffentliche Dienst und die Frauen die Verluste am schmerzlichsten zu spüren. „Wir haben einen getrennten Arbeitsmarkt, wie er in keinem anderen Land existiert“, sagte mir Margareta Eklund, Gründerin von Minerva, einer Unterstützungsgruppe für berufstätige Frauen. „Daher werden bei jedem Einschnitt im öffentlichen Dienst Hunderte von Frauen arbeitslos.“ Und das in einem Augenblick, wo es kaum möglich ist, bei der Privatwirtschaft Druck zur verstärkten Einstellung von Frauen zu machen, da auch hier Stellen gestrichen werden. „Es kommt mir vor, als würden wir zurückgedrängt“, sagt Eklund, genau wie unter der konservativen Regierung. Aber damals war wenigstens klar, dass man es auf die Frauen abgesehen hatte. Diesmal ist es schwer, den Schuldigen zu bestimmen. Wie Eklund es ausdrückte: „Ich kann es fühlen, aber ich kannn es nicht sehen.“
Einer der nicht auf den ersten Blick identifizierbaren Schuldigen könnte die Sozialdemokratische Partei selbst sein. Die alte Partei der Arbeiterklasse und Gewerkschaften hat eine bewegte Geschichte mit den Frauenrechten, die bis zur Einführung des Frauenwahlrechts zurückreicht (die Sozis waren dagegen, weil sie meinten, Frauen würden soziale Veränderungen verhindern). Jüngst bezeichnete ein Gewerkschaftsführer die Frauen in der Sozialdemokratischen Partei als „einen Haufen Fotzen“.
Im Gegensatz dazu hat die sehr viel kleinere Liberale Partei seit Beginn des Jahrhunderts immer wieder auf der Gleichstellung bestanden – vom Besitzrecht über das Wahlrecht bis hin zum Elternurlaub. Der Elternurlaub, auch „Pappas Monat“ genannt, wurde vom stellvertretenden Ministerpräsidenten der vorherigen Regierung, dem Liberalen Bengt Westerberg, entworfen und im Parlament durchgesetzt. Die Rechten tauften seinen Elternurlaub den „weibischen Antrag“. Doch am vehementesten wehrten sich, wie Westerberg sich erinnert, die Sozialdemokraten gegen den Antrag.
„Bengt konzentrierte sich auf die Verteilung der Macht, nicht die von Parlamentssitzen“, erklärt Karin Piläster, eine liberale Abgeordnete. Im Gegensatz dazu, sagt Piläster, „wachten die Sozialdemokraten eines Morgens auf und sagten sich: ‘Oh, wir brauchen mehr Frauen.’ Aber sie gaben diesen Frauen keine Macht.“ Piläster fürchtet, dass es sich um eine abgekartete Sache handelt, um die Frauen zu Fall zu bringen. „Ich befürchte sehr, dass sie vor den nächsten Wahlen sagen werden: ‘Seht her, wir haben all diese Frauen ins Parlament gebracht, und was haben sie getan? Nichts. Also brauchen wir das auch nicht zu wiederholen.’“
Aber wir erinnern uns: Auch Mary Wollstonecraft überlebte den Absturz.                     
Susan Faludi EMMA 1/2004

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