Streetworkerin mit Mut

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Der Skandal eskalierte zur Staatsaffäre, für die sich die deutsche Regierung bei der tschechischen in aller Form entschuldigte. Aber wofür entschuldigte sie sich? Dafür, dass die Streetworkerin Cathrin Schauer, die seit acht Jahren an einer der härtesten Fronten schuftet, nämlich den Europastraßen E 48 und E 49 zwischen Deutschland und Tschechien, Tacheles geschrieben hatte: Darüber, dass

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die Opfer der kommerzialisierten sexuellen Gewalt immer jünger und die Freier immer mehr werden. Allein das Sozialprojekt KARO, das unter Schauers Leitung vom sächsischen Plauen aus operiert, beobachtete seit 1996 über 500 Fälle von verkaufter und gekaufter Sexualgewalt an Minderjährigen und Kindern, bis hin zu Babys - begangen vor allem von deutschen Sextouristen.

Am 12. November 2003 stellte Christina Rau, Schirmherrin von unicef Deutschland, Cathrin Schauers Bericht „Kinder auf dem Strich“ der Presse vor. Prompt dementierte der tschechische Innenminister Stanislav Gross: „Unwissenschaftlich und übertrieben.“ Der deutsche Bundesinnenminister Otto Schily sekundierte: „Fehlende Beweise.“ Auch der Kinderschutzbund ergriff - wie schon so oft - mal wieder für Erwachsene Partei. Sein sächsischer Geschäftsführer Heinz Zschache: „Es mag Einzelfälle in Tschechien geben, aber wer von Tausenden spricht, verunglimpft eine ganze Gesellschaft.“

Schon vor der Wende, als Cathrin Schauer noch Krankenschwester war, engagierte sich die Mutter einer Tochter in ihrer Heimatstadt Plauen ehrenamtlich für vernachlässigte und missbrauchte Kinder. Noch massiver wurde sie damit als Gesundheits- und Sozialfürsorgerin konfrontiert. Schon damals machte Cathrin Schauer die Erfahrung: „Wenn man Sexualgewalt aufdeckt, wird man als durchgeknallte Spinnerin hingestellt.“ Noch heute spürt sie die „unglaubliche Wut“, die sie empfand, weil ihr Vater, ein Lehrer, nicht wahrhaben wollte, dass es „in der DDR so was gibt“.

Als 1993 das unter dem Pseudonym Marita P. veröffentlichte Buch „Aids hat mir das Leben gerettet“ von Marita Pfeiffer erschien, arbeitete Cathrin Schauer in einem Frauenzentrum. Sie lud die verarmte Edel-Prostituierte aus Hamburg zu einer Lesung nach Plauen ein. Die beiden wurden Freundinnen bis in den Tod, bei dem die Frau aus dem Osten der Frau aus dem Westen die Hand hielt. Das war im Juni 1997, und Cathrin Schauer leitete schon zwei Jahre KARO. Marita Pfeiffer hatte sie ermutigt, sich auf die Stelle zu bewerben.

„Eigentlich sollte es bei diesem grenzüberschreitenden Prostitutionsprojekt um Gesundheitsprävention gehen“, erinnert sich Schauer: „Über Verhütung und Geschlechtskrankheiten aufklären, Kondome verteilen und so weiter. Aber ich merkte rasch, dass Männergewalt gegen Frauen und Kinder das eigentliche Problem ist.“ Darüber schrieb die KARO-Chefin, die in ihrer Freizeit Sozialpädogogik studierte, 2001 ihre sozialwissenschaftliche Diplomarbeit. Auf ihr basiert - aktualisiert und popularisiert – der Bericht „Kinder auf dem Strich“.

Die tschechische Regierung drohte jetzt sogar mit „rechtlichen Schritten“ dagegen: Cathrin Schauer und KollegInnen sollen sich strafbar gemacht haben, weil sie ihre Beobachtungen nicht der tschechischen Polizei gemeldet hätten. Schauer ist empört: „Wir haben mindestens 160 Hinweise auf sexuellen Missbrauch durch deutsche Täter gegeben.“ Hinweise wie der auf den silbergrauen BMW, aus dem eine 15-Jährige gestoßen wurde und sich „bestialisch misshandelt“ in einem Straßengraben wiederfand: „Der Freier hatte sie von der Scheide bis zum Steiß aufgeschnitten.“ Ein tschechisches Polizeiauto hielt.

Streetworkerin Schauer bat, per Funk einen Rettungswagen anzufordern. Doch die Polizisten überprüften erst mal in aller Ruhe die Papiere der Verblutenden und hievten sie dann unsanft auf den Rücksitz.
Was aus diesem Mädchen geworden ist, weiß Cathrin Schauer nicht. Aber Libuse, 16, eins von 40 Kindern, das sie für ihren Bericht interviewt hat, erzählt: „Nach eine Razzia musste ich zur Polizei. Der eine Bulle ist mit mir in ein anderes Zimmer und hat mich vergewaltigt.“ Libuse lacht bitter: „Geschieht ihm recht, ich habe Syphilis.“

Unicef-Schirmherrin Christina Rau setzte sich persönlich für die Veröffentlichung von „Kinder auf dem Strich“ ein, nachdem sie Cathrin Schauer und ihre Mitstreiterin Ludmilla Irmscher im März 2002 in Berlin kennen gelernt hatte: Dort wurde den beiden Streetworkerinnen am Internationalen Frauentag von der "Europäischen Bewegung Deutschland" der „Preis Frauen Europas“ verliehen. Kurz darauf schlossen die tschechischen Behörden die KARO-Beratungsstelle in Cheb (früher Eger). Begründung: „Gestörtes Vertrauensverhältnis.“

Inzwischen gibt es eine neue Anlaufstelle, finanziert über Spenden. Ein grenzüberschreitender Verein, bei dem KARO im Vorstand sitzt, will in Cheb ein Kinderschutzzentrum einrichten: mit Therapie- und Bildungsmöglichkeiten für minderjährige Prostituierte. Das allerdings ist nicht ohne öffentliche Gelder zu stemmen. Und dafür stehen die Zeichen nach dem Eklat schlecht. So hat die sächsische Landesregierung jüngst signalisiert, dass sie für KARO nicht noch einmal Zuschüsse bewilligt.

Dabei wären die nach der bevorstehenden EU-Eweiterung im Mai nötiger denn je. Nicht nur Cathrin Schauer rechnet ab dann mit noch mehr Sextourismus von West nach Ost. Und noch mehr Menschenhandel von Ost nach West. Noch unbehelligter von den Behörden.

Cornelia Filter
Cathrin Schauer: „Kinder auf dem Strich. Bericht von der deutsch-tschechischen Grenze“ (Horlemann, 9.90 €).
www.karo-sozialprojekt.de

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