In der aktuellen EMMA

„Sorry Tarzan, ich rette mich selbst!“

© Mirjam Knickriem
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Gesine Cukrowski kann aus über 30 Jahren Schauspielerfahrung eine Menge Geschichten erzählen. Zum Beispiel diese aus der Serie, mit der sie bekannt wurde: „Der letzte Zeuge“. Von 1998 bis 2007 spielte Cukrowski die Gerichtsmedizinerin Dr. Judith Sommer, an der Seite von Ulrich Mühe, der als Hauptfigur der Serie – selbstredend – ihren Namen gab. 

Die Szene: Rechtsmedizinerin Sommer soll sich in das Cabrio ihres Kollegen schwingen, um mit ihm zusammen den Kommisar zu treffen. Am Treffpunkt würde es laut Drehbuch eine Explosion geben. „Doch währen der Probe stoppte mein Kollege plötzlich die Szene und sagte: ‚Ach nein, du musst wieder aussteigen. Unser Kommissar wollte ja nicht, dass du bei dieser Explosionsszene dabei bist, weil er bei so etwas Gefährlichem niemals eine Frau in der Nähe zulassen würde.“ 

Gesine Cukrowski hat sich über diese „Auswüchse patriarchaler ‚Fürsorge‘“ – bei sich selbst und ihren Kolleginnen, die ähnliche Erlebnisse hatten – schon so oft und so sehr geärgert, dass sie ihrem Buch den passenden Titel gab: „Sorry Tarzan, ich rette mich selbst!“ Untertitel: „Raus aus der Klischeefalle“. 

Eins der mächtigsten Klischees in der deutschen Fernsehlandschaft ist: das Alter. Bei Frauen, versteht sich. Nächste Geschichte: Eine „sehr bekannte und beim Pubikum beliebte“ Schauspielerin, 64, wird zusammen mit ihrem gleichaltrigen Kollegen für ein „fittes, modernes Großelternpaar“ gecastet. Ihr männlicher Kollege bekommt die Rolle, sie eine Absage. „Ich ließ meine Agentur nachhaken und erfuhr, dass man uns beide zusammen toll fand, aber mein Kollege darauf bestanden hatte, dass seine Ehefrau im Film unbedingt jünger zu besetzen sei, damit er selbst jugendlicher erscheint.“ 

Oft, so Cukrowkski, 57, legten die Drehbuchautoren die weibliche Hauptrolle aber gleich als junge Frau an, oft auf Geheiß der Redaktionen. „Da heißt es dann: Tolle Geschichte, aber die Frau muss 20 Jahre jünger sein!“ Manchmal nimmt das absurde Züge an. Dann darf die Frau im Film zwar einen qualifizierten Beruf haben, muss aber als Quantenphysikerin oder Stararchitektin so jung sein, dass sie „fünf Klassen übersprungen haben muss“.

Casterinnen, die Frauenrollen anders, also realistisch besetzen wollen, werden oft von den Redaktionen mit Sprüchen wie diesen eingehegt: „Nee, das ist eine verblühte Frau, wir brauchen jemanden fürs Plakat!“ Bei Widerspruch folgt die Sanktion auf dem Fuße: „Hat die castende Person eigene Vorstellungen, landet sie im schlechtesten, aber leider noch immer realistischen Fall auf einer schwarzen Liste.“ 

Darf die ältere Frau doch im Drehbuch vorkommen, dann vorzugsweise als „liebe Omi“ oder „gleich dement“. Und ihren Körper sollte sie besser nicht unbedeckt zeigen. „Bei Frauen ab 50 bitte kein Kurzarm-Shirt als Kostüm! Die Oberarme einer 50-Jährigen kann man den Zuschauern nicht zumuten“, weist eine Redakteurin die Maskenbildnerin an. 

Das alles ist „eiskalter und knallharter Ageism, also Altersdiskriminierung!“, weiß Gesine Cukrowski. Im März 2022 rief sie, gemeinsam mit der Journalistin Silke Burmester, die Kampagne „Let’s change the picture“ ins Leben. Motto: „21 Millionen Frauen sind 47plus. Erzählt ihre Geschichten!“

500 Unterstützerinnnen wollen, dass sich das Bild der Frau im Fernsehen ändert, darunter bekannte Schauspielerinnen wie Nina Kunzendorf und Andrea Sawatzki, Leslie Malton und Jutta Speidel, Eleonore Weisgerber und Gisela Schneeberger. Cukrowksi zieht seither mit dem Thema durch die Talkshows, initiiert eigene Panels und wurde dafür mit dem Deutschen Schauspielpreis ausgezeichnet, Kategorie „Inspiration“. 

Und dann ist da, neben der Altersdiskriminierung natürlich noch das unschöne Thema sexuelle Belästigung. In Deutschland blieb es dazu merkwürdig still, es gab nur einen bekannten MeToo-Fall: Anfang 2018 beschuldigten drei Schauspielerinnen den Regisseur Dieter Wedel sexueller Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung. Wedel starb, bevor der lange hinausgezögerte Prozess eröffnet wurde.

Ansonsten wurde viel gemunkelt und geraunt, aber kein weiterer Name öffentlich. Das Raunen war aber so laut, dass im selben Jahr die „Themis-Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche“ gegründet wurde. Bis Ende 2024 wurden bei Themis 1.052 Fälle gemeldet und 3.431 Beratungs­gespräche geführt. Folgen für die Täter? Quasi keine. Gesine Cukrowski weiß: „Nach wie vor entscheiden sich die meisten Betroffenen gegen ein zivil- oder strafrechtliches Verfahren. Zu groß ist die Angst davor, dass ihnen nicht geglaubt wird.“ Dazu kommt die „berechtigte Angst davor, mit einem solchen Schritt die laufende Produktion zu gefährden oder gar zu sprengen“. Plus: die Befürchtung, „keine aussagewilligen Zeugen zu finden, da auch diese nicht auf sogenannten ‚schwarzen Listen‘ landen wollen“. Da sind sie wieder, die schwarzen Listen. 

Dennoch: MeToo hat auch in der deutschen Film- und Fernsehbranche etwas gebracht, sagt Cukrowski, die selbst Mutter einer Tochter ist. Ein Schritt in die richtige Richtung sei zum Beispiel die Einführung sogenannter „Intimitäts-Koordinatorinnen“. Die sind dafür zuständig, dass beim Dreh von Sexszenen „ein respektvoller und sicherer Umgang“ herrscht. „Wie oft hätte ich mir eine solche Schutzperson gewünscht, die die gesammelten privaten sexuellen Fantasien von Regisseuren oder Kollegen von mir fernhält!“

Und auch an der Drehbuch-Front scheint sich etwas zu tun. Ob es mit ihrer Kampagne zusammenhängt, dass Gesine Cukrowski just nach deren Start im Frühjahr 2022 die Rolle der Hotelchefin Eva de Vries in der ZDF-Vorabendserie „Hotel Mondial“ angeboten bekam, ist nicht sicher, aber wahrscheinlich. Die Chefin ist nicht nur eine Mittfünfzigerin in Führungs­position, sondern auch noch lesbisch. Das hat ungeahnte Folgen. Ein Clip, in dem Eva und ihre Serien-Geliebte Uli sich in einem Fahrstuhl küssen, wird auf Instagram 1,2 Millionen Mal geklickt. „Das Phänomen ‚Uli und Eva‘ verbreitete sich rasend schnell in über 70 Ländern, darunter auch in Staaten, in denen Homosexualität illegal ist oder verfolgt wird. Über sichere, nicht nachverfolgbare VPN-Verbindungen wurde die Serie nun unter anderem in Iran, Russland, Rumänien, Ägypten, der Ukraine oder Peru gestreamt. Es bildeten sich Fanclubs von Südamerika bis zu den Philippinen. Mit einem Mal wurden Agnes und ich von Frauen aus allen möglichen Ländern angeschrieben.“ 

Wenn man so will, haben Eva und Uli das eine oder andere Lesben-Leben gerettet – ganz ohne Mann.

 

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