Freierbestrafung in Spanien?

10.000 Frauen demonstrierten am 28. Mai in Madrid für die Freierbestrafung.
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Es ist noch kein Einlauf ins Ziel, aber ein wichtiger Etappensieg: Am 7. April beschloss das spanische Parlament mit Zweidrittel-Mehrheit, ein Gesetz zur Freierbestrafung auf den Weg zu bringen. 218 von 232 Abgeordneten votierten dafür, nur 68 dagegen, 37 enthielten sich. Käme das Gesetz durch, wäre Spanien das siebte Land in Europa mit dem sogenannten „Nordischen Modell“: Frauen in der Prostitution werden entkriminalisiert; bestraft werden die Sexkäufer, die mit ihrer Nachfrage den Markt erst schaffen. Außerdem wird der Ausstieg aus der Prostitution gefördert. Bisher haben Frankreich, Schweden, Norwegen, Island, Irland und Nordirland dieses Modell eingeführt, und auch in Israel und Kanada gilt Prostitution als Verstoß gegen die Menschenwürde und werden Freier bestraft.       

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Eingebracht hatte den Gesetzentwurf die sozialistische Partei von Ministerpräsident Pedro Sánchez, PSOE. „Die sexuelle Ausbeutung von Frauen ist eine Verletzung der Menschenrechte und eine der schlimmsten Formen der Gewalt gegen Frauen“, erklärte die stellvertretende PSOE-Generalsekretärin Adriana Lastra im Parlament und kündigte an: „Dies ist die Legislaturperiode, in der wir Prostitution abschaffen werden.“

PSOE: Prostitution ist eine der schlimmsten Formen der Gewalt gegen Frauen

Schon 2019 hatten die Sozialisten ein „Feministisches Manifest“ verabschiedet, in dem sie Prostitution als „einen der grausamsten Aspekte der Verweiblichung von Armut“ und „Gewalt gegen Frauen“ bezeichnet hatten. Im Oktober 2021 erklärte dann Ministerpräsident Sánchez auf dem Parteitag der PSOE in Valencia, er wolle Prostitution abschaffen, „die Frauen versklavt“.

Sánchez bezeichnet sich selbst als Feminist und erklärt, dass der Feminismus eine „gerechtere Gesellschaft hervorbringt“. Es scheint, dass der Regierungschef seinen Worten Taten folgen lässt: 14 von 24 MinisterInnen in seinem Kabinett sind Frauen, das spanische Parlament hat mit 48 Prozent weiblichen Abgeordneten sogar Schweden überholt. Als Sánchez im Jahr 2018 Regierungschef wurde, lag Spanien beim Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums auf Platz 29, zwei Jahre später belegt es den achten Platz.

Das Sexkaufverbot betrachten die Sozialisten als Teil ihrer feministischen Agenda. Deshalb sollte es ursprünglich Teil des Gesetzespaketes sein, das das Parlament am 27. Mai verabschiedete. In den süffisanten Schlagzeilen über den sogenannten „Menstruationsurlaub“ ging unter, dass Kern des Paketes eine Erweiterung des Rechtes auf Abtreibung und eine Verschärfung des Sexualstrafrechts ging. In Spanien gilt künftig: „Nur Ja heißt Ja“.

100 Frauenorganisationen unterzeichneten ein "Abolitionistisches Manifest"

Dass die Freierbestrafung aus dem Gesetzespaket herausgenommen wurde, ist dem Koalitionspartner der Sozialisten geschuldet. Die PSOE bildet eine Minderheits-Regierung mit der linken Partei Unidos Podemos. Die jedoch ist nur in Teilen für das Anti-Prostitutions-Gesetz, und auch kleinere Parteien, auf deren Unterstützung die Koalition angewiesen ist, verweigerten ihre Zustimmung. Sie drohten, das gesamte Gesetzespaket platzen zu lassen. Die PSOE knickte notgedrungen ein, brachte aber das Prostitutionsgesetz separat noch einmal ein. Und da diesmal auch die konservative Poder Popular dafür stimmte, wurde das Gesetz zehn Tage später doch verabschiedet. Aber das Ganze ist keineswegs in trockenen Tüchern. Der nächste Schritt: Der Entwurf geht in den Senat. Die Regionalvertretung, also das Pendant zum deutschen Bundesrat, kann Änderungsvorschläge machen oder das Gesetz ganz ablehnen. Dann geht es zurück in das Abgeordnetenhaus.

Jetzt kommt es unter anderem auf den Druck aus der Zivilgesellschaft an. Der ist in Spanien groß. „Die Mehrheit der spanischen Frauenorganisationen ist abolitionistisch“, erklärt Teresa Nevado Bueno, Präsidentin des „Forum de Política Feminista de Madrid“ und Mitglied im Exekutivkomitee der Europäischen Frauenlobby. Schon im Herbst 2020 unterzeichneten über 100 spanische Frauenorganisationen ein „Abolitionistisches Manifest“. Und am 28. Mai demonstrierten in Madrid fast 10.000 Feministinnen aus 150 Frauenorganisationen aus dem ganzen Land und forderten: „Por las derechas de las mujeres: Ley abolicionista YA!“ Für Frauenrechte: Gesetz zur Abschaffung der Prostitution: JETZT! 

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Israel: Knesset für Freierbestrafung!

Aliza Lavie, Abgeordnete der linken Partei "Yesh Atid".
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Es war ein „historischer Moment“, sagt die Knesset-Abgeordnete Aliza Lavie. Denn es passiert selten, dass sich im israelischen Parlament die Parteien einig sind – oft trennen sie bekanntlich Welten. In dieser Frage jedoch stimmten sie alle dafür: Männer, die Frauen kaufen, sollen künftig bestraft werden! Und: Frauen und Männer in der Prostitution sollen beim Ausstieg unterstützt werden.

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Eine Überraschung war die Entscheidung der Knesset in erster Lesung allerdings nicht. Denn die beiden Gesetzentwürfe – der eine für die Freierbestrafung, der andere für die Ausstiegsprogramme – wurden von einer parteiübergreifenden Politikerinnen-Allianz aus Regierungsparteien und Opposition eingebracht: von Aliza Lavie von der liberalen Yesh Atid, Zehava Ga-Lon von der linken Meretz und Shuli Moalem-Refaeli von der nationalreligiösen Habayit Hayehudi. Und schon im Vorfeld hatten 71 Abgeordnete (von 120) ihre Zustimmung erklärt.

Seit zehn Jahren hatten die Politikerinnen Überzeugungsarbeit geleistet, um das so genannte Nordische Modell auch in Israel durchzusetzen. Seit Schweden 1999 als erstes Land der Welt Prostitution als Verstoß gegen die Menschenwürde verurteilt und das so genannte „Sexkaufverbot“ eingeführt hatte, folgten immer mehr Länder diesem Beispiel: In Norwegen, Island, Irland, Nordirland, Frankreich und Kanada macht sich strafbar, wer einen Menschen für Sex kauft. Die Prostituierten selbst wurden entkriminalisiert.

So soll es in absehbarer Zeit auch in Israel kommen. Vor einigen Monaten hatte Justizministerin Ayelet Shaked eine Untersuchung zum Thema in Auftrag gegeben. Die Ministerin, von Haus aus Elektrotechnikerin, will die Ergebnisse bald präsentieren. Schon jetzt aber ist sie absolute Befürworterin der Freierbestrafung. „So lange Prostitution nicht kriminalisiert ist, signalisieren wir unseren Kindern, dass sie okay ist.“

Das Gesetz wird dazu beitragen, die Nachfrage zu reduzieren: Sie treibt die Sex-Industrie an

Ministerin Shaked will nun selbst einen Gesetzentwurf einbringen. Inhaltliche Differenzen scheint es zwar keine zu geben. „Aber als Regierung bevorzugen wir ein Gesetz, das von der Regierung kommt“, erklärte die Justizministerin. Vermutlich wollten die drei Abgeordneten Lavie, Ga-Lon und Moalem-Refaeli mit ihren so genannten „Private Bills“, also den von ihnen eingebrachten Entwürfen, aufs Tempo drücken. Das hat funktioniert. Ministerin Shaked hat versprochen zu handeln.

„Das Gesetz wird dazu beitragen, die Nachfrage zu reduzieren, denn sie ist es, die diese ganze Industrie antreibt. Es wird außerdem helfen, die vielen Frauen und Männer, die aus der Prostitution aussteigen wollen oder ausgestiegen sind, wieder in die Gesellschaft zu integrieren“, sagt Aliza Lavie, die auch Sprecherin des Knesset-Komitees zur Bekämpfung von Menschenhandel und Prostitution ist. Geht es nach ihrem Entwurf, sollen Freier entweder eine Geldstrafe bekommen oder zum Besuch eines Kurses auf der so genannten „John’s School“ verdonnert werden (John = der englische Slang-Ausdruck für Freier).

Dass Israel die Freierbestrafung einführen wird, steht also außer Frage. „Die Unterstützung für das Gesetz aus Politik und Zivilgesellschaft ist beispiellos“, sagt Aliza Lavie. „Ich bin sicher, dass Israel spätestens im nächsten Jahr der Riege fortschrittlicher Staaten folgt.“ Bleibt also nur eine Frage: Wann folgt Deutschland?

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