Abtreibung: Kristina Hänel erringt Teilsieg!

Kristina Hänel vor dem Hamburger Landgericht. - Foto: Stephan Wallocha/imago images
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„Mit seinen Holocaust-Vergleichen diffamiert Herr Annen nicht nur uns medizinische Fachkräfte, sondern auch jede ungewollt Schwangere. Sie bekommt vermittelt, dass das, was sie tut, schlimmer sei als die Verbrechen der Nationalsozialisten“, sagt Kristina Hänel. Das findet die Gießener Ärztin, die in ihrer Hausarzt-Praxis auch Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, „fürchterlich und verletzend“. Auch für die Überlebenden und Toten des Holocaust und deren Angehörige sei das „unzumutbar“. 

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Das sieht auch das Hamburger Landgericht so. Die Klägerin müsse es "nicht hinnehmen, mit Wachmannschaften und Ärzten in den Konzentrationslagern der Nazis verglichen und mit dem Ausdruck ‚entartet’ belegt zu werden", erklärte Richterin Simone Käfer. Sie verurteilte Klaus Günter Annen zu einer Entschädigungszahlung von 6.000 Euro und Unterlassung.

Abtreibungen sind für Annen die Steigerung der Verbrechen des Holocaust

Der 69-jährige Industriekaufmann aus Weinheim betreibt seit vielen Jahren die Website "Babycaust". Auf deren Startseite sind zwei Fotos zu sehen: Das Foto links zeigt den Eingang des KZ Dachau mit der berühmten Inschrift „Arbeit macht frei“. Das Foto rechts zeigt eine Frau auf dem OP-Tisch, an der offenbar eine Abtreibung vorgenommen wird. Darüber steht in blutroter Schrift: „Der Holocaust der Nazis ist der Inbegriff des Grauens im Dritten Reich. Gibt es eine Steigerungsform der grausamen Verbrechen? Ja, es gibt sie!“ Und weiter: „Seit vielen Jahrzehnten erleben wir in Deutschland den Massenmord an unseren ungeborenen Kindern. Früher KZs, heute OPs." Dazu stellt er Bilder zerstückelter Embryonen.

Unter dem Link „Abtreiber“ listet der fanatische Abtreibungsgegner 1.200 ÄrztInnen auf, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Auf dieser Liste steht auch Kristina Hänel. Noch bis vor kurzem wurde die Gießener Ärztin hier als „Kindermörderin“ und „entartet“ beschimpft und mit einer KZ-Aufseherin verglichen. Schon bevor das Landgericht Hamburg heute sein Urteil verkündete, hat Annen diese Passagen von seiner Homepage genommen. Denn bereits bei der Verhandlung am 21. August hatte Richterin Käfer angekündigt, der Klage von Kristina Hänel weitgehend stattgeben zu wollen. 

Seit rund 20 Jahren ist Klaus Günter Annen auf Kreuzzug gegen die Abtreibung, der offenkundige christliche Fundamentalist belagerte mit seiner Initiative „Nie Wieder!“ die Praxen von ÄrztInnen, die Abtreibungen durchführen. Außerdem zeigt er reihenweise ÄrztInnen wegen des Verstoßes gegen den §219a an. 

Sogenannte "Lebensschützer" schicken Kristina Hänel Morddrohungen

Auch Kristina Hänel war nach der Anzeige eines "Lebensschützers" am 24. November 2017 vom Gießener Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden. Ihr „Vergehen“: Sie hatte auf ihrer Website angegeben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Per E-mail konnte man sachliche Informationen über den Ablauf eines Abbruchs, seine gesetzlichen Voraussetzungen und seine Risiken anfordern. Das verstößt gegen den §219a, der nicht nur die „Werbung“ für Abtreibungen verbietet, sondern schon die reine Information.

Hänel machte gegen das Urteil mobil und sammelte mit einer Petition 150.000 Unterschriften für eine Reform des entmündigenden Gesetzes. Doch die Parteien konnten sich nur auf einen faulen Kompromiss einigen. Zwar dürfen ÄrztInnen jetzt darüber informieren, dass sie Abtreibungen durchführen. Alle weiteren Informationen zu Methoden etc. sind allerdings nach wie vor verboten. Auch nach dem reformierten §219 wurden Ärztinnen erneut verurteilt. Ärztin Hänel ist darüber empört: „Das Verbot sachlicher Informationen durch Fachleute ist ein Anachronismus und gehört auf keinen Fall in ein deutsches Strafrecht!“ Deshalb kämpft sie auch hier weiter: Sie will bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. 

Macht Klaus Günter Annen auch nach dem Urteil einfach weiter wie bisher?

Vor dem Hamburger Landgericht hat Hänel jetzt erst einmal gewonnen. Klaus Günter Annen wurde zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro und Unterlassung verurteilt. Allerdings: Noch immer darf Annen über die Ärztin behaupten, es "klebe Blut an ihren Händen". Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Noch immer steht die Ärztin, wie rund 1.200 weitere Medizinerinnen, auf der „Abtreiber“-Liste auf Annens Website „Babycaust“. Noch immer wird sie von fanatischen „Lebensschützern“ bedroht, die diese Liste als Fundgrube für ihre Attacken auf ÄrztInnen benutzen. Auch vor Hänels Gießener Praxis demonstrieren die „Lebensschützer“ und schicken der zweifachen Mutter und fünffachen Großmutter Morddrohungen. Die sind ernstzunehmen. In den USA haben fanatische "Lebensschützer" schon acht Ärzte und Krankenschwestern erschossen, die in Abtreibungskliniken arbeiteten (EMMA-Artikel: "Tödliche Lebensschützer"). Seit dem Mord an Politiker Walter Lübcke durch einen Rechtsradikalen überlegt auch Kristina Hänel, wenn sie aus dem Haus geht, "welcher Weg der sicherste ist".

Und: Es steht zu befürchten, dass Klaus Günter Annen einfach weitermacht. Er wurde nämlich keineswegs zum ersten Mal verurteilt. Schon mehrere deutsche Gerichte hatten dem Fanatiker den Holocaust-Vergleich untersagt, zuletzt hatte sogar der Europäische Gerichtshof die Urteile bestätigt. Doch der Kreuzzügler hat sich bisher weder von Geld- noch Haftstrafen abhalten lassen. Denn die Unterlassung gilt immer nur für den Holocaust-Vergleich im Hinblick auf die konkrete Person. Annen strich die beanstandeten Passagen, die die klagenden ÄrztInnen betrafen, doch seine Website blieb bestehen. Dort vergleicht er die deutschen Gesetzgeber nach wie vor mit den „Blutrichtern“ des Dritten Reiches und Abtreibung mit dem Holocaust.

Währenddessen kämpft Kristina Hänel darum, dass sie ihr Infoblatt über Methoden, Ablauf und Risiken eines Schwangerschaftsabbruchs in ihrer Praxis nicht von ihrer Website löschen muss. Wie kann das sein? 

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Alice Schwarzer schreibt

Abtreibung: Es ist eine Schande!

Horst Seehofer, Helge Braun, Katarina Barley und Franziska Giffey auf der Pressekonferenz: Es soll alles beim Alten bleiben..
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Die vier traten am späten Mittwochabend vor die Kameras. Rechts standen zwei blasse, stumme Frauen; links zwei aufgeräumte, gesprächige Männer. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) verkündete den „Kompromiss“ zum Informations-Verbot (genannt „Werbeverbot“) für Ärztinnen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) begrüßte den Vorschlag der Regierung. Und die beiden SPD-Frauen? Die Ministerinnen Katarina Barley und Franziska Giffey schwiegen, zunächst. Mit Grund.

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Denn das, was da nach monatelangen Verhandlungen von Regierungsmitgliedern der CDU/CSU und SPD vorgetragen wurde, ist schlicht eine Schande! Ursprünglich ging es darum, das 1933 von den Nationalsozialisten eingeführte Gesetz, das Frauen entmündigt und ÄrztInnen bedroht, endlich abzuschaffen. Schließlich war es auch seit Jahrzehnten nicht angewendet worden. Den Vorschlag zur Streichung des Gesetzes hatte SPD-Chefin Andrea Nahles vor Monaten eingebracht. Grüne, FDP und Linke pflichteten ihr bei. Aber als die SPD dann doch in die Regierung einstieg, zog Nahles die Forderung zur Streichung des §219a wieder zurück.

Angezeigte
Ärztinnen
sind "entsetzt".

Sodann wurde monatelang geschwiegen. Und zuletzt hinter verschlossenen Türen verhandelt. Heraus kam: Nichts. Oder fast nichts. Es soll alles beim Alten bleiben: Dass die ÄrztInnen selbst nicht öffentlich darüber informieren dürfen, ob sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ungewollt Schwangere sollen sich in Zukunft an die Bundesärztekammer oder „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ wenden, um zu erfahren, ob es in ihrer Region Ärzte gibt, die bereit wären, ihnen zu helfen.

Man ahnt, wie einschüchternd das wäre – und was für ein Eingriff in die Intimsphäre einer Frau. Sie soll sich statt an einen Arzt, eine Ärztin ihres Vertrauens in Zukunft an eine Behörde/Institution wenden. Klar, dass viele Frauen sich gar nicht trauen würden – und in der Illegalität, bei Kurpfuschern bzw. „EngelmacherInnen“ landen. Sie würden wieder riskieren, bei illegalen Abtreibungen steril zu werden oder sogar ihr Leben zu verlieren.

Doch in genau diese Richtung wurden jetzt von der schwarzroten Regierung die Weichen gestellt. Im Laufe des Januars will die Große Koalition den genauen Text der „Reform“ vorstellen – und sodann entscheidet der Bundestag. Das heißt: Es gibt noch Hoffnung!

Nazi-Gesetz:
SPD-Spitze
knickt ein!

Der 1933 von den Nationalsozialisten verabschiedete §219a war jahrzehntelang gar nicht beachtet und überhaupt nicht mehr angewandt worden. Bis so genannte „Lebensschützer“ ihn entdeckten: Sie begannen, die ÄrztInnen anzuzeigen. In den vergangenen Monaten wurden daraufhin mehrere Ärztinnen vor Gericht gezerrt und verurteilt – nur weil sie auf ihrer Homepage die Information stehen hatten, dass sie Abbrüche vornehmen. Das sei „Werbung“ für Abtreibung, lautet das Argument. Als wäre Information gleich Werbung - und als könne eine Schwangere mit „Werbung“ dazu angestiftet werden, abzutreiben.

Jetzt protestieren drei dieser Ärztinnen gegen den faulen Kompromiss der Großen Koalition. „Wir sind entsetzt und empört“, schreiben sie. Darüber, dass sie weiterhin nicht informieren dürfen, sondern in Zukunft die Frauen an staatliche Stellen verweisen müssten.

Auch das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“, in dem u.a. die SPD-Frauen (AsF) und die Jusos organisiert sind, kritisiert das "Eckpunktepapier aufs Schärfste“. Es weist darauf hin, dass das Papier „leider deutlich zeigt, dass sich christliche Fundamentalist*innen und selbsternannte Lebensschützer*innen in der Bundesregierung durchgesetzt haben“.

So ist es. Von der CDU/CSU war in dieser Beziehung darum nichts zu erwarten. Die C-Parteien sind in Deutschland seit Jahrzehnten streng auf Vatikanlinie. Und nicht nur fundamentalistische Christen (Evangelikale etc.) sondern auch Papst Franziskus hat abtreibende Frauen bekanntermaßen noch jüngst des „Auftragsmordes“ bezichtigt. Für diese Leute steht ihr Glaube, bzw. ihre Ideologie über den Menschenrechten und dem Gebot der Humanität.

Regierung
kuscht vor
Vatikan

Die Grünen, die FDP und Die Linke sind für die Streichung des §219a. Sie haben bereits gegen den faulen Kompromiss der großen Koalition protestiert. Alle drei fordern weiterhin die ersatzlose Streichung des §219a.

Und die Sozialdemokraten? Die sind – mal wieder! – eingeknickt. Und das bei einer Frage, die nicht zufällig vor einem knappen halben Jahrhundert in der gesamten westlichen Welt zum Auslöser für die Frauenbewegung wurde. Zumindest die SPD-Spitzen sind eingeknickt. An der Basis aber rumort es.

Florian Post (SPD): Paragraph 219a StGB verachtet betroffene Frauen!
SPD-Abgeordneter Florian Post: Der Paragraph 219a verachtet betroffene Frauen!

So kritisierte der Münchner SPD-Abgeordnete Florian Post die SPD-VerhandlungsführerInnen für ihre „mangelnde Durchsetzungsfähigkeit“ und die bekennend gläubige Katholikin und SPD-Chefin Nahles für deren „vorauseilenden Gehorsam“. Der 37-Jährige Post veröffentlichte jetzt aus Protest gegen seine eigene Partei auf seiner Internetseite eine Liste aller bayerischen Kliniken, die einen Schwangerschaftsabbruch anbieten (Viele sind es nicht, die meisten sind in katholischer Hand).

In quasi allen westlichen europäischen Nachbarländern ist das Recht von Frauen, eine nicht gewollte Schwangerschaft in den ersten drei Monaten abzubrechen, seit Jahrzehnten selbstverständlich. Auch in einem katholischen Land wie Italien. Sogar das ultrakatholische Irland führte jüngst die Fristenlösung ein. Nur in Deutschland scheint die Stimme des Vatikan und seiner Gefolgsamen schwerer zu wiegen als die der Bürgerinnen.

Frauen wissen
selber, was
sie fühlen!

Doch das Tollste ist, dass der scheinheilige „Vorschlag der Bundesregierung zur Verbesserung der Information und Versorgung in Schwangerschaftskonfliktlagen“ unter Punkt 5 eine „wissenschaftliche Studie“ ankündigt: zur Gewinnung von „Informationen zur Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“. Als würde über diese Fragen nicht seit Jahrzehnten eine Flut von nationalen und internationalen Erkenntnissen vorliegen! Vor allem aber: Als wären ungewollt schwangere Frauen, die nicht Mutter werden wollen, Kinder! Kinder, die nicht wissen, was sie tun und denen man sagen muss, was sie selbst zu fühlen haben.

Alice Schwarzer

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