Der lange Weg des Kopftuchs

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Präsidentengattin Hayrünnisa Gül wurde mit 15 verheiratet. Neda Kelek analysiert, wie Erdogans Türkei mit Kopftuch und Moscheen eine rückschrittliche Politik zelebriert.

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Die deutsch-türkischen Islamfunktionäre kehrten wohlgemut aus den Sommerferien zurück, denn ihre AKP-Regierung hat die Wahl haushoch gewonnen und stellt nun auch den Staatspräsidenten: Abdullah Gül. Ayse allerdings, die vor den Ferien noch in Deutschland die Schulbank drückte, kehrte wie so manche junge Türkin nicht zurück – sie wurde in den Ferien in der Türkei zwangsverheiratet. Ihr erging es wie Hunderten anderen Mädchen, die nicht rechtzeitig in ein Mädchenhaus flüchteten. Auch der Ende August gewählte Präsident, Abdullah Gül, heiratete im Alter von 30 Jahren die Frau, die seine Mutter für ihn aussuchte: Hayrünnisa Gül, damals ein 15-jähriges Mädchen.

In der türkischen Zeitung Vakit vom 31.8.07 erzählten ihre Eltern in einem Interview, wie vor 27 Jahren die Ehe der beiden zustande kam: Auf einer Familienhochzeit in Kayseri sah Abdullah Güls Mutter die 15-jährige Hayrünnisa und verkündete deren Mutter entschlossen: "Ein Feuer ist in meinem Herzen entfacht. Ich glaube, sie wird meine Gelin (Schwiegertochter) werden." Hayrünnisas Mutter lehnte ab. Die Begründung: Ihre Tochter sei noch viel zu jung. Sie solle erstmal ihre Schule beenden und dann Medizin studieren. Doch die mächtige Familie Gül insistierte.

Um ihr zu entgehen, ging Hayrünnisas Familie mit ihrer Tochter zurück nach Istanbul. Aber nichts half, die Güls gaben die Jagd nach der Braut nicht auf. Als der Widerstand anhielt, versprach Abdullahs Mutter, ihr 14 Jahre älterer Sohn werde das Mädchen weiter zur Schule schicken. Die Mutter: "Wir haben uns mit den Älteren unserer Familie beraten und sie dann gegeben."

Doch die Gelin ging nun keinesfalls wie versprochen weiter zur Schule, sondern trotz Bestnoten ab. Sie wurde Mutter und ging dann mit ihrem Mann für neun Jahre nach Saudi-Arabien, wo er bis 1991 Manager einer islamischen Bank war. Dort bekam sie zwei weitere Kinder. 1997 erhielt Hayrünnisa, "ohne dass sie einen Tag das Haus verlassen musste" (so die Mutter), die Hochschulreife. Da sie darauf bestand, mit "turban" zu studieren, verweigerte man ihr die Immatrikulation, was ihr Mann zu einem politischen Skandal aufbauschte.

Gül war zu der Zeit bereits Abgeordneter der islamistischen Wohlfahrtspartei, dann bei der Tugendpartei und schließlich Gründungsmitglied der AKP Erdogans. Er wurde Ministerpräsident und, nachdem Erdogan ins Parlament nachrückte, sein Außenminister. Zu den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2007 präsentiert die AKP Gül als Kandidaten. Doch das Kopftuch seiner Frau rief in der säkularen Türkei eine wahre Staatskrise hervor, das säkular orientierte Militär protestierte, Massen demonstrierten, Neuwahlen wurden einberufen. Diese Wahl hat Erdogans AKP nun mit überwältigenden 53 Prozent gewonnen und Gül wurde doch zum Präsidenten gewählt.

Am 28. August 2007 zogen Abdullah und Hayrünnisa Gül in den Präsidentenpalast ein. Die türkische First Lady wird also, ganz wie die Frau von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, in Zukunft mit dem islamischen Kopftuch und langem Mantel verhüllt auch bei offiziellen Anlässen auftreten. Und die AKP bereitet gerade eine neue Verfassung vor, die das Kopftuch auch an Universitäten zulassen soll.

Hayrünnisa Gül war für das "Recht auf das Kopftuch" einst sogar bis zum Europäischen Gerichtshof in Straßburg gegangen. Sie zog die Klage jedoch 2002 zurück, um die politische Karriere ihres Mannes nicht zu belasten. Jetzt jedoch geht die frischgebackene First Lady wieder in die Offensive. Sie gab bei dem türkischstämmigen Designer Atil Kutoglu in Wien eine "elegante, moderne Garderobe" mit "modischem Kopftuch" in Auftrag. So soll das bisher von den städtisch Aufgeklärten als bäuerlich und rückständig verlachte und von den Islamisten als gottesfürchtig propagierte Kopftuch salonfähig werden.

Westliche Intellektuelle mahnen gerne zur Gelassenheit in "Kleiderfragen". Daran würde weder bei uns noch in der Türkei die Demokratie zu Grunde gehen. Ich halte von dieser Art der Beschwichtigung nicht viel, denn das Kopftuch ist kein Kleidungsstück, sondern die Fahne einer Ideologie, Ausdruck eines kollektivistischen und patriarchalischen Gesellschaftsbilds.

Während die Islamisten an den städtischen Universitäten für das Kopftuch im Namen der Freiheit kämpfen, ist es im ländlichen Osten der Türkei jungen Frauen heute kaum noch möglich, ohne Kopftuch auf die Straße zu gehen. Sie wird die neue Verfassung der Türkei nicht schützen, im Gegenteil. Frau Gül verkörpert dieses konservativ-islamische Frauenund Gesellschaftsbild. Sie ist das politische Aushängeschild ihres Mannes.

Hayrünnisa Gül würde sich - wenn ihr Allah es verlangt - auch eine Glocke um den Hals hängen, damit ihr Abdullah ins Paradies kommt. Oder in den Präsidentenpalast. Sie ist "die Ehre" ihres Mannes. Diese Aufgabe hat sie angenommen und füllt sie "freiwillig" aus. Und ob schwarz oder bunt, Frau Güls Turban bleibt das politische Symbol der sich unterordnenden Frau in der muslimisch-patriarchalischen Kultur.

Güls und Erdogans islamische Bewegung ist anpassungsfähig und geschickt. Sie setzt auf Symbole und Rituale. Weil der Glaube auch bei ihnen immer weniger mit der erfahrenen Lebensrealität übereinstimmt, werden rituelle Handlungen und Äußerlichkeiten der Abgrenzung und Identifikation immer wichtiger. Religiosität im Sinne eines spirituellen Getragenseins von religiösen Überzeugungen weicht der Zurschaustellung. Es geht nicht mehr darum, Was, sondern Wie geglaubt wird.

Als Symbol der Ablehnung des Westens und als offensive Darstellung einer neuen Identität, des erstarkten Selbstbewusstseins einer expansiven Ideologie dienen das Kopftuch und der Moscheebau. Und das nicht nur in der Türkei, sondern längst auch mitten in Deutschland. So kamen auch die Vertreter der staatlichen DITIB (Türkisch-islamische Union für Religion) in Köln gestärkt aus dem Heimaturlaub zurück. Sie präsentierten nach dem Wahlerfolg in der Heimat für den wegen der geplanten Größe stark umstrittenen Moscheebau in Köln-Ehrenfeld nun - einen noch größeren Entwurf! Der Entwurf signalisiert vor allem eines: Eine Machtdemonstration des organisierten Islam, genauer gesagt der türkischen Regierung und seiner Organisation, der DITIB.

Mit Hintersinn hatte die deutsche Politik diesen per Gesetz in der Türkei säkularen Verein lange als Vertreter eines moderaten Islam gefördert, um die Muslime nicht islamistischen Organisationen wie Milli Görüs etc. in die Arme zu treiben. Die Ironie der Geschichte: Abdullah Gül war als Außenminister einer der größten Unterstützer der unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehenden Milli Görus. Inzwischen ist auch die Aufsichtsbehörde der DITIB, das türkische Amt für Religion in Ankara, von konservativen AKP- und Erbakan-Leuten übernommen worden. DITIB und Milli Görüs sitzen heute in Deutschland an einem Tisch, verfolgen dieselben Ziele.

In der Türkei gibt es inzwischen mehr vom Amt für Religion, der Diyanet, bezahlte Hocas, Religionslehrer (90.000) als Ärzte (77.000) oder Hochschullehrer (78.000); mehr Moscheen (85.000) als Schulen (67.000). Das Budget der Religionsbehörde vervielfachte sich (laut NTV) innerhalb von zehn Jahren unter Erdogans AKP-Regierung und ist nach dem Militär der größte Haushaltsposten. Da liegt nahe, dass die eine oder andere finanzielle Zuwendung auch zur DITIB nach Köln geht. Allein in Deutschland sind zur Zeit etwa hundert Moschee-Projekte unterschiedlicher Islam vereine im Bau oder in Planung.

Die Diskussionen um Kopftuch und Moscheebau, so anstrengend und langwierig sie sind, ist immer auch eine politische Auseinandersetzung mit der globalen islamischen Missionsbewegung. Es ist keine Diskussion um Religionsfreiheit, sondern ein Kulturkampf um westliche Werte wie Selbstbestimmung und Gleichberechtigung.

Und Ayse, der Ferienbraut, hilft das alles gar nichts mehr. Sie wird im nächsten Sommer in Anatolien wahrscheinlich ihr erstes Kind bekommen. Vielleicht werden ihre Eltern sie besuchen und von der schönen Moschee erzählen, die gerade in Köln gebaut wird. Und vielleicht kommt Präsidentengattin Gül sogar zur Eröffnung nach Köln. Mit modischem Kopftuch.

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