In der aktuellen EMMA

Was will Giorgia Meloni?

Foto: Reuhl/Fotostand/IMAGO
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Vor einigen Monaten hat Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ihren Lebensgefährten und Vater ihrer Tochter verlassen. Zuvor waren Aufzeichnungen öffentlich geworden, auf denen zu sehen ist, wie Andrea Giambruno sexistische Sprüche klopft und Kolleginnen belästigt. Der Staub hatte sich gerade erst gelegt, als Ende Januar Paparazzi-Fotos von Melonis Geburtstag auftauchten. Sie zeigen Giambruno mit großem Blumenstrauß, bei seinem Eintreffen bei Melonis Party. Das klatschverliebte Italien stand Kopf: Hat Meloni ihrem Ex verziehen? Oder sind sie nur wegen ihrer gemeinsamen Tochter, der sieben Jahre alten Ginevra, um guten Umgang miteinander bemüht, so wie andere getrennte Eltern auch? Viele Menschen in Italien fühlten mit der Ministerpräsidentin. 

Im September 2022 war Meloni als erste Frau in der Geschichte Italiens in das Amt der Ministerpräsidentin gewählt worden. Ihre Partei sind die postfaschistischen Fratelli d’Italia, die „Brüder Italiens“. Mit ihrem Slogan „Gott, Vaterland, Familie“ wurden die Brüder mit 26 Prozent stärkste Kraft. Gott und Vaterland sind in Italien noch nie sehr frauenfreundlich gewesen und Familie kann die Hölle sein. Die aktuellen Umfragewerte der Schwester Meloni aber steigen. Immer öfter hört man in Italien: Meloni ist eine von uns, sie spricht wie wir, sie versteht uns.

Eine Frau, die Verständnis zeigt, „weibliche“ Zugewandtheit, Solidarität auf zwischenmenschlicher Ebene – womöglich ist das Bedürfnis danach einer der Gründe dafür, dass immer mehr Frauen in rechten Bewegungen und Parteien Führungspositionen einnehmen. In Frankreich machte Marine Le Pen den rechtspopulistischen „Rassemblement National“ gesellschaftsfähig und unterlag bei der vergangenen Präsidentschaftswahl nur knapp Amtsinhaber Emmanuel Macron. Bei den Wahlen 2026 könnte auch sie Präsidentin 

werden. In Deutschland gehört die 1979 geborene Alice Weidel seit 2021 zum Führungsduo der AfD: Jüngste Umfragewerte haben ihr eine größere Beliebtheit bescheinigt als Bundeskanzler Scholz oder Wirtschaftsminister Habeck. 

Rechte Parteien sehen die Rolle der Frau zwar traditionellerweise bei Heim und Herd, haben aber verstanden, dass sich aus ihnen politisches Kapital schlagen lässt. Die Frauen geben der harten Politik ein freundliches Gesicht und lassen sich als vermeintlicher Beweis anführen, nicht frauenfeindlich zu sein. Frauen haben das Potenzial, der Partei ein neues Wählerklientel zuzuführen. Im Gegenzug werden sie mit Karrierechancen, Macht, Einfluss belohnt. 

Das ist, wenn man so will, für beide Seiten eine Win-Win Situation, und zwar umso mehr, je stärker ein beidseitiger Wertekonsens besteht. Dass es offenbar auch lohnt, Politik gegen die eigene Lebensrealität zu betreiben, zeigen sowohl Giorgia Meloni, als auch Alice Weidel wie Marine Le Pen. Das private Handeln von allen dreien steht teilweise in krassem Widerspruch zu ihrem öffentlichen Auftritt sowie zu den Idealen und Zielen ihrer Parteien. Sie propagieren Lebensformen, die sie offenbar selbst nicht leben. Und sie fordern Gesetze, die sie selbst nicht einhalten könnten. 

Die AfD-Frontfrau Alice Weidel hat zwei Kinder und lebt in einer lesbischen Beziehung mit einer Frau sri-lankischer Herkunft – während ihre Partei gegen Migranten hetzt und zunehmend homophob wird. Le Pens „Rassemblement National“ und Melonis „Brüder Italiens“ propagieren beide das Bild der traditionellen Vater-Mutter-Kind-Familie. Doch die 47-jährige Meloni hat ihre Tochter unehelich zur Welt gebracht, war niemals mit Giambruno verheiratet und hat kürzlich postuliert, erst ab dem zweiten Kind leiste eine Frau einen bedeutenden Beitrag für die Gesellschaft. Die dreifache Mutter Le Pen wiederum ist mehrfach geschieden. Es heißt, „Marine“ habe die um viele Jahre jüngere Meloni in vielerlei Hinsicht inspiriert, bevor sich das Verhältnis der beiden abkühlte. Die Französin, die ihren eigenen Vater und Gründer des „Front National“ rauswarf, weil er rechtsradikal ist, gibt sich gern volksnah, als Mutter der Nation. 

Auch Meloni, die sich „Giorgia“ nennen lässt, beherrscht das anteilnehmende Register hervorragend. Sie ist der Typ Politikerin, der an Wochenmarktständen fragt, wo der Schuh drückt und dabei die Sprache und Tonlage der Marktfrauen anschlägt (manche meinen, Meloni könne gar nicht anders); sie ist die Ministerpräsidentin, die, wie in der Toskana geschehen, nach Starkregen und Überschwemmung in T-Shirt und Gummistiefeln im Schlamm steht, eine Rentnerin tröstend in die Arme nimmt und dabei wirkt, als sei sie deren fürsorgliche, eilig angereiste Enkelin aus der Stadt. Meloni, von der La Repubblica einmal schrieb, sie habe ein „rachsüchtiges, aber frisches Madonnengesicht“ trägt gern weiß oder pastell. Ihr Stil ist klassisch, feminin. Sie gilt als scharfsinnig und intelligent. Gewisse Unzulänglichkeiten, die ihr aufgrund ihres geringen Bildungsgrads nachgesagt werden – Meloni schloss eine Sprachenausbildung an einer Hotelfachschule ab – macht sie durch Härte und geringe Kompromissbereitschaft wett, mit Eigenschaften also, die traditionell als „typisch männlich“ gelten. 

Von Zeit zu Zeit schlüpft Meloni aber auch in die Rolle der unerfahrenen, vom Politikbetrieb überwältigten Frau – so wie erzkonservative Wähler die Figur einer Frau mit Regierungsverantwortung anlegen würden. Am ersten Tag als Ministerpräsidentin beispielsweise gestand sie atemlos, die militärischen Ehren, die sie gerade im Hof des Palazzo Chigi erhalten hatte, hätten sie „ganz schön aufgeregt“. 

Im September 2023, Presse-Konferenz am Ende eines langen Tages beim Nato-Gipfel in Vilnius: Es ist offensichtlich, dass Giorgia Meloni die Szenerie möglichst schnell verlassen möchte. Sie antwortet kurzangebunden, macht ein gequältes Gesicht (Melonis Mimik ist so ausgeprägt wie bei einem Stummfilmstar), sagt sodann entschuldigend, ihr täten wegen ihrer hohen Absätze die Füße schrecklich weh. Das wirkte in seiner Offenherzigkeit mädchenhaft und rührend. Die Botschaft dahinter ist klar: Vor einer solchen Frau muss kein Mann sich fürchten, sie wird die althergebrachten Machtverhältnisse nicht grundsätzlich in Frage stellen. 

Auch bei manchen Frauen kam das Geständnis gut an. „Giorgia“, schrieb etwa eine 32-jährige italienische Journalistin, habe sie in diesem Augenblick an sich selbst und andere berufstätige Frauen erinnert, die sich nach einem Tag auf hohen Absätzen nach ihren Hausschuhen sehnten: „Am Ende des Tages ist jeder Giorgia. Oder besser gesagt, am Ende des Tages ist Giorgia wie wir.“

Die aus dem römischen Arbeiterviertel Garbatella stammende Meloni ist Tochter einer alleinerziehenden Mutter, deren Vater, ein Kommunist, die Familie früh verließ. Sie trat mit 15 Jahren in die Jugendorganisation des „Movimento Sociale Italiano“ ein, in dem sich nach dem Zweiten Weltkrieg Sympathisanten und Gefolgsleute von Benito Mussolini tummelten. Ihre politische Karriere verlief kometenhaft, 2012 gründete sie mit Guido Crosetto, dem heutigen Verteidigungsminister, und Ignazio La Russa, dem derzeitigen Senatspräsidenten (der Besuchern gern seine Sammlung Mussolini-Büsten zeigt) die postfaschistischen „Brüder Italiens“. Mit 37 übernahm Meloni 2014 deren Führung. Die Partei lag damals bei drei Prozent. Entschlossen und nur auf sich selbst konzentriert, schritt Meloni voran und ging aus allen Machtkämpfen in ihrer – bis zur Karikatur machohaften – Partei, als Siegerin hervor. 

Melonis politischer Schlüsselmoment, der ganz Italien auf sie aufmerksam machte, war ihr Auftritt am 19. November 2019 auf der Piazza San Giovanni in Rom. Sie trat ans Mikrofon, drapierte vor sich am Rednerpult eine Trikolore und rief: „Ich bin Giorgia! Ich bin eine Frau! Ich bin eine Mutter! Ich bin eine Christin! Ich bin Italienerin! 

Und das werdet ihr mir nicht nehmen!“. Ihr Bekenntnis wirkte wie der politische Handschuhwurf einer autochthonen, italienischen Mutter gegen Globalisierungsbefürworter, Regenbogenfamilien, Wokeness und Migration. Italien sprach wochenlang davon. „Io sono Giorgia“ – „Ich bin Giorgia“ lautete dann auch der Titel ihrer 2021 veröffentlichten Biografie. 

Ein Jahr später gewann das Rechtsbündnis um die „Brüder Italiens“ die Parlamentswahl. Mit einem Programm, in dem die Frau nur als Mutter und als Italienerin vorkommt, meistens in Verbindung mit den Begriffen „Familie“ und „Reproduktion“. 27 Prozent aller Wählerinnen (die Wahlbeteiligung von Frauen lag bei 41 Prozent) hatten Meloni ihre Stimme gegeben. Fragte man Frauen im italienischen Bekanntenkreis, warum sie zum ersten Mal in ihrem Leben rechts gewählt hatten, hörte man oft: Aus Mangel an Alternativen, aus Frust über bisherige Regierungsparteien. Mit Meloni habe außerdem erstmals die Chance bestanden, dass eine Frau in den Palazzo Chigi zieht. 

Meloni hat die gläserne Decke mit Wucht durchbrochen. Aber nur für sich selbst. Die Mitbegründerin der Partei, deren Namen nur „Brüder“, aber keine „Schwestern“ einschließt, teilte am Tag nach ihrer Ernennung zur Ministerpräsidentin mit, dass sie genau so angesprochen werden wolle wie ihre männlichen Vorgänger. Nämlich als „il presidente del consiglio“, also als „der Ministerpräsident Giorgia Meloni“. 

Meloni ist keine Feministin. Sie hat nicht den Ehrgeiz, die sozialen Rollen auch für andere Frauen umzuschreiben. Sicherlich, sie trennte sich von ihrem Lebensgefährten und damit, argumentieren viele Italienerinnen, habe sie dem althergebrachten Modell der Frau, die die Untreue ihres Mannes still erduldet, klar widersprochen. Letztendlich aber hatte Meloni keine andere Wahl, als Giambruno vor die Tür zu setzen. Seine Eskapaden hätten Melonis Autorität untergraben. Die Instagram-Nachricht, mit der sie die Trennung öffentlich machte, verrät, wie tief Melonis Weltsicht im patriarchalen Denken verwurzelt ist. Meloni dankt Giambruno darin, „dass er mir das Wichtigste in meinem Leben geschenkt hat, nämlich unsere Tochter Ginevra“. 

Die Mystik des geschenkten Kindes passt zu den Äußerungen der Ministerpräsidentin zum Haushaltsplan 2024, wonach Kinder, mindestens zwei, der „wichtige Beitrag“ einer Frau für den Staat seien. 

Auch die bisherigen Entscheidungen der Regierung verdeutlichen die konservative Vision, die sich in den vergangenen 14 Monaten eher verfestigt zu haben scheint. Zwei Frauen können sich standesamtlich nicht mehr so leicht als Eltern Neugeborener registrieren lassen wie früher, dafür hat Eugenia Roccella, Melonis Ministerin für Familie, Geburten und Chancengleichheit gesorgt. Ist als nächstes das Thema Abtreibung dran? 

Während des Wahlkampfes hatte Meloni mehrfach gesagt, sie wolle „Frauen das Recht geben, nicht abzutreiben“. In Italien ist das Recht auf Abtreibung durch das Gesetz 194 garantiert. Es wurde 1978 verabschiedet und damit ein Verbot Mussolinis aufgehoben, der Abtreibung als „Verbrechen gegen die italienische Rasse“ ansah. Fast fünfzig Jahre nach diesem Meilenstein fühlt sich das Recht auf Abtreibung für viele Frauen jedoch noch immer nicht als ein solches an: Im stark vom Katholizismus geprägten Italien gleicht der Weg einer Frau von der Entscheidung bis zum Eingriff einem Hindernislauf. Immer weniger Ärzte nehmen Abtreibungen vor. Die gesetzlich vorgeschriebene Frist von neun Wochen ist deshalb oftmals kaum einzuhalten. Nun wird befürchtet, dass den Frauen der Zugang weiterhin erschwert werden soll. 

Leihmutterschaft hingegen ist in Italien jetzt verboten (siehe Seite 42). Im Sommer stimmte Italiens Parlament für einen Gesetzentwurf der „Brüder Italiens“, der die Inanspruchnahme einer Leihmutter selbst im Ausland strafbar macht. Sie sei ein „schweres Verbrechen“, „schlimmer als Pädophilie“, hatte es zuvor aus Regierungskreisen geheißen.

Beim Thema Migration hingegen ist Meloni bisher nicht weitergekommen. Italien fühlt sich von der EU zu recht konsequent allein gelassen mit dem illegalen Zustrom von Migranten übers Mittelmeer. Meloni hatte während des Wahlkampfs versprochen, ihn deutlich zu reduzieren. Man werde künftig nur noch „auf legalem Weg“ nach Italien kommen können. Es war ein Versprechen der geschlossenen Grenzen, für das viele WählerInnen Meloni ihre Stimme gaben. Seit ihrer Amtsübernahme hat sich die Anzahl der in Italien übers Mittelmeer ankommenden Migranten jedoch auf über 153.000 verdoppelt. Ein Regierungsdekret, wonach nur gefährdete Menschen von Rettungsschiffen an Land gehen sollten, wurde sofort wieder kassiert. Dann schloss Rom ein Abkommen mit Tirana über den Bau von Aufnahmezentren in Albanien, das aber wegen juristischer Bedenken auf Eis gelegt wurde. Jetzt will Meloni mit milliardenschweren Pilotprojekten in Afrika neue Arbeitsplätze schaffen, damit junge Menschen dort gar nicht mehr auf die Idee kommen, nach Europa gehen zu wollen. Meloni spricht nicht mehr von „Seeblockaden“ und sie bedient sich auch nicht dem bei Europas Ultrarechten üblichen Jargon von „Remigration“. 

Die Schriftstellerin Alessandra Bocchetti, die Grande Dame der römischen Frauenbewegung, hat Meloni als eine „echte Gefahr für Frauen“ bezeichnet. Nach dem Femizid an der 22-jährigen Giulia Cecchettin am 11. November 2023 wurde Italien (wo 2023 alle drei Tage eine Frau getötet wurde) von einer Welle der Wut und Entschlossenheit erfasst, endlich konkrete Ergebnisse im Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen zu erzielen. Hunderttausende gingen am 25. November in Rom und anderen italienischen Städten auf die Straße und forderten ein Ende der Gewalt und der Diskriminierung von Frauen. Giorgia Meloni, die erste weibliche Regierungschefin Italiens, war nicht dabei. Sie postete in den sozialen Medien: Italien habe die Gesetze und Institutionen, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern und zu bekämpfen. Frauen in Not sollten bitte die gebührenfreie Notrufnummer 1522 wählen.

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