Bürgerinitiativen machen mobil

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Drei Millionen Euro hat es gekostet, das ‚Hotel am Stadtpark‘ in Delmenhorst. Wert ist es nicht mal die Hälfte. Aber die Stadt Delmenhorst hat es gekauft, obwohl der städtische Haushalt tief in den roten Zahlen steckt. Warum? Weil die Stadt um jeden Preis verhindern will, dass die rechtsextremistische Szene das Hotel zu ihrem Schulungszentrum macht und dort, zum Beispiel, NPD-Parteitage stattfinden. Als die Delmenhorster BürgerInnen von den Absichten der Neonazis erfuh­ren, die in den letzten Jahren flächen­deckend nach Immobilien Ausschau halten, gründeten sie eine Bürgerinitiative und machten Druck. Sie wollten keine Neonazis und keinen Rassismus in der niedersäch­sischen Kleinstadt. Initiativen-Gründer Gerd Renker: „Die Bürger haben die Stadt quasi ins Schlepptau genommen.“

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Ortswechsel. 1,7 Millionen Euro soll sie kosten, die Hildebrandsche Mühle in Weinheim an der Bergstraße. Aber die Stadt will sie nicht kaufen, obwohl zwei „Immobilienentwickler“ mit Briefkastenfirma in Bad Homburg dort ein Großbordell einquartieren wollen. Warum nicht? Zu teuer. Aber das ist nicht alles. Die baden-württember­gische Landesdenkmalbehörde genehmigte den Bordelliers für die Renovierung des denkmalgeschützten Gebäudes gar einen Zuschuss von 232.000 Euro. „Für uns zählt das Gebäude, wir müssen keine moralische Bewertung vornehmen“, bestätigt das Regie­rungspräsidium.
Rein formal mag das korrekt sein. Doch man stelle sich nur vor, das Delmenhorster ‚Hotel am Stadtpark‘ wäre auf Staatskosten renoviert und dann an die NPD verkauft worden. Ein deutschlandweiter Aufschrei wäre – zu Recht – die Folge gewesen.

Als die Weinheimer von den Absichten der Bordellbetreiber erfahren hatten, die in den letzten Jahren flächendeckend nach geeigneten Immobilien für ihre Großbordelle Ausschau halten, gründeten sie eine Bürgerinitiative und machten Druck. Sie wollten keine Zuhälter und keinen Sexismus in ihrer baden-württember­gischen Kleinstadt. Aber noch haben sie es nicht geschafft, ihre Stadtoberen ins Schlepptau zu nehmen.

Das 43.000-Einwohner-Städtchen Weinheim liegt nicht nur idyllisch am Rande des Odenwalds, sondern auch nur knapp 75 Kilo­meter entfernt vom Frankfurter Flug­hafen. Nah genug, um frisch gelandete Freier vom Flughafen per Shuttle-Service in die Hildebrandsche Mühle zu befördern. Ein Schnitt von 100 „Kunden“, so hat Besitzer Rainer Knapp ausgerechnet, müsste sich pro Tag erreichen und die Kasse klingeln lassen.

Einer, der diese Vision ebenso „unmoralisch“ findet wie die Vorstellung, dass sich Neonazis in seiner Stadt einnisten, ist Hans Bayer. Der 72-jährige Weinheimer, ein regel­mäßiger Besucher der 100 Meter entfernten Peterskirche, hat die Bürgerinitiative ‚Bündnis für Weinheim‘ gegründet, weil er nicht will, dass dort, wo „eine umfangreiche Kinder- und Jugendarbeit gemacht wird“, demnächst Freier auf der Suche nach bezahltem Sex anrollen sollen.

Hans Bayer, pensionierter Richter, hatte in seinem Gerichtssaal außerdem vierzig Jahre lang „Strafsachen“ zu be- und verurteilen. Deshalb weiß er, dass „hinter so gut wie jeder Prostituierten ein Mann steht, der an ihr verdient.“ Und er weiß, dass Kriminalität von Körperverletzung bis Menschenhandel im Umfeld von Prostituierten nicht weit sind. „Ich hatte genug solcher Fälle.“

Daher ist der erfahrene Jurist nicht nur hochgradig verblüfft über die so nonchalant gewährte Förderung der Landesdenkmal­behörde. Er wundert sich auch darüber, dass es in der konservativen Mehrheit des Weinheimer Stadtrates „auffallende Verfechter“ des Bordell-Projektes gibt. Und so hat Hans Bayer, lange Jahre Mitglied in der CDU, sein Parteibuch zurückgegeben.

Weinheim ist nicht die einzige Stadt, in der sich massiver BürgerInnen-Protest gegen diejenigen regt, die ihr Geschäft mit der Ware Frau zunehmend hemmungsloser betreiben. Gerade Kleinstädte scheinen immer attraktiver zu werden für Groß­bordelliers. Denn erstens ist die Konkurrenz im Frankfurter, Hamburger oder Ber­liner Rotlichtvier­tel erheblich größer als im kleinstädtischen Gewerbegebiet, wo ein konkurrenzloses Großbordell Freier aus dem ganzen Umland anlockt. Zweitens scheinen auch die ortsansässigen Herren ange­sichts der gras­sierenden Salonfähigkeit des Körperkaufs immer weniger Hemmungen zu haben, sich als Freier zu outen. Warum noch zum diskreten Puffbesuch in die nächste Großstadt fahren, wenn’s auch gänzlich ungeniert am eigenen Kleinstadtrand geht?

Und so tendieren Investoren immer öfter dazu, ihre Millionen nicht mehr in Büro­gebäude oder Handyfirmen zu buttern, sondern in die „Sexindustrie“. Die ist ein überaus lukratives Geschäft und Herren, die in diesem Bereich investieren, gelten in­zwischen als seriöse Gesprächs- und Geschäftspartner. Ein Bordell ist heutzutage, wie es in der Weinheimer Bauanfrage heißt, eine „Freizeiteinrichtung (Vergnügungs­stätte) mit der Möglichkeit, gegen Vergütung Verträge über sexuelle Dienstleistungen abzu­schließen.“

Aber die Bürgerinnen der Kleinstädte sind nicht bereit, sich mit den Sex-Palästen und dem Kauf „sexueller Dienstleistungen“ vor ihrer Nase abzufinden. Was längst Bürgerpflicht ist, wenn Neonazis ihre ausländerfeindlichen Parolen brüllen, wird nun auch in Sachen Frauenfeindlichkeit via Prostitution selbstverständlich: Gegenwehr. Und unter denen, die Widerstand gegen das Herrenrecht auf Frauenkörper leisten, sind auffallend viele Männer. Männer wie Reiner Gutmann.

Als der 42-jährige LKW-Fahrer und Ehemann an einem Morgen im Dezember 2004 die Lokalnachrichten anschaltete, um zu hören, was in seinem schnuckeligen Schwabenstädtchen Schorndorf so vor sich geht, hat’s ihn „schier aus dem Bett gehauen“. Ein gewisser Uli Schumacher, besser bekannt als „Bordellkönig von Stuttgart“, wollte in einem ehemaligen Asylbewerberheim ein weiteres Bordell eröffnen. Zusätzlich zu denen, die er in Stuttgart, Frankfurt, Ludwigsburg oder Backnang schon betreibt. Und Winfried Kübler, CDU, seines Zeichens Oberbürgermeister von Schorndorf, schien von der Idee eines „Laufhauses“ in seiner Stadt durchaus angetan. Schließlich suchte er händeringend nach einem neuen Mieter, nachdem das Land Baden-Württemberg keine Asylbewerber mehr schickte.

„Das Ganze schien praktisch schon in trockenen Tüchern!“, erzählt Reiner Gutmann empört. Allerdings hatten wohl weder der Bordellkönig noch der OB mit dem Sturm gerechnet, der jetzt in der sonst so braven Kleinstadt an der Deutschen Fachwerkstraße losbrach.

Nicht nur Gutmann ging auf die Barrikaden. Auch Walter Meng, Diakon und langjähriger Leiter des Verbandes der Mitternachtsmission (die in ganz Deutschland Anlaufstellen für hilfesuchende Prostituierte betreibt) hatte nicht die Absicht, sich mit den Bordell-Plänen für Schorndorf abzufinden. Die Bürgerinitiative ‚Kein Bordell für Schorndorf‘, die die beiden Männer gründeten, bombardierte die Lokalpresse mit Leserbriefen und sammelte Unterschriften  Bei einer Versammlung in der Stadthalle erkärte nicht nur Reiner Gutmann, „dass mit der angeb­lichen Freiwilligkeit der Frauen ja wohl was net stimmt“ und dass „mer so Prostitu­tion gesellschaftsfähig macht“. Auch sämt­liche Diskutanten auf dem Podium, senkten den Daumen. Und das Diakonische Werk, in dessen Trägerschaft die neben dem potenziellen Bordell gelegenen Behindertenwerkstätten geführt werden, drohte mit einer „Klage durch alle Instanzen“.

Die Schorndorfer Bürgerbewegung trug schließlich den Sieg davon: Die Stadt verkaufte das Gebäude an die Frau eines Schorndorfer Autohändlers und Bordellgegners, die dort jüngst ein Hotel eröffnet hat.
Aber die siegreiche Bürgerinitiative macht trotzdem weiter. Denn in anderen Städten gibt es noch viel zu tun. Unterstützung aus Schorndorf gibt es zum Beispiel für den Kampf einer BürgerInnenini­tiative in Marburg. Dort musste auch Oberbürgermeister Vaupel erkennen, dass er das Großbordell mit Laufhaus, Table Dance und Sexshop, das „auswärtige Investoren“ in einem Gewerbegebiet seiner Studentenstadt aufmachen wollten, nicht so sang- und klanglos würde durchwinken können. Der sozial­demokratische Stadtchef und seine Verwaltung hatte den Bordellbetreibern  ­zunächst einen roten Teppich ausgerollt. Die Bau­arbeiten für den „Bordell- und Vergnügungsbetrieb“ Erotic Island hatten längst begonnen – obwohl ein entsprechender Bau­antrag weder vorlag, geschweige denn genehmigt worden war. 

Aber die Verantwortlichen der Stadtverwaltung schritten erst ein, als sie mussten. Und sie mussten, weil es in der beschaulichen Studentenstadt Marburg Menschen gibt wie Inge Hauschildt-Schön. Die pensionierte Lehrerin hatte aus der Presse erfahren, wie leicht sich der großangelegte Verkauf der Ware Frau in Marburg gestalten sollte (EMMA 6/05). Der Antrag auf Nutzungsänderung des Gebäudes als „Vergnügungsstätte“? Wird voraussichtlich genehmigt, erklärte das Bauamt. Es habe ja schon „Gespräche“ mit den Betreibern gegeben. Die erforderliche Genehmigung für die „Zurschaustellung von Personen“? Kein Problem, hieß es aus dem Ordnungsamt. Prostitution sei „in unserer Gesellschaft schließlich nichts Ungewöhnliches“.

Das sieht Inge Hauschildt-Schön anders. Ihre Bürgerinitiative sammelte nicht nur innerhalb kürzester Zeit 3.500 Unterschriften gegen das geplante Bordell, sondern tat das, was Oberbürgermeister Vaupel längst hätte tun müssen: Sie forderte einen Baustopp. Der Stadt blieb nichts anderes übrig, als ihn zu verhängen. Und so konnten die „auswärtigen Investoren“ ihren Plan, ihr Laufhaus am 1. September 2005 zu eröffnen, zunächst einmal vergessen.

Inzwischen hat die SPD-dominierte Marburger Stadtverordnetenversammlung das Bordell – genehmigt. Begründung: Es hätten ansonsten millionenschwere Regressforderungen der Bordellbetreiber gedroht. Ein juristisches Gutachten der BürgerInneninitiative besagt das Gegenteil. Aber der Magistrat ignorierte diese Expertise genauso wie die Tatsache, dass einer der potenziellen Bordellbetreiber während der Bauarbeiten als Angeklagter vor dem Marburger Amtsgericht stand. Vorwurf: Menschenhandel. Urteil: Zwei Jahre und vier Monate Haft.

Über so viel Ignoranz zeigte sich schließlich auch die Marburger Staatsanwaltschaft erstaunt: Es könnte der Eindruck entstehen, die Stadtspitze „tendiere dazu, ihre Verwaltungsentscheidungen durchweg zugunsten der Betreiber zu treffen“. „Es fehlte den politisch Verantwortlichen ganz einfach der politische Wille, dieses Bordell zu verhindern“, konstatiert Hauschildt-Schön. Das verwundert nicht weiter. Waren es doch die Hauptstadt-Genossen und -Genossinnen, die 2002 – gemeinsam mit den Grünen – mit ihrer Reform des Prostitutionsgesetzes die Rechts­lage geschaffen hatten, die jetzt Polizei, Bürgerinitiativen und manchmal auch Stadtverwaltungen zur Verzweiflung bringt: Prostitution ist seit dem 1. Januar 2002 sittenkonform und legal – theoretisch. Die Betreiber stellen für Gewerbegebiete ganz normale Bauanträge wie ansonsten Möbelhäuser oder Baumarktketten. Und das, obwohl praktisch die Verstrickungen mit dem illegalen Frauenhandel offenkundig sind. Nicht nur in Marburg, sondern auch in Schorndorf, wo Bordellkönig Schumacher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft erklären musste, warum er nichts davon gewusst habe, dass sein Etablisse­ment in Backnang als Drehscheibe für einen Frauenhändlerring fungierte, der mit Osteuropäerinnen schacherte.

Auch die Kripo Weinheim hat der Stadtverwaltung ein „Arbeitspapier“ zukommen lassen, in dem steht, dass sie im Falle des Bordells in der Hildebrandschen Mühle mit einem „Mehr an Arbeit“ rechnet. „Gerade die Art, wie Großbordelle geführt werden, bringt das mit sich“, erklärt Polizei-Pressesprecher Harald Kurzer. „Wir rechnen mit Ordnungswidrigkeiten und Straftaten von Falschparken über Körperverletzung bis Menschenhandel.“ Die Landesdenkmal­be­hörde ficht das erklär­termaßen nicht an.

Und auch die Weinheimer Stadtverwaltung machte den Weg für die „Investoren“ frei, indem sie das Areal um die Hildebrandsche Mühle zum Gewerbegebiet erklärte. Das müsse man, erklärt der städtische Pressesprecher. Ansonsten drohten „Regressforderungen in Millionenhöhe“ der Bordell-Großhändler. Aber noch ist in Weinheim das letzte Wort nicht gesprochen. Hans Bayer und seine Bürgerinitiative haben Klage gegen die Stadt eingereicht.

Im November 2006 haben sich die örtlichen Bürgerinitiativen nun zusammengeschlossen zum ‚Netzwerk gegen Ausbeutung in der Prostitution‘. „Wir möchten den Poli­tikern, die gegen die Salonfähigkeit von Prostitution und gegen das Prostitutions­gesetz kämpfen, den Rücken stärken“, erklärt der in Sachen Hilfe für Prostituierte so erfahrene Walter Meng. „Wir wollen zeigen, dass es Druck von der Basis gibt.“

 

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