Lorenas Aufbruch

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Einmal fragte eine Küchen-Firma bei ihr an: Ob sie Werbung für ein Pizzamesser machen würde? Lorena Gallo lehnte ab. Obwohl dem Messer ein durchschlagender Erfolg sicher gewesen wäre, denn Lorena Gallo ist bis heute eine Legende: Am 24. Juni 1993 schnitt die junge Frau, die damals Bobbitt hieß, ihrem Mann den Penis ab.

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In dieser Nacht hatte der 1,96 Meter-Ex-Marine John Wayne Bobbitt sie vergewaltigt, zum x-ten Mal in der vierjährigen Ehe. Aber dieses Mal reichte es Lorena. Die ­zier­liche Ecuadorianerin griff ein Messer aus der Küche – und entmannte ihren Ehemann. Die Schlagzeilen gingen um die Welt. Und während mancher Journalist über die „kriminelle Kastrateurin“ in Rage geriet, war manche Frau – klammheimlich oder offen – froh darüber, dass sich eine gewehrt hat – endlich!

„Wenn ein Typ darauf besteht, seinen Penis als Waffe einzusetzen, gehört er – wie auch immer – schleunigst entwaffnet“, erklärte die Time-Kolumnistin Barbara Ehrenreich. „Sie hätte die Eier gleich mit abschneiden ­sollen!“ wetterte eine alte Dame aus Brooklyn in der Daily News. „Amerikanische ­Hausfrauen denken beim Anblick eines ­Küchenmessers nicht mehr nur ans Petersilie-Hacken“, schrieb Alice Schwarzer in EMMA.

Statt für Pizzamesser zu werben, gründete die heute 39-jährige Gallo 2007 „Lorenas Red Wagon“, eine Organisation für die Opfer Häuslicher Gewalt. Mit den Spenden finanziert Lorena, die nach ihrer Scheidung 1995 ihren Geburtsnamen wieder annahm, Therapeutinnen für Frauenhaus-Bewohnerinnen.

„Wer, wenn nicht ich, weiß, was diese Frauen durchgemacht haben?“ fragte Lorena in der Oprah Winfrey-Show, in der sie zum 15. Jahrestag ihrer Tat zu Gast war. Sie kennt den Kreislauf aus Schlägen („Er wandte die Kampftechniken an, die er beim Militär gelernt hatte“), Erniedrigungen („Er hat mich immer als ‚spanische Hure‘ ­beschimpft“) und Beteuerungen („Er hat sich hinterher immer entschuldigt“). Und sie erinnert sich gut, was ihre eigene Therapeutin damals erklärte: „Wenn du anfängst, über das, was dir passiert ist zu reden, dann ist das der erste Schritt zur Heilung.“

Erst redete Lorena Gallo. Dann handelte sie. Die Frau, die damals von den Geschworenen für „unzurechnungsfähig“ erklärt und für 45 Tage in die Psychiatrie geschickt wurde, machte einen College-Abschluss, eine Ausbildung als Friseurin und eine als Immobilienmaklerin. Und sie wurde Mutter: Tochter Olivia ist heute vier Jahre alt. Deren Vater Dave ist seit neun Jahren Lorenas ­Lebensgefährte und ihr „bester Freund“.

Und John Bobbitt? Der Vergewaltiger, der damals freigesprochen wurde, tingelte durch Talkshows – und machte Pornofilme. Titel: „John Wayne Bobbitt: Uncut“. Übrigens: Dass Bobbitts Penis in einer neunstündigen Operation wieder angenäht werden konnte, hat er seiner Ex-Frau zu verdanken, die – zum Bedauern vieler Frauen – verriet, wo sie das Teil weggeworfen hatte.

„Wenn du rückblickend etwas in deinem Leben anders machen könntest, was wäre das?“ fragte Oprah ihren Studiogast. „Ich würde John Bobbitt nicht noch einmal heiraten“, sagte Lorena. Ihre Entwaffnungsaktion vom 24. Juni 1993 ­erwähnte sie nicht.

www.lorenasredwagon.com

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Dossier Männergewalt (1/10)
 

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