Unabhängige MuslimInnen in Berlin

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Die deutsche Debatte um den Islam ist ja von Vorurteilen und dem Kampf der Deutungshoheit geprägt. Den Islamverbänden, die in der letzten Woche auf der staatlichen Deutschen Islam-Konferenz dem Innenminister unterstellt haben, er würde „den Islam auf eine Sicherheitsdebatte reduzieren“, spielen seit Jahren dieses Machtspiel. Sie wollen allein für und über den Islam und die MusliInnen sprechen. Sie wollen staatskirchliche Rechte erlangen, alleiniger Ansprechpartner für den Staat sein und sodann u.a. die Besetzung von Lehrstühlen zum Islam, die Inhalte des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts bestimmen. Eine innermuslimische Debatte können und wollen die orthodoxen Islamverbände nicht führen. Weder miteinander, noch mit den Deutschen oder mit anderen Muslimen.

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Dieses Defizit hat nun die kritische Islamkonferenz aufgegriffen. Und das war das Ungewöhnliche: Dass hier zehn ganz unterschiedliche Positionen muslimischen und islamkritischen Denkens zur Sprache kamen. Die Referenten – sechs Frauen und vier Männer - waren ausschließlich Deutsche aus dem muslimischen Kulturkreis und die Spannbreite der Meinungen hätte kaum größer sein können.

Der aus Ägypten stammende und jetzt wieder teilweise in Kairo lebende Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad beschrieb den Koran als „offenes Büffet“, von dem sich jeder seinen Vers nehmen könne, aus dem man eben Freiheit wie Unterwerfung lesen könne. Er hält den Islam allerdings für solange nicht reformierbar, solange der Koran als göttlich angesehen wird. Denn dann würden am Ende immer die Fundamentalisten mit ihren Argumenten die Oberhand behalten. Sarkastisch beschrieb Abdel-Samad die Demokratie in muslimischen Ländern als „einmalig“. Seien die Muslimbrüder einmal an der Macht, würden sie die nie wieder (freiwillig) abgeben.

Wesentlich optimistischer ging die ehemalige SPD-Abgeordnete Lale Akgün das Thema an. Nach dem Motto: „Wir müssen den Orthodoxen den Koran wegnehmen“, plädierte sie für eine zeitgemäße, säkulare Lesart des Islam. Sie las Vernunft aus der Lehre heraus, doch kritisierte ebenfalls die Islamverbände als konservativ bis fundamentalistisch. Die Deutsch-Türkin, die lange für die seltsam verdruckste Position der SPD zum Islam mit verantwortlich war, positionierte sich nun ganz eindeutig gegen den islamischen Bekenntnisunterricht und für den Glauben als persönliche Angelegenheit.

Sehr selbstbewusst traten die Vertreterinnen der Frankfurter Initiative progressiver Frauen, Zeliha Dikmen und Sunay Goldberg, auf. Sie wollen für sich, ihre Kinder und die Gesellschaft Verantwortung übernehmen und kritisieren konservative Positionen in Religion und Politik. Deutlich wurde, dass diese Frauen ein „ihr“ und „wir“, also der Unterschied zwischen Einwanderern und Mehrheitsgesellschaft, gar nicht mehr kennen.

Indem sie die Unterschiede vom sunnitischen oder schiitischen Islam beschrieben, machten Yilmaz Kahraman und Melek Yildiz von der Alevitischen Gemeinde die eigenständige, liberale Weltsicht und die Weltzugewandtheit ihrer Religion deutlich. Hinzu kamen die AtheistInnen, die Religionsgegner, für die Glauben strikt Privatsache sein sollte und der Staat sich rauszuhalten habe. Und so gab es in der Konferenz auch einen Moment, in dem alte gegenseitige Vorwürfe unversöhnlich aufeinander trafen. Dennoch blieb die Debatte konstruktiv.

Am zweiten Tag ging es um die Abschlusserklärung zu dem Motto „Selbstbestimmung statt Gruppenzwang“. Man versuchte, berechtigte Religionskritik von Fremdenfeindlichkeit zu unterscheiden. Die Trennung von Staat und Religion war Konsens. In vielen Beiträgen wurde der Erklärungsansatz des Philosophen Wolfgang Welsch aufgenommen, der von einer „transkulturellen Gesellschaft“ spricht. Für Welsch steht das Individuum im Vordergrund. Die Stärkung der persönlichen wie politischen Rechte des Individuums, anstatt Förderung einer „kulturellen Identität“ von Gruppen zog sich dann auch durch Abschlusserklärung.

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Abschlusserklärung auf http://kritische-islamkonferenz.de/
Kampagne: Islamismus

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