Das Kopftuch-Verbot ist ein Erfolg

Stolze muslimische Republikanerinnen in Frankreich
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Wenn die französischen Schülerinnen und Schüler am 2. September 2009 nach den Sommerferien zur so genannten "Rentrée" zum neuen Schuljahr antreten, bleiben die "religiösen Zeichen" wieder zuhause: Weder das Kreuz noch die Kippa noch das islamische Kopftuch dürfen innerhalb eines Schulgebäudes getragen werden. Auch wenn die Kontroverse weitergeht in der Öffentlichkeit: In den Schulen ist es ruhig geworden an der Kopftuchfront. Nach dem Machtwort des Gesetzgebers vor fünf Jahren ist die Sache klar: Das Verbot wird befolgt, Mädchen mit Kopftuch gibt es nicht mehr in den Klassen; der "muslimische Schleier" sei "kein Thema mehr", erklärt die Pressesprecherin des Bildungsministeriums.

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Vor fünf Jahren war das noch anders: Als das Gesetz im September 2004 in Kraft trat, kamen 626 Schülerinnen noch mit Kopftuch zur Schule, vor allem im Elsass. 90 Prozent der Fälle wurden im Dialog gelöst. Auch elf aus Nordindien eingewanderte Sikhs wollten weiterhin ihren Turban tragen, drei von ihnen wurden des Gymnasiums verwiesen.

Rückblickend erinnert sich die Pressesprecherin des Erziehungsministeriums an "45 ungeklärte Fälle" im Schuljahr 2004/5. Zehn Jahre zuvor, im Schuljahr 1994/95 waren rund 3.000 Kopftuch-Mädchen in französischen Schulen gezählt worden.

Die meisten SchülerInnen finden heute das Kopftuchverbot richtig. "Ich sehe nicht ein, wieso Musliminnen ein Kopftuch tragen und Christinnen nicht", erklärt ein 15-jähriger Schwarzer auf dem Pausenhof des Lycée Voltaire: "In der Schule sind alle gleich." Der Glaube sei im Herzen, pflichtet sein muslimischer Freund bei, den brauche man nicht zu zeigen: "Das gilt für alle: weder Kreuz noch Schleier noch Bart!" Und eine gleichaltrige Muslima sagt: "Ein verschleiertes Mädchen in der  Schule würde mich stören. Denn dann fängt es an: Die eine ist verschleiert, sie gilt als anständiges Mädchen, die andere nicht, das ist eine Nutte."

In dieser Schule im elften Pariser Arrondissement gehen 1.500 SchülerInnen zwischen 10 und 18 Jahren entweder ins Collège (die Gesamtschule) oder aufs Gymnasium. Sie haben 30 verschiedene Nationalitäten. "Nur wenn jeder seine Religion zu Hause lässt, ist ein besseres Auskommen untereinander möglich", erklärt Jean-Pierre Mongénie, bis 2007 Leiter des Lycée Voltaire. In den Pariser Schulen gab es schon immer nur wenige Problemfälle, erklärt Collège-Leiterin Fabienne Delmedico: "Eher in den sehr schwierigen Schulen in den Vororten. Und da hilft das Gesetz."

Das Verbot des Kopftuchs stand am Ende von jahrzehntelangen Auseinandersetzungen. 1989 kam es zur so genannten "Schleier-Affäre", als der Schulleiter einer Gesamtschule im Pariser Vorort Creil drei Schülerinnen vom Unterricht ausschloss, weil ihr Kopftuch als religiöses Zeichen nicht vereinbar sei mit der Schulordnung. Die Debatte beherrschte jahrelang die Schlagzeilen (siehe der Kommentar von Elisabeth Badinter auf Seite 94). Es begann ein Krieg um Worte und Zentimeter, je nach Größe des Kopftuchs, "Bandana" (ein Band ums Haar) oder Schleier, sichtbar oder "ostentativ" (laut Duden gleichbedeutend mit "bewusst herausfordernd, zur Schau gestellt; in herausfordernder, provozierender Weise"). In Creil einigten sich Eltern und Schule letztendlich einen Monat später darauf, dass die Mädchen ihre Kopftücher am Schultor ablegen.

Je nach Schule und Schuldirektor wurden von nun an Schülerinnen mit Kopftuch vom Unterricht ausgeschlossen oder nicht. Der liberale Erziehungsminister Bayrou versuchte 1994, der "Schleier-Diskussion" ein Ende zu setzen. Seine ministerielle Weisung, wonach Kopftuch tragende Schülerinnen vom Unterricht ausgeschlossen werden können, ging zwar in Richtung eines Verbots, wurde jedoch vom Staatsrat (Verfassungsgericht) in Einzelfällen für ungültig erklärt.

Muslimische Organisationen unterstützten Kopftuch tragende Mädchen und ermutigten deren Eltern, vor Gericht ihr "Recht auf Religionsfreiheit" durchzusetzen. 1999 bestätigte dann das Verwaltungsgericht in Caen den Schulverweis zweier türkischer Mädchen, die sich selbst im Sportunterricht weigerten, das Kopftuch abzulegen. Die schwammige Regelung von Dialog und Fall-zu-Fall-Entscheidungen galt bis zum gesetzlichen Verbot 2004, unter konservativen Regierungen wie unter sozialistischen.

2002 wird Nicolas Sarkozy von Präsident Chirac zum Innenminister ernannt, der auch für die Religionen zuständig ist. Ihm gelingt es, die französischen Muslime in einem Rat zu organisieren. Er will damit den Einfluss ausländischer fundamentalistischer Länder reduzieren, denn bis dahin finanzierte zum Beispiel Saudi-Arabien Moscheen. Dass im neuen Rat der Muslime die fundamentalistische Organisation UOIF stark repräsentiert ist, nahm der heutige Präsident Sarkozy damals in Kauf. Er will potenzielle muslimische Wähler auf keinen Fall verprellen. Doch trotz seiner Vermittlungsversuche wird Sarkozy im Frühjahr 2003 auf einem Kongress französischer Muslime ausgepfiffen, als er daran erinnert, dass Frauen auf dem Passfoto kein Kopftuch tragen dürfen.

Das entscheidende Machtwort im Schleierstreit kommt von Präsident Chirac. Er ist es auch, der nach seiner Wiederwahl 2002 als erster Präsident eine  Maghrebinerin in die Regierungsmannschaft nimmt, die Staatssekretärin für Umwelt, Tokia Saifi. Deren Lebensgefährte Amo Ferhati gründete übrigens aus Protest gegen Sarkozys Muslimrat, von dem sich zahlreiche Muslime nicht vertreten fühlten, den "Rat der laizistischen Muslime Frankreichs".

Chirac besteht auf einer strikten Einhaltung des laizistischen Prinzips, das für Jean Jaurès, einen der Gründerväter des französischen Sozialismus, "die größte Reform in unserem Land seit der Französischen Revolution" war. "Der Staat für sich, die Kirche für sich", so resümierte Victor Hugo den französischen Weg. 1905 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Trennung von Staat und Kirche besiegelte. Die Laizität sollte jedem die Religionsfreiheit erlauben – im Privaten. Glauben ist in Frankreich Privatsache, Wissen hingegen ist "für alle". Jüdische oder Koranschulen funktionieren meist nur am schulfreien Mittwoch.

Das Kopftuch bleibt 2003 die zentrale Frage, obwohl es in dem Jahr vor dem Verbot bei zwölf Millionen SchülerInnen nur zu 150 kritischen Fällen kam. Im Dezember 2003 regt die von Chirac einberufene Kommission ein Gesetz an, das "sichtbare" religiöse und politische Zeichen in Schulen wie Ämtern und bei jeder Berufsausübung verbietet. Der Kommission gehören 20 ProfessorInnen an, PhilosophInnen, PolitikerInnen, SchulrektorInnen und BürgermeisterInnen.

Angesichts des drohenden Kopftuchverbots schreibt der "Muslimische Rat Frankreichs" einen Protestbrief an Präsident Chirac. Der Rektor der Moschee von Lille spricht sich für das Tragen eines "dezenten Kopftuchs" aus. Gegen ein Gesetz sind auch die katholische Kirche und der Rat der Juden, die verhindern wollen, dass Kreuz und Kippa mit dem Schleier in einen Topf geworfen werden.

Die Mehrheit der Muslima selbst jedoch, nämlich 53 Prozent, sind einer repräsentativen Umfrage von Elle zufolge gegen jedes sichtbare religiöse Zeichen in der Schule! Elle lanciert im Namen der Gleichheit der Geschlechter eine Petition gegen das Kopftuch, viele Prominente unterschreiben, darunter die Schauspielerin Isabelle Adjani, deren Vater Algerier ist und die Mutter Deutsche.

"Den Zivilisationsgrad einer Gesellschaft misst man zuerst am Platz, den die Frauen haben", erklärt Präsident Jacques Chirac. Und kündigt im Dezember 2003 ein Gesetz an, das "sichtbare religiöse Zeichen in Schulen und Behörden" verbietet. Und in staatlichen Krankenhäusern sollen Muslima nicht mehr verlangen können, von Ärztinnen behandelt zu werden. Gleichzeitig spricht sich Chirac gegen jede Form von Diskriminierung von Einwanderern aus und für die Gleichheit zwischen Männern und Frauen, die im Beruf noch sehr im Argen liege. Die Reaktionen auf seine Rede sind allgemein positiv, auch unter MuslimInnen.

Der damalige Präsident des Muslimischen Rates, der gemäßigte Dalil Boubakeur, ruft nun die islamischen Führer dazu auf, ihren Gläubigen die Rede Chiracs zu erklären, damit sie verstehen, dass es in ihrem Sinne sei, das Gesetz zu befolgen. Die ebenfalls im Muslimischen Rat vertretene radikale Union der islamischen Organisationen Frankreichs UOIF erklärt: "Wir waren gegen das Gesetz, aber nun ist es da, und wir müssen damit leben." Auf der letzten Protestkundgebung im Jahr 2003 zählt die Polizei nur noch 2.500 Demonstranten.

Das "Verbot deutlich sichtbarer religiöser Zeichen in den Schulen" wird im Frühjahr 2004 im Parlament mit der überwältigenden Mehrheit von 494 (von 577) Stimmen verabschiedet. Konservative und Sozialisten stimmen gemeinsam dafür. Die 36 Gegenstimmen kommen von zwölf Konservativen und zwei Sozialisten, sowie der Mehrheit der Kommunisten und Grünen. Die 32 Enthaltungen kommen überwiegend von den Liberalen. Im Senat wird das Gesetz mit 276 gegen 20 Stimmen verabschiedet.

Am 1. September 2004 soll das Kopftuch-Verbot in Kraft treten. Doch ab dem 20. August 2004 sorgt die Geiselnahme zweier französischer Journalisten in Irak noch einmal für Dramatik. Eine "islamische Armee" gibt der französischen Regierung 48 Stunden, um das Gesetz wieder abzuschaffen. Angesichts der Geiselnahme sind sich jedoch plötzlich alle Franzosen einig, auch die, die zuvor gegen das Kopftuchverbot waren: Alle Parteien und alle Religionen fordern die bedingungslose Freilassung der Journalisten. Und auf der Demonstration am 30. August marschieren auch verschleierte Frauen mit Slogans wie "Ich will meinen Schleier nicht mit unschuldigem Blut beflecken" oder "Im Namen aller französischen Muslime: Befreit die Journalisten!"

Das Gesetz tritt wie vorgesehen zum Schuljahresbeginn im September 2004 in Kraft. Die beiden Journalisten kommen vor Weihnachten frei. Die algerisch-stämmige Hanifa Chérifi, Mitglied des Integrationsrates und der Kommission zur Laizität, war bereits 1994 Mediatorin bei Konflikten um das Kopftuch gewesen. Sie konstatiert in ihrem Bericht im Auftrag des Bildungsministeriums bereits ein Jahr nach dem Kopftuch-Verbot: "Selbstverständlich ist damit das Problem mit (…) dem islamischen Kopftuch nicht geregelt. Manche Mädchen haben das Kopftuch dank des Gesetzes endgültig abgelegt – andere setzen es gleich bei Verlassen der Schule wieder auf."

Gesamt ist Chérifis Bilanz positiv: "Die Mentalitäten haben sich geändert, die Laizität wird besser verstanden", schreibt sie. Der gesetzliche Rahmen, der eine kohärente Handhabung der Kopftuch-Frage im ganzen Land erlaube, habe den endlosen Debatten zwischen Schulleitung und Lehrern, Lehrern und Eltern, Schulleitung und Eltern ein Ende gesetzt. Der Bericht erwähnt schon im ersten Jahr vereinzelte Probleme mit verschleierten Müttern, die auf Schulausflüge mitkommen. Im Großen und Ganzen aber sei "die Autorität der Schule wieder hergestellt".

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Frankreich.

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