"Precious" ist wirklich wertvoll

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Claireece Precious Jones, genannt Precious, lebt in der Hölle von Harlem. Die Pöbeleien der Straßengangs gegen das Drei-Zentner-Girl wären schon schlimm genug, aber der wahre Horror beginnt, sobald Precious die Wohnungstür hinter sich schließt. Dann prügelt die Mutter und vergewaltigt der Vater. Wenn er sich auf sie wirft, beamt sie sich weg: In ihren Tagträumen ist Precious weiß, blond und schlank.
Aber der Inzest hat sehr reale Folgen: Precious ist schwanger. Weil es schon das zweite Mal ist – ihr erstes Kind „Mongo“ ist behindert – fliegt sie von der Schule. Doch dann trifft sie Ms. Rain. Die Lehrerin ist der erste Mensch, der Precious tatsächlich „wertvoll“ findet. „Push yourself!“ sagt sie, als die Analphabetin beim mühseligen Lesenlernen schummeln will. Precious gibt sich tatsächlich einen Ruck und lernt: das Lesen genauso wie den Willen zum Überleben und zum Kampf gegen
den Terror hinter der Tür.
Sapphire, die Autorin des Bestsellers „Push“, der als Filmvorlage diente, ist selbst Vorlage für beide Figuren: die verzweifelte Precious und die engagierte Ms. Rain. Die heute 59-jährige mit dem bürgerlichen Namen Ramona Lofton weiß nur zu genau, wovon sie 1995 in ihrem Romandebüt erzählte. Ihr Vater begann mit dem Missbrauch, als sie vier war, ihre Mutter trank und verschwand, als sie 13 war. 1977 geht sie nach Harlem, schreibt und strippt – und jobbt als Lehrerin für Analphabeten. 1995 kommt der Durchbruch mit „Push“.
„Ich sehe, was in schwarzen Familien geschieht, und denke, dass die Gewalt in der Familie uns mindestens so stark zerstört wie der Rassismus“, sagt Sapphire. 15 Jahre hat die Autorin gezögert, bis sie einem Regisseur ihr Buch anvertraute. Mit Lee Daniels hat sie die richtige Wahl getroffen. Auch er hat einschlägige Erfahrungen mit seinem Filmstoff: „Ich wurde als Kind zwar nicht missbraucht, aber verprügelt und phantasierte mich dann weg“, erzählt er.
Seine Laiendarstellerin Gabourey Sidibe spielt das langsame Erwachen der dumpf-verstummten Precious anrührend, aber nie verkitscht. Mutter Mo’nique, von Haus aus Comedian, erhielt zu Recht den Oscar für die beste Nebenrolle. Der Film läuft in Deutschland am 25. März im Kino.

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Sapphire-Porträt: "Ich will schwarz, blutig und weiblich schreiben" (3/1999)

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