Das Auto: Des deutschen Mannes liebstes

Autosalon in Genf 2007. Umringt wird die neue Mercedes-C-Klasse. - © A. Riedmiller/Caro
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Sein Opfer hatte Horst von M., 64, glatt übersehen. Bei 1,5 Promille im Blut klappt die Wahrnehmung eben nicht mehr so gut. „Ich dachte, das war ein Ball, Herr Richter“, erklärte der Angeklagte. Er hatte einen 72-Jährigen totgefahren, als der bei Grün über die Straße ging. Der Richter zeigte Verständnis und setzte die Strafe zur Bewährung aus. In Weilheim verurteilte das Gericht einen Geisterfahrer, dessen Wagen zwei Menschen tötete, zu vier Wochen Sozialarbeit. Man müsse die Tat von den Folgen trennen, befand man „im Namen des Volkes“. Und Ali A., ein 22-Jähriger, der mit 64 Sachen durch eine Tempo-30-Zone raste und dabei ein neunjähriges Mädchen tödlich verletzte, kam selbst als Wiederholungstäter mit einer Bewährungsstrafe davon. Seinen Führerschein hatte er vier Wochen vor dem Unfall abgeben müssen – wegen zu schnellen Fahrens.

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Nebel der Milde wabern durch deutsche Gerichtssäle, wenn die Opfer tot sind und die Tatwaffen Mercedes heißen, Jaguar oder BMW. Die Durchsicht unzähliger Urteile zu Verkehrsunfällen „mit Todesfolge“ zeigt, dass in Deutschland Menschen, die andere mit ihrem Wagen töten, ähnlich bestraft werden wie solche, die Autos zerkratzen. Ein 2005 im Polizei-Fachblatt ’Kriminalistik’ erschienener Aufsatz weist darauf hin, dass in Deutschland doppelt so viele Menschen bei Unfällen getötet werden wie durch Kapitalverbrechen. Doch der öffentliche Aufschrei bleibt aus. Fazit der Autoren: „Es wird mehr oder weniger als Tribut für die erwünschte Mobilität akzeptiert, dass im Straßenverkehr Menschen zu Tode kommen …“

46 Millionen zugelassene PKW blasen jährlich über 100 Millionen Tonnen CO2 in den deutschen Himmel, beinahe genauso viel wie 1990, als sich die Automobilindustrie erstmals folgenlos zur nennenswerten Senkung des Schadstoffausstoßes verpflichtete. Noch immer hält kaum ein deutsches Fabrikat die geplanten CO2-Grenzwerte der EU ein. Und selbst nach dem dramatischen UN-Bericht über die drohende Klimakatastrophe scheint die Einführung eines Tempolimits so wahrscheinlich wie die Berufung einer Frau zum Fußball-Bundestrainer der Männernationalmannschaft.

Die Fahrer kraftvoller Autos verfügen über ein „hohes Wunschtempo“, analysiert Christian Maag vom ‚Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften‘, Mit-Autor einer Studie über ‚Aggression im Straßenverkehr‘. „Auch wenn es zynisch klingt, eine Begleiterscheinung des heutigen Systems Verkehr ist, dass es negative Emotionen schürt und in der Konsequenz dann Opfer fordert“, bilanziert Maag in der Süddeutschen Zeitung.

99 Prozent der Fahrer, die wegen „Nötigung im Straßenverkehr“ in Flensburg registriert wurden, sind Männer.

Rund ums Automobil kristallisieren sich sämtliche Neurosen und Aggressionen, zu denen vor allem Männerseelen fähig sind. Ich habe Macher in Maßanzügen weinen sehen, als sie eine winzige Beule in ihrer Autotür bemerkten. Ich hörte von Autofahrern, die mit Selbstmord drohten, weil sie nach dem 27. Verkehrsvergehen mit einem halbjährigen Fahrverbot gestraft werden sollten. Ich saß neben einem eher zarten Philosophiestudenten, der an der Ampel plötzlich aufs Gaspedal seines VW-Polos trat, weil er sich nicht von einer Frau im Smart abhängen lassen wollte. Und wer einmal einen Abend bei einer Anwohnerversammlung zur Einrichtung verkehrsberuhigter Zonen verbracht hat, weiß, zu welchen Wutausbrüchen Männer fähig sind, die darum kämpfen, auch weiterhin mit 60 Stundenkilometern am Spielplatz vorbei brettern zu dürfen.

Das Auto ist mehr als ein Fortbewegungsmittel. Soziologen sprechen vom Fahrzeug als „sozialdarwinistisches Medium“, eine Blech gewordene Metapher für die Potenzfähigkeit des Fahrers. „Die Eigentümer unserer Autos haben ein gesundes Selbstbewusstsein“, erklärt Stefan Winkelmann, der deutsche Lamborghini-Präsident der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Und sie haben den Willen, das nach außen zu tragen. Lamborghini ist ein Auto für richtige Männer.“ Gegen die 650 PS, die unter der Haube des italienischen Sportwagens schnauben, nehmen sich die 612 PS eines Porsche Carreras oder die 517 PS des Mercedes S-Klasse beinahe bescheiden aus.

„Keiner meiner Kunden muss sich dafür entschuldigen, dass er einen Porsche fährt“, nimmt Porsche-Chef Wendelin Wiedeking seine rasende Klientel in Schutz. Erinnert man ihn an die Selbstverpflichtung der deutschen Autoindustrie aus dem Jahr 1998, bis 2012 den durchschnittlichen CO2-Ausstoß pro Automobil auf 120 Gramm pro Kilometer zu beschränken, greift Wiedeking noch weiter in die Vergangenheit zurück: „Die Trabbi-Dominanz hatten wir doch schon mal; der Sozialismus würde dann auf unseren Straßen wieder fröhliche Urständ feiern.“

Obwohl sie im Schnitt 23 Stunden am Tag nutzlos herumstehen, werden 15 bis 20 Prozent der Gesamtfläche in Großstädten inzwischen vom Automobil beansprucht. Das ist mehr, als für Wohnungen zur Verfügung steht. Allein in Berlin entfallen auf jedes Auto über 67 Quadratmeter Straßen-, Auffahrt- oder Parkfläche. Mittlerweile wird in Neubaugebieten bis zu 50 Prozent der Fläche für den „ruhenden oder fahrenden Verkehr“ veranschlagt, heißt es im schönsten Planungsdeutsch.

In ganz Europa haben Kommunalpolitiker inzwischen den Kampf für die Rückeroberung der Städte gegen die Allmacht des Automobils aufgenommen. Der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone drängte ein Fünftel des Autoverkehrs durch die Erhebung einer Maut aus der City. Die Luftverschmutzung ging um über zehn Prozent zurück. Ebenso in Stockholm, wo sich die Einstellung der Bevölkerung zu einer möglichst autofreien Innenstadt während einer sieben Monate währenden Testphase komplett umdrehte: vom knappen Nein zum großen Ja. Paris will bis 2020 40 Prozent der Autos aus dem Stadtverkehr verbannen, die Straßenbahn ausbauen, Wassertaxen einführen sowie 20.000 Leihfahrräder für Einwohner und Touristen zur Verfügung stellen. Selbst im autoverrückten Norditalien ruhte mit dem Segen der Bevölkerung der Verkehr Anfang des Jahres für ein ganzes Wochenende.

In Deutschland hingegen wehren sich die Politiker der großen Koalition mit Inbrunst gegen autofreie Zonen und Tage sowie Geschwindigkeitsbegrenzungen. Auch der sozialdemokratische Umweltminister Sigmar Gabriel, von Amts wegen eigentlich zu mehr Einsatz verpflichtet, entblödet sich nicht, die Grünen als „Kleinbürger“ zu schmähen, wenn die angesichts des Klimawandels autofreie Sonntage fordern. Umfragen, die regelmäßig vor allem bei den Frauen klare Mehrheiten für Einschränkungen des Autoverkehrs hervorbringen, werden ebenso latent ignoriert wie der Wunsch nach sparsamen, klimafreundlicheren Autos. Dabei ist das deutsche Bündnis von Automobilindustrie und Politik nicht mal mehr ein Garant für dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg. Längst arbeiten im Umweltschutz in Deutschland doppelt so viele Menschen wie in der Automobilindustrie.

In der FAZ warnte jüngst Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, vor dem erwachenden Bewusstsein der Konsumenten: „Wenn sich die deutsche Autoindustrie nicht bald etwas einfallen lässt, wird sie in zehn Jahren nicht mehr wirklich marktfähig sein.“

Doch momentan scheint eher zu gelten, was der österreichische Kabarettist Helmut Qualtinger einmal als wahres Mantra des Autoverkehrs bezeichnet hat: „I woaß zwar net, wo i hifahr. Abeer dafüa bin i schneller dorten.“

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