Die Stars unter den Autorinnen

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Argentinien wird in diesem Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse sein, und das trägt dazu bei, dass bereits seit dem vergangenen Jahr viele Titel vom Río de la Plata übersetzt werden. Allerdings gibt es dort auch ­besonders viel zu entdecken. Etwa Claudia Piñeiro. Sie debütierte auf Deutsch 2008 ­zu­nächst mit der ironisch-humorvollen Kriminalgeschichte „Ganz die Deine“, in der eine Hausfrau sich von ihrem Mann betrogen glaubt und zu einem Rachefeldzug ansetzt.

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Mit ihrem zweiten Roman „Elena weiß Bescheid“ bewies Piñeiro im vergangenen Jahr, dass sie keinesfalls auf Kriminelles festgelegt ist und tiefernst und anrührend über eine an Parkinson erkrankte Frau zu erzählen versteht. Ihr wurde dafür der ­LiBeratur-Preis 2010 zuerkannt. Auch ihr dritter Roman, „Die Donnerstagswitwen“, der gerade auf Deutsch erschienen ist, schneidet wieder ein Thema an, das über die argentinischen Grenzen hinaus relevant ist: Er spielt unter grünen Witwen aus besseren Kreisen, die aus Angst vor Überfällen hinter hohen Mauern am Stadtrand leben.

Die 1973 geborene Lucía Puenzo ­beleuchtet eine andere Facette der alltäg­lichen argentinischen Gewalt: die sexuelle Nötigung eines Hausmädchens durch den Dienstherrn. Doch in „Das Fischkind“ (2009) geht es Puenzo obendrein um ­Jugendliche, die von ihren Eltern sich selbst überlassen werden. Stilistisch hat sich Puenzo etwas einfallen lassen: Sie schreibt aus der Perspektive eines Hundes. Puenzo, die sich schon mit ihrem Film „XXY“ einen Namen als Regisseurin gemacht hatte – das eindringliche Psychogramm eines intersexuellen Mädchens – verfilmte auch ihren eigenen Roman. „Fischkind“ lief 2009 auf der Berlinale.

Im Chile der 1990er Jahre feierte Marcela Serrano mit Romanen große Erfolge, die sich um die persönliche und berufliche Emanzipation der Frau nach dem Ende der Diktatur rankten. Für die chilenischen Autorinnen des neuen Jahrtausends ist die Berufstätigkeit der Frau längst eine Selbstverständlichkeit. Ihnen geht es, wie Carla Guelfenbein oder Elizabeth Subercaseaux in ihren Romanen „Der Rest ist Schweigen“ (2010) und „Eine fast perfekte Affäre“ (2010), um persönliche Reifungsprozesse und Beziehungsprobleme. Die ­Schriftstel­lerinnen zeigen obendrein Tabus in der ­chilenischen Gesellschaft auf, die trotz ­Demokratie durch und durch konservativ ist, und von Vorurteilen geprägt – gegen Juden, Homosexuelle, Behinderte.

Die literarische Produktion Brasiliens ist vergleichsweise gering, entsprechend wenig dringt auch von Schriftstellerinnen bis nach Deutschland. Die Schmöker „Der Duft der Kaffeeblüte“ (2005) von Ana Veloso und „Die Schneiderin von Pernambuco“ (2008) von Frances de Pontes Peebles erzählen zwar sehr unterhaltsam die Geschichte der Kaffeeplantagen respektive der Bewegung der Bandeirantes, jeweils aus Sicht einer Frau, doch sie entsprechen in Inhalt, Form und Sprache den Familiensagas der 1980er Jahre. Eine innovative Autorin, wie einst Clarice Lispector, ist bislang nicht in Sicht.

Kolumbien dagegen kann eine reichhaltige Auswahl guter Romane vorweisen. Allerdings erstaunt, dass das Land, in dem Frauen Banken und große Unternehmen führen und die Mehrheit der JournalistInnen ausmachen, kaum renommierte Schrift­stellerinnen zu bieten hat.

Laura Restrepo ist eine der wenigen ­international präsenten Autorinnen. In ihrem vierten ins Deutsche übersetzten Roman „Land der Geister“ (2009) setzt sie sich mit dem Werteverlust in der ­kolumbianischen Gesellschaft auseinander, den der Drogenhandel und die damit verbundene Gewalt bewirkt haben. Eindrücklich schildert sie den psychischen Zerstörungsprozess, den eine junge Frau in Folge dieses Werteverlusts durchlebt.

Bis der Kolumbianer Gabriel García Márquez für seinen Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ 1969 den Nobelpreis entgegennehmen konnte, galt Literatur aus Lateinamerika in Deutschland eher als ­Geheimtipp. Als dann 1976 die Frankfurter Buchmesse den gesamten Subkontinent zu ihrem ersten „Gastland“ erklärte, wurden die grandiosen Fabulierer aus dem Süden endgültig für den deutschen Markt entdeckt. Sie schilderten eine Welt, die uns fremd war, in der unberührte, wilde Natur noch vielfach den Rhythmus des Lebens bestimmte, Indios und Arme offen unterdrückt und selbst persönliche Konflikte meist mit Gewalt ausgetragen wurden. Der Hauch des Übernatürlichen und des Aberglaubens, der in die Geschichten einfloss, nahm die LeserInnen für die sinnliche ­Erzählweise des so genannten Magischen Realismus der Lateinamerikaner gefangen.

Ihre Romane waren meist vom ­Machis­mo durchtränkt, Frauen kam darin vorrangig die Rolle der Hüterin des Herdes zu, und auch als Prostituierte waren sie gelegentlich anzutreffen, was zweifellos vor allem auf dem Lande die Realität ­abbildete. Und die meisten Roman-Schauplätze des Magischen Realismus waren auf dem Land angesiedelt.

Frauen waren damals eher die Ausnahme im lateinamerikanischen Literaturbetrieb, wenn auch die argentinischen Schwestern Silvina und Victoria Ocampo bereits seit den 1930er Jahren mitmischten. Silvina machte mit phantastischen Romanen von sich reden, die Brasilianerin Clarice ­Lispector wurde mit Virginia Wolff verglichen, und der Chilenin Gabriela Mistral wurde 1945 gar der Literaturnobelpreis für ihre Poesie zugesprochen. Die 1974 verstorbene Mexikanerin Rosario Castellanos war jedoch eine der wenigen, die am „Boom“ des Magischen Realismus teil hatte. „Ihre Sorge um das Schicksal der Frauen war die Grundlage für den ­Feminismus in Mexiko. Rosario lesen, heißt sich verändern. Ihr und ihren Büchern verdanken es viele von uns Frauen, dass wir unser Leben selbst in die Hand nehmen und weniger passiv sind“, schrieb die bekannte Journalistin Elena Poniatowska über Castellanos. Die hatte lange im armen, indianisch geprägten Süden des Landes gelebt und darüber schrieb sie auch, über die dort herrschenden Klassenunterschiede und die untergeordnete Rolle ihrer Geschlechtsgenossinnen.

Ende der 1960er Jahre gewann die Linke an Aufwind. In Chile übernahm die Volksfrontregierung des Sozialisten Salvador Allende die Macht, in Nicaragua kämpften die Sandinisten gegen die rechte Diktatur. Auch in anderen Ländern entstanden Befreiungsbewegungen, die eine Gesellschaft propagierten, in der Schluss sein sollte mit der Unterdrückung aller Menschen, und so manche Frau schloss sich ihnen hoffnungsvoll an.

Die Linke stand auch für einen kulturellen Aufbruch, für mehr künstlerische Freiheit, für den Bruch sexueller Tabus, für eine aktive Teilnahme der Frauen am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Damals schrieb die Nicaraguanerin und Sandinistin Gioconda Belli ihre ersten erotischen Gedichte, die die konservativ-katholische Gesellschaft schockierten.

Unter Chiles Volksfrontregierung ­begann Isabel Allende, die Nichte des damaligen Präsidenten, zunächst ihre journalistische Karriere bei einer Frauenzeitschrift. 1982, im venezolanischen Exil, veröffentlichte sie ihren ersten Roman. „Das Geisterhaus“ läutete zumindest in Deutschland einen zweiten Boom lateinamerikanischer Literatur ein, der nun auch ein Boom der Schriftstellerinnen wurde.

Wie die Männer der ersten Welle, wussten auch sie die Magie zu nutzen, die den Alltag in Lateinamerika bis heute stärker beherrscht als hierzulande. Auch sie verstanden, brillant und unterhaltsam zu erzählen. Sie schrieben wie die Männer opulente Familiensagas, setzten sich mit der Geschichte, der Diktatur, der Unterentwicklung und ihrer strukturellen ­Gewalt auseinander, doch sie bereicherten das Spektrum, in dem sie die weibliche Sichtweise einbrachten.

Allendes „ Das Geisterhaus“ erzählt die jüngste Geschichte Chiles aus der Sicht von Frauen, und die Mexikanerin und erklärte Feministin Angeles Mastretta betrachtete in „Mexikanischer Tango“ (1985) die Irrungen und Wirrungen der von Männern ­gemachten mexikanischen Politik des 20.Jahrhunderts mit dem spöttischen Blick einer Frau, die diese Männerwelt nur sehr begrenzt ernst nahm. 1988 erschien Gioconda Bellis Roman „Bewohnte Frau“, in dem sie ihre Erfahrungen im sandinistischen Freiheitskampf aufarbeitete und sich mit der weiblichen Sexualität als Waffe auseinandersetzte: Ihre Heldin lockt einen hohen Militär ins Bett und trägt damit zum Sieg der Revolution bei.

Allende, Belli und Mastretta zählen bis heute zu den Ikonen lateinamerikanischer Schriftstellerinnen, und mit „Inés meines Herzens“ hat Isabel Allende – nach diversen Ausflügen in den Kitsch – 2007 erneut ein beachtenswertes Buch auf den Markt gebracht, das eine Lücke füllt: Sie hat die Biografie von Inés Suárez in einen Roman ­ge­gossen, der Frau, die entscheidenden ­Anteil an der Eroberung Chiles hatte, aber von der offiziellen Geschichtsschreibung meist ­zugunsten der Männer vergessen wurde.

Ihre mexikanische Kollegin Laura Esquivel, die durch den historischen Roman über die mexikanische Revolution mit dem Titel „Bittersüße Schokolade“ 1989 zu Weltruhm gelangt war, hat sich in einem gerade auf Deutsch erschienen Roman  „Malinche“ ebenfalls einer stets verkannten historischen Figur gewidmet, der Indianerin Malinche, der man in Mexiko Verrat an ihrem Volk vorwirft, weil sie Geliebte und Dolmetscherin des spanischen Eroberers Hernán Cortés war.

Die schreibende Zunft des Subkontinents hat den Magischen Realismus ­inzwischen hinter sich gelassen, nicht ­zuletzt, weil längst über Dreiviertel aller Menschen in Städten mit nur begrenzt magischem Ambiente wohnen. Zudem hat die moderne Kommunikation, wie ­andern­orts auch, das Leben und die Sprache verändert. Südamerikanische SchriftstellerInnen bieten heute einen breiten Themen­fächer und beherrschen die verschiedensten ­Erzählformen.

Zwar stammt immer noch die Mehrzahl der Romane von männlichen Autoren, doch die Autorinnen sind heute eher noch kreativer als in den 1980er Jahren. Sie äußern sich wie ihre Kollegen zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen der Diktaturen, zur politischen und sozialen Lage ihrer Länder, aber auch zu universellen Anliegen des menschlichen Zusammenlebens. Es geht ihnen dabei vorrangig um Frauen, um deren gewachsenes Selbstbewusstsein, um ihre Rolle in der Zweierbeziehung oder auch ihre Bemühungen, das Leben allein zu bewältigen.

Und sie schreiben gegen wachsende ­soziale Ungleichheit und daraus resultierende Gewalt im Alltag sowie gegen die Korruption. Man darf hier ihre Romane durchaus als Warnung verstehen, es nicht so weit kommen zu lassen.

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