Abwesende Väter: Machos am Rockzipfel?

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Es ist schon viel gesagt worden über die abwesenden Väter. Sie berichten von einem Wohnblock mit 50 Wohnungen, wo von 700 Erwachsenen nur 200 Männer sind.
Pascal Jamoulle: Es gibt Ecken, wo die Väter völlig verschwunden sind. Zurück geblieben sind die Frauen und Kinder. Das ist ein weltweites Problem, das in Burkina Faso ebenso existiert, wie in den schwarzen Ghettos von Amerika oder in den Pariser Vorstädten. Die Arbeitslosigkeit erschüttert die männliche Identität. Wenn das Geld vom Sozialamt kommt, wer ist dann der Familienchef? Nicht nur die Migranten sind verunsichert zwischen dem alten Modell des autoritären Vaters und dem neuen eines Vaters, der mit seinen Kindern diskutiert und verhandelt. Diese Väter wenden sich ab, noch nicht einmal das Ausflippen ihrer Kinder kann sie halten.

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Kommen die Mütter nicht besser zurecht als die Väter? Vor allem, da sie die nicht brauchen, um die Kinder zu erziehen …
Die Mütter sind oft selber Opfer männlicher Gewalt und entwickeln ein großes Misstrauen den Männern gegenüber. Sobald sie Sozialhilfe bekommen, gehen sie auf Abstand. Aber so eine omnipräsente Mutter, die keinen anderen Lebensinhalt hat als ihre Kinder, kann erstickend sein. Auch deshalb flüchten diese Jungen auf die Straße und demonstrieren Männlichkeit via Gewalt und Risikobereitschaft.

Was für eine Risikobereitschaft?
Alles, was unberechenbar ist, was andere oder einen selbst in Gefahr bringt. Nicht nur das Anzünden von Autos oder das Provozieren der Polizei, auch der Konsum von Drogen und Alkohol, illegale Geschäfte … Die Mütter wiederum transferieren die Familienautorität auf die Ältesten, die zu den ‚kleinen Männern im Haus‘ werden und ihre Schwestern und Mütter bevormunden. Das gibt’s überall, aber in den Vorstädten in gesteigertem Maße.

Diese Jungen sind also eingeklemmt zwischen ihrer Macho-Fassade und den Röcken ihrer Mütter?
Ja, denn je schlechter der Ruf einer Vorstadt ist, umso stärker wird die zum Ghetto. Die dort Eingesperrten besetzen den öffentlichen Raum der Vorstädte: Treppen, Parkplätze, Rasen. In Wahrheit geht es ihnen darum, sich wichtig zu machen. Es ist auch kein Zufall, dass das Vokabular dieser Banden stark militarisiert ist. Das ist eine sehr hierarchisierte Welt.

Männlichkeit, die um Anerkennung ringt?
Eine Männlichkeit, die sich mit Gewalt behaupten will, nicht zuletzt durch die Kontrolle der jungen Mädchen in den Vierteln … Die Gesellschaft darf einfach nicht einen Teil ihrer jungen Männer ins Machotum abgleiten lassen – und die Mädchen in die Angst und Verachtung für diese Jungen, die sie dominieren wollen. Sie sind in einer Welt, in der das Gesetz der Straße herrscht, in der es nur Beherrschte und Beherrscher gibt. Sie haben sozusagen einen hyper-individualistischen Liberalismus verinnerlicht. Man stellt bei ihnen ein Phänomen fest, dass wir Anthropologen die ‚Anhäufung der Normen‘ nennen. Ein Nebeneinander moralischer Systeme, die opportunistisch und chaotisch sind und keinerlei Berührung miteinander haben. Darum dieses Aufflammen von Gewalt, bei dem das Büro einer Sozialhelferin angezündet oder auf den Lehrer gespuckt wird. Die Jungs benehmen sich wie Elefantenjäger. Wenn man mit einem von ihnen spricht, antwortet er zwar, beäugt aber gleichzeitig die Umgebung: bereit, auf alles zu schießen, was sich bewegt. Das Dringendste ist, diesen Jungs zu zeigen, dass der Staat die Interessen aller schützt; dass sie Teil dieser Gesellschaft sind – und nicht isoliert in irgendwelchen Randgebieten, wo ihnen nur die Auflehnung bleibt.

Pascale Jamoulle: Des hommes sur le fils – La construction de l’identité masculine en milieux précaires (La Decouverte).

EMMA Januar/Februar 2006

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