Marquardt: Der doppelte Missbrauch

© Martin U. K. Lengemann
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Sie hätte das Buch eigentlich vor zehn Jahren schreiben sollen. Damals, nachdem sie 2002 als Stasimitarbeiterin enttarnt worden war. Zu der Zeit war Angela Marquardt noch der Jugendstar der PDS, der Polit-Punk (mit dem auch EMMA mal getitelt hat, Foto re). Die heute 44-Jährige war mit 15 von der Stasi angeworben worden. Bis zum Mauerfall, da war sie 18, war sie eine von mehreren tausend minderjährigen IMs.

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Und die Stasi hatte Großes vor mit Angela. Sie sollte Theologie studieren und sodann die oppositionelle Kirchenszene unterwandern. Dazu hätte es eines ziemlichen Talents in Sachen Doppelleben bedurft. Das hatte Angela schon vorher erworben, auf sehr traurige Weise. Denn hinter der Geschichte des Missbrauchs dieses Kindes durch die Stasi steht die Geschichte des Missbrauchs dieses Kindes durch den Stiefvater. Und eine Mutter, die das Kind nie geschützt hat, auch nicht vorher, vor dem sadistischen, biologischen Vater.

Es muss hart gewesen sein für sie, sich wirklich zu erinnern

Der saufende Stiefvater missbrauchte das Mädchen dann ab dem neunten Lebensjahr, bis zum 15. Bis Angela sich selber wehren konnte. Dann kam Führungsoffizier Jörg. Der hatte auf der Stasi-Hochschule in Potsdam gelernt, wie man „das Herz“ Minderjähriger gewinnt.

Die ganze Familie war Stasi-Zuträger, die Mutter hat sogar ein „Gutachten“ zur Tauglichkeit der Tochter abgeliefert. Kein Wunder also, dass Angela erst so spät alles sagt. Es muss hart gewesen sein, sich wirklich zu erinnern.

2003 trat der Politstar - sie hatte es in der PDS bis zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gebracht - aus der „Kümmererpartei“ aus, da war die gerade aus dem Bundestag geflogen. 2006 trat sie in die SPD ein. Da arbeitete die zunächst lange arbeitslose Politologin schon für Andrea Nahles. Die beiden Väter, der Sadist und der Vergewaltiger, sind inzwischen tot.

Angela muss mit den Erinnerungen leben – was ihr jetzt, nachdem sie es ausgesprochen hat, hoffentlich etwas leichter fällt.

Angela Marquardt mit Miriam Hollstein: Vater, Mutter, Stasi (Kiepenheuer & Witsch, 14.99 €)

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