Prostitution: Zum Beispiel Ioana

Ioana mit ihrer Familie in Rumänien.
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Am 13. März 2014 kam die 19-jährige Ioana aus dem rumänischen Dorf Bobolia am Leipziger Hauptbahnhof an. Dort wurde sie von ihrer Schulfreundin Florentina abgeholt. Die hatte sie seit Monaten am Telefon bedrängt, doch nach Deutschland zu kommen. Sie könnten sich dann einen Putzjob teilen und alle drei Monate alternierend nach Hause fahren. Ioana zögerte lange, doch dann entschloss sie sich: „Mama, ich gehe, um Geld zu verdienen und meinem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen.“

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Das waren ihre letzten Worte zu Hause. Viereinhalb Monate später, am 31. Juli 2014, lag Ioana halb totgeschlagen in einer „Modelwohnung“ in Köln, mitten in der Innenstadt, gegenüber von Karstadt.

Was war passiert? Als Ioana in Leipzig in die Wohnung ihrer Schulfreundin kam, begriff sie schnell. Denn die lebte zusammen mit ihrem Landsmann Robert T., einem Zuhälter. Der zwang nun auch Ioana, sich zu prostituieren. Mehrmals am Tag. Mit Gewalt. Auch pornografische Fotos wurden von ihr aufgenommen. Nach zwei Monaten Leipzig wurde Ioana weitergeschoben, nach Nürnberg, in das nächste Bordell. Ob es vor Köln noch weitere Stationen gab, ist noch nicht bekannt.

Der Mann ihrer Freundin zwang nun auch Ioana zur Prostitution

Am 31. Juli 2014 fand eine Zimmernachbarin in dem Wohnhaus in der Glockengasse mit „Modelwohnungen“ Ioana reglos im Bett. Der Notarzt brachte sie ins Krankenhaus. Dort stellte man eine Hirnblutung und zahlreiche schwere Verletzungen fest. Die junge Frau wurde ins künstliche Koma versetzt. Seither wurde sie dreimal operiert.

Zunächst tappte die Polizei noch im Dunkeln. Wer hatte Ioana das angetan? Ein Zuhälter? Ein Freier? Man stellte auf jeden Fall fest, dass sie auch zahlreiche ältere Hämatome hatte, also schon seit Monaten ein Opfer von Gewalt gewesen war.

Robert T. und die Schulfreundin waren verschwunden – bis sie wieder auftauchte, im rumänischen Fernsehen: Dort beschuldigte Florentina ihren Mann, mit dem sie ein dreijähriges Kind hat, schwer. Er habe sie gezwungen, Ioana nach Deutschland zu locken. Er habe die Freundin in die Prostitution getrieben. Er habe sie halb totgeschlagen.

Der Fall Ioana schlägt seither hohe Wellen in den rumänischen Medien. Die Rumänen halten das Schicksal der 19-Jährigen für typisch. Eine junge Frau wird unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus dem armen Rumänien ins reiche Deutschland gelockt und dort mit Gewalt in die Prostitution gezwungen.

Robert T. konnte nur dank der Aussagen seiner Ehefrau, die inzwischen die Scheidung eingereicht hat, verhaftet werden. Sie hat inzwischen auch bei der deutschen Polizei ausgesagt. Er sitzt seit Ende November in U-Haft in Köln. Genauer: Robert T. war inzwischen bereits im Gefängnis in Leipzig inhaftiert gewesen. Dort wartete auf ihn die Auslieferung nach Rumänien, wo er wegen Doppelmordes gesucht wird. In drei EU-Ländern hatte der Zuhälter bereits vor dem Kölner Skandal Einreiseverbot. Fragt sich, warum so ein Verbrecher sich in Deutschland frei bewegen konnte.

Inzwischen war Ioanas Mutter Gratiela mehrfach am Krankenbett ihrer Tochter. Noch ist deren Zustand sehr kritisch, aber die Ärzte geben sie nicht auf. Doch im besten Fall wird die junge Frau ein lebenslanger Pflegefall sein.

Die Medien be-
zeichnen sie als „Prostituierte“. Dabei wollte sie nur Geld für ihr Kind verdienen. Mit Putzen.

Die Mutter hatte sich schon kurz nach der Abreise der Tochter nach Leipzig Sorgen gemacht. Ioana klang komisch am Telefon. Und irgendwann meldete sie sich überhaupt nicht mehr. Sie konnte keinen Schritt tun und kein Wort sagen ohne die Überwachung von Robert T., sagt heute Florina. Er diktierte ihr jedes Wort. Auch wenn sie mit ihrer Familie telefonierte.

Anfang August gelang es der Mutter erstmals, das Geld für die Reise nach Köln zusammenzukratzen. Der Schock am Krankenbett ihrer Tochter war groß. Mitte Oktober kam sie wieder, für fünf Tage. Nachts schlief sie im Auto. Geld für ein Hotel hatte sie nicht. Inzwischen gibt es Hilfe. Die Mutter muss viel öfter kommen, sagen die Ärzte. Ihre Anwesenheit ist extrem wichtig für die Genesung von Ioana. Ebenso wie das geplante Wiedersehen mit dem Sohn David.

Das einzig Tröstliche in der ganzen so grauenvollen wie in dem Milieu in Deutschland alltäglichen Geschichte ist: Das Schicksal von Ioana hat eine Welle von Hilfsbereitschaft für sie und ihre Familie ausgelöst. In Rumänien wie in Deutschland.

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Der ganz faule Kompromiss

© Bettina Flitner
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Ja, das Fernziel für eine menschliche Gesellschaft wäre ein Ende der Prostitution; also das Ende des Rechts von Männern, Frauen zu kaufen. Das ist die Utopie, so wie einst die – wahr gewordene – Utopie vom Ende des Sklaventums. Das bescheidene Nahziel waren im Jahr 2015 in Deutschland, der europäischen Drehscheibe des Menschenhandels, ein paar kleine Reformen. Reformen, die einen größeren Schutz der Frauen in der Prostitution möglich gemacht hätten, sowie die Verfolgung der Profiteure leichter: der Bordellbetreiber, Zuhälter und Menschenhändler.

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Diese Hoffnung hat sich jetzt weitgehend zerschlagen. Die Pro-Prostitutionslobby, die schon 2002 die skandalöse Liberalisierung der Prostitution durch Rot-Grün durchgesetzt hatte, hat auch jetzt wieder gesiegt.

International gilt
Prostitution als
Verstoß gegen
Menschenwürde

Konträr zu dem internationalen und europäischen Trend, nach dem Prostitution als Verstoß gegen die Menschenwürde verstanden wird und es Richtung Ausstiegshilfe für Frauen sowie Bestrafung der Freier geht, konträr dazu haben sich in Deutschland die Parteien mit dem großen C im Namen von den Sozialdemokraten wieder einmal den Schneid abkaufen lassen. Alle entscheidenden Forderungen, die sie hatten, sind abgeschmettert. Fast alle Forderungen, die die Sozialdemokraten – gemeinsam mit der Prostitutionslobby! – hatten, sind durchgedrückt. Entscheidend waren drei Punkte:

1. Das Mindestalter von 21. Die CDU/CSU war dafür - die SPD dagegen. Das Mindestalter sollte von 18 auf 21 Jahre raufgesetzt werden, um besonders die jungen Frauen vor Manipulation und Loverboys zu schützen. Und auch, weil die in die Prostitution gelockten oder gezwungenen Frauen wg. Nachfrage immer jünger werden. Abgeschmettert. Es bleibt bei dem Mindestalter von 18. Einzige Konzession: Es soll ein "Schutzparagraph" für unter 21-Jährige eingeführt werden mit "besonderem Rechtsanspruch auf Beratung und Betreuung durch das Jugendamt". Ob ausgerechnet das Jugendamt gegen die organisierte Kriminalität, die das Rotlichtmilieu beherrscht, ankommt, ist allerdings sehr fraglich.

2. Eine monatliche Gesundheitsuntersuchung sollte Pflicht werden. Dafür war die CDU/CSU - die SPD war dagegen. So sollte zum einen die Gesundheit von Frauen geschützt werden: sowohl die der Frauen in der Prostitution wie auch die der Frauen zuhause, der Freundinnen und Ehefrauen der Freier. Zum anderen sollte den oft in Bordellen oder in so genannten „Modelwohnungen“ versteckt oder auf der Straße arbeitenden Frauen die Chance zu sozialen Kontakten zu gegeben werden. Denn die Frauen, die sich in Deutschland prostituieren, kommen heute zu 80-90 Prozent aus Osteuropa oder anderen bitterarmen Ländern und können oft kaum ein Wort Deutsch. Die Pflicht zur monatlichen Gesundheitsuntersuchung: Abgeschmettert. Einzige Konzession: eine „medizinische Beratung“ (die keine Untersuchung sein muss) alle sechs Monate für 18-21-Jährige, einmal im Jahr für die Älteren.

3. Die individuelle Anmeldepflicht bei jedem Ortswechsel. In der Regel werden die Frauen alle paar Wochen von den Frauenhändlern von einer Stadt in die nächste verschoben, denn die Freier wollen „Frischfleisch“. Bei vielen der Frauen weiß kein Mensch, wo sie sich gerade befinden – und merkt auch keiner, ob es sie überhaupt noch gibt. Denn zu den klassischen Methoden der Frauenhändler gehört, dass sie die Frauen systematisch isolieren. Eine Anmeldepflicht bei jedem Ortswechsel und möglichst bei der Polizei, die dicht dran ist am Prostitutionsmarkt, hätte das in Zukunft verhindern können. Doch die wird es nicht geben. Einzige Konzession: Unter 21-Jährige müssen sich immerhin einmal im Jahr anmelden, über 21-Jährige alle zwei Jahre. Und dem soll jeweils eine medizinische und soziale Beratung vorausgehen.

Gewonnen haben
die Prostitutions-
lobby & die
Freiergesellschaft

In diesen Details stecken ein paar kleine Hebel, die Ämter wie Polizei nutzen könnten, um den in Deutschland total deregulierten Prostitutionsmarkt in Ansätzen zu durchdringen; und so den Mädchen und Frauen ein klein wenig beistehen und die Händler mit der Ware Frau ein klein wenig leichter verfolgen zu können. Was daraus dann letztendlich wirklich gemacht wird, liegt an den Zuständigen und ihren Möglichkeiten.

Und die Freierbestrafung? Die Zuständigkeit dafür liegt bei Justizminister Maas. Denn in Deutschland war bisher noch nie ernsthaft von dem so genannten "schwedischen Modll" die Rede. Danach wird die Prostitution bekämpft, indem man gegen die, die überhaupt erst den Markt schaffen, eben die Freier, vorgeht. Auch die CDU/CSU hat bisher nur die Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten gefordert, die allerdings hatte sie sogar ins Parteiprogramm geschrieben. Und nun? Nach sehr, sehr langem Zögern ist der deutsche Justizminister zwar endlich der Aufforderung der Europäischen Union nachgekommen und hat einen ersten lauen Entwurf zur Anpassung des deutschen Rechts an die EU-Richtlinien in Sachen Menschenhandel vorgelegt - die Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten darin jedoch mit keinem Wort erwähnt. Wird die Union also auch an diesem Punkt den Wünschen der Prostitutionslobby den Vortritt lassen?

Das Einzige, worauf die Koalition sich geeinigt hat, ist die Kondompflicht. Die ist im Prinzip gut – unter den gegebenen Umständen jedoch eine Lachnummer. Die überwältigende Zahl der betroffenen Frauen muss sich weiterhin unter Umständen prostituieren, unter denen eine gesetzliche Kondom-Pflicht der reinste Hohn ist.

Und die Freier-
Bestrafung?
Wird auch die
von SPD gekippt?

EMMA kämpft seit Jahrzehnten für Prostituierte und gegen Prostitution. Für Menschlichkeit und gegen die gesellschaftliche wie politische Akzeptanz des Frauenkaufs. Wir haben in den verganenen 15 Monaten sehr viel erreicht. Wir haben es geschafft, ein totales Tabuthema auf die Tagesordnung zu zwingen – und Menschen und Medien dazu gebracht, nachdenklicher zu werden.

Doch was das neue Gesetz angeht, haben wir verloren. Wir sind einfach zu wenige, und die anderen sind zu mächtig. Gewonnen hat wieder einmal die milliardenschwere Prostitutionsbranche mit ihren LobbyistInnen. Gewonnen hat die Freier-Gesellschaft! Verloren haben die 80-90 Prozent der Elendsprostituierten, also hunderttausende von Frauen. Verloren haben aber auch alle Frauen und Männer in Deutschland. Denn sie leben in einem Land, in dem die Politik auf den Schutz der Ausgeliefertsten sowie auf die Menschenwürde aller pfeift.

Alice Schwarzer

Aktualisiert am 5. Februar 2015

PS: In der nächsten EMMA-Ausgabe, die ab dem 26. Februar am Kiosk ist, wird EMMA über die Hintergründe der Entscheidung berichten.

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