Anne Spiegel: Große Erwartungen

Foto: Arne Dedert/dpa
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Als Anne Spiegel im März 2018 in Elternzeit ging, war das ein absolutes Novum: Zum ersten Mal in der Geschichte von Rheinland-Pfalz gönnte sich eine Frau Mutterschutz in einem Ministeramt. Allerdings nur für zwei Monate, danach war die grüne Familienministerin wieder auf Posten. Sie war damals gerade einmal 37 Jahre jung, im Amt bekam sie ihr viertes Kind, eine Tochter – und nahm sie im November 2018 mit in den Bundesrat.

Das sorgte für ein gewisses Aufsehen und „eine ganz neue Art von Gesprächen“, erinnert sich die Ministerin.

In ihrem Mainzer Büro steht ein schottisches Schaukelschaf neben dem Schreibtisch, in der Ecke eine Spielzeugkiste – die neue Bundesfamilienministerin in der Ampel-Koalition von Olaf Scholz lebt das Thema Familie. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei ihr ein „Herzensthema“, erklärt sie. Es müsse „im 21. Jahrhundert möglich sein, dass eine Frau, egal in welcher Position, ihre Familienplanung so gestalten kann, wie sie es möchte“.

Anne Spiegel hat sich für ein noch nicht sehr weit verbreitetes Familienmodell entschieden: Ihr Mann ist Hausmann. Die Kuchen für das Schulfest backe er, erzählt die Ministerin, genauer gesagt: „Er macht Scones, er ist Schotte.“ Die Scones kämen „sehr gut an“. Die Enkelin einer sizilianischen Großmutter und eines rumänischen Großvaters ist selbst „alles andere als traditionell aufgewachsen“. Statt Vater, Mutter, Kind lebte die Familie als „eine Art WG“ mit einer Mitbewohnerin. Außergewöhnliche Familienmodelle zu fördern, steht vermutlich auch deshalb selbstverständlich auf ihrer To-Do-Liste für ihr neues Amt.

Für ihre eigene Familie steht nun wohl ein Umzug aus dem pfälzischen Speyer in die Hauptstadt an. Das Amt der Bundesfamilienministerin ist ein weiterer Schritt in der Blitzkarriere von Anne Spiegel.

2016 wurde Spiegel mit gerade 35 Jahren die jüngste Ministerin der Republik und übernahm in Rheinland-Pfalz das Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz. Geboren 1980 in Leimen, wuchs Spiegel in Speyer und Ludwigshafen auf, studierte Politik, Philosophie und Psychologie in Darmstadt, Mainz und Salamanca und arbeitete anschließend als Sprachtrainerin. Mit 27 brach sie allein und nur mit ihrem Rucksack zu einer einjährigen Weltreise auf, „eins der wunderbarsten Abenteuer meines Lebens“, sie arbeitete unter anderem ehrenamtlich in einem kambodschanischen Waisenhaus.

Von 1999 bis 2002 war Spiegel im Vorstand der Grünen Jugend in Rheinland-Pfalz. 2011 zog sie in den Mainzer Landtag ein und wurde dort gleich stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Der große Sprung kam 2016 mit dem Ministeramt.

An einem Punkt allerdings gab es immer wieder Kritik: an Spiegels Flüchtlingspolitik. Man warf ihr „Gutmenschen“-Politik vor. Zum Hassobjekt der rechten Szene wurde Spiegel nach dem Mord an der 15-jährigen Mia in Kandel durch ihren Ex-Freund, einen afghanischen Flüchtling. Wegen massiver Drohungen von rechts steht sie seither unter Personenschutz. Flüchtlingsorganisationen wiederum kritisierten Spiegel von links wegen Abschiebungen und Massenunterkünften für Asylbewerber, die auch in der Corona-Pandemie beibehalten wurden – obwohl viele von ihnen zu Corona-Hotspots wurden.

Im Mai 2021 übernahm Spiegel in Rheinland- Pfalz nach dem Rücktritt ihrer Kollegin auch das Klimaschutzministerium. In Berlin verhandelte sie für die SPD jetzt den Bereich Familienpolitik.

Anne Spiegels erstes großes Projekt wird nun die Einführung einer Kindergrundsicherung sein: Familien sollten „nicht mehr von Pontius zu Pilatus laufen müssen, um Unterstützung zu bekommen“, erklärt die Ministerin. Ein einfacher Antrag bei Geburt des Kindes solle genügen. Ein „kompletter Paradigmenwechsel“ sei das und eine „Kampfansage an Kinderarmut“.

Und noch etwas kündigt die Bundesfamilienministerin an: Das schottische Schaukelschaf und die Spielkiste sollen auch in ihrem Berliner Ministerinnenbüro stehen.

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