Die Meisterin der Pose

Artikel teilen

Was hat es eigentlich zu bedeuten, wenn die Starfotografin nicht deshalb so heißt, weil sie Stars fotografiert, sondern weil sie selbst der Star ist? Hundert Kameras schwenken durch den Raum, kämpfen um das Bild, verhaken sich.

Anzeige

Aber wo ist denn nun der Star? Johnny Depp ist da, er liegt angezogen auf der nackten Kate Moss. Isaac Stern ist da, der in seinem karierten Hemd wie ein Gärtner ausschaut und seine Geige in der Hand hält, als sei es die Heckenschere. Tony Curtis und Jack Lemmon sind auch da, sie haben sich verkleidet wie damals für "Manche mögen's heiß". Sogar eine Marilyn ist da, sie hat einen schönen, alten Körper. Sie schaut uns direkt an. "Es war so, als sei die Kamera gar nicht da", sagt Annie Leibovitz über den Moment, als sie ihre Mutter Marilyn fotografierte. Und natürlich ist so etwas, ganz romantisch gesehen, das ideale Bild.

Ist es das? Wenn Annie Leibovitz da wäre, könnte man sie das fragen. Aber es stehen nur hundert Berliner Fotoreporter herum, die auf die Königin warten, im alten Postfuhramt, wo die Mauern bröckeln und "c/o Berlin" die Leibovitz-Schau "A Photographer’s Life 1990–2005" zeigt. Fotografieren sie sich eben selbst. Wie traurig, wie überflüssig das dann auf einmal wirkt: Fotografie, das Spiel von Nähe und Distanz, der Tauschhandel von Privatheit und Pose.

Im Grunde braucht man Annie Leibovitz leibhaftig auch gar nicht, ihr Leben erklärt sich aus den Bildern – das ist die These dieser Ausstellung, die Familienporträts dem Starcover gegenüberstellt, die zeigen will, wie der Leibovitz-Blick funktioniert. Also sieht man ein Bild des Himmels über Paris mit den Steinstatuen der alten Oper und gleich daneben den Himmel über Amerika mit einem Mikhail Baryshnikov in Tanzpose. Also hängen dort kleinformatige Reportagefotos, die Leibovitz 1993 in Sarajewo gemacht hat, ein Fahrrad mit der Blutspur eines Jungen, der gerade erschossen wurde, Susan Sontag in der Nationalbibliothek, die in Trümmer gebombt wurde – das Echo der Ereignisse könnte hier zu spüren sein, aber unter dem Blick von Annie Leibovitz tendiert selbst das Authentische zum Ikonographischen.

Leibovitz kommt von sich selbst nicht los. Sie ist die Zeremonienmeisterin der amerikanischen Demokratie, mit ihren Bildern der Mächtigen, egal ob sie nun Hillary Clinton heißen oder Tom Cruise. Und es ist kein Zufall, dass sie ihre Karriere 1970 bei der Popzeitschrift Rolling Stone begonnen hat: Sie erfüllt perfekt den Bilderwunsch dieses Landes, das schon immer das Individuum verherrlichte, so lange, bis die Unterschiede von Popularität, Leistung und Wahlergebnis zu verschwimmen begannen. Leibovitz fotografiert Hillary Clinton wie eine Schauspielerin, weil sie weiß, dass diese Pose ihrer wahren Macht am nächsten kommt.

Und doch funktioniert das Leibovitz-Prinzip manchmal genau andersherum. Das spektakulärste Bild der Ausstellung ist das des amerikanischen Kriegskabinetts vom Dezember 2001: Alles, was kommen sollte, ist in diesem Bild schon zu lesen. Die arglose Arroganz des George Bush, wie er die Hände lässig in den Hosentaschen hat. Colin Powell, der schon ins Abseits gedrängt ist. Dick Cheney, der über seine Brille schielt, als habe er selbst die Bomben über Saddam abgeworfen. Condoleezza Rice mit einem Gesicht so verschlossen wie ein Gartentor. Und Donald Rumsfeld, Inkompetenz als Stärke maskiert.

Zukünftige Historiker müssen nur dieses Bild studieren, wenn sie die Tragödie des Irak-Krieges verstehen wollen. Leibovitz hat das Foto gemacht, Vanity Fair hat es auf den Titel gedruckt, mehr muss man manchmal nicht sagen zu der Frage, wie sich Pop und Politik, Macht und Glamour zueinander verhalten. Dass es auch schief gehen kann, zeigt ein anderes Bild, ein gelber Raum mit Blutspuren an der Wand, der missglückte Versuch, das Grauen zu fassen. Was umso deutlicher wird, weil nebenan und in gleicher Größe ein Porträt des jungen Präsidenten Bill Clinton hängt, in dem sehr viel mehr politisches Verständnis steckt und sehr viel mehr Wahrheit über das Wesen der Geschichte als in dem Foto aus Ruanda.

Genau aus diesem Widerspruch beziehen die Bilder ihre Kraft. 1983 begann Annie Leibovitz ihre Arbeit für Vanity Fair und wurde maßgeblich in ihrer Inszenierungslust, die sich aus der persönlichen Nähe zu den Menschen erklärt, die sie fotografierte. Ein Star unter Stars eben. Sie machte das Coverfoto der nackten, schwangeren Demi Moore. Sie legte die schwarze Schauspielerin Whoopie Goldberg in ein Bad aus Milch. In dieser Zeit fing sie auch an, Werbekampagnen für American Express zu fotografieren. Die affirmative Ironie ihrer Inszenierungen schaffte ihr zwar etwas ästhetischen Freiraum – doch lässt sich der Leibovitz-Stil seitdem am besten als American Expressionism beschreiben.

Es gibt da ein Wissen um das Erbe der Popkultur, das ständig präsent ist und das von Leni Riefenstahl und Gertrude Stein bis Michael Jackson und Tina Fey reicht – eine Popkultur allerdings ohne die albtraumhaften Nachtseiten, wie sie David Lynch oder Matthew Barney zeigen. Ein Bild ist bei Leibovitz immer genau das, was es ist. Das kennzeichnet ihren ästhetischen Konservatismus.

Sie sind künstlich, diese Bilder, ohne dass es nervt. Sie sind kunstlos, was ihren Erfolg erklärt. Sie feiern ihren Gegenstand, ohne dass sie allzu viel enthüllen. Menschen sind ihr Metier, was sich schon daran zeigt, wie ihr die Landschaften entgleiten. In den Landschaften sucht sie etwas und kommt mit Kitsch zurück. In den Gesichtern sucht sie nichts und entdeckt etwas, das einem kollektiven Blick auf diese Person sehr nahe kommt. Sie sieht nicht in diesen Menschen hinein, sie will kein Geheimnis enthüllen. Selbst nackt bleiben diese Menschen angezogen.

Was bleibt, ist die Pose. Nicht als Wahrheitsbehauptung, sondern als: Pose. Selbst das Private verwandelt sich unter ihrem Blick in diese Richtung. Davon erzählen die Bilder, die sie von ihrer langjährigen Geliebten Susan Sontag machte, bis zu deren Krebstod 2004. Muscheln, Steine, Notizzettel hat sie fotografiert, Sontag in den achtziger Jahren, die weite mexikanische Wüste ist durch die offene Autotür zu sehen, Sontag lehnt sich zurück auf dem Beifahrersitz und schaut direkt in die Kamera, aber das Bild kann die Distanz nicht überwinden, die zwischen zwei Menschen bleibt.

Und so zeigt diese Ausstellung das Paradox der Arbeit von Annie Leibovitz, ein Paradox, das vielleicht die Popkultur überhaupt beschreibt: Die Porträts der Prominenz wirken persönlicher. Je näher Leibovitz den Menschen kommt, die sie liebt, desto mehr ziehen sie sich zurück.

Wir erfahren zum Beispiel sehr wenig über diese Menschen am Strand dort, die Eltern und Geschwister und Nichten und Neffen von Leibovitz, wir erfahren aber auch wenig über Leibovitz selbst. Da kommt auch die Meldung überraschend, dass sie trotz ihrer Jahresgage von zwei Millionen Dollar über 15 Millionen Dollar Schulden hat und nun ihr Lebenswerk verpfänden muss.

Das Foto, das im Gedächtnis bleibt, ist ein winziges Bild in Schwarzweiß. Es hängt zwischen zwei großen bunten Porträts. Rechts ist die Queen zu sehen, würdevoll und leer im Blick. Links streckt sich Scarlett Johansson auf einer Liege aus. Auf dem Bild in der Mitte ist Leibovitz zu sehen, wie sie den Vesuv besteigt, den Vulkan, dem Susan Sontag einen Liebesroman gewidmet hat. Leibovitz schaut uns nicht an. Sie kehrt uns den Rücken zu.

Der Autor ist Redakteur beim Magazin der Süddeutschen Zeitung.

Artikel teilen
 
Zur Startseite