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Ask Alice: Manche Lesben wie Kerle?

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Liebe Barbara,

Das gilt ganz sicher nicht für alle Lesben - nur die anderen fallen dir nicht auf, weil sie wie "normale" Frauen aussehen. Und du kennst doch sicherlich auch Männer, die sich feminin gerieren? Ohrring, Kajalstift, lange Haare? Oder Transvestiten, die sich auch gerne mal schminken oder gar ein Kleid anziehen. Schockiert dich das genauso? Oder sagst du in dem Fall: Warum nicht? Wenn es ihr Bedürfnis ist, ihnen Spaß macht. Denn du sagst ja, dass du „jegliche Art von Homosexualität“, also den Ausbruch aus der Geschlechterrolle, akzeptierst.

Mir jedenfalls fällt schon seit Jahrzehnten auf, dass aufgeschlossene Menschen, und gerade auch Frauen, es sogar cool und sexy finden, wenn Männer „femininer“ werden, es aber irritierend oder gar peinlich finden, wenn Frauen sich „maskulin“ inszenieren. Der Griff nach der „Weiblichkeit“ gilt heutzutage bei Männern als emanzipiert, metrosexuell eben, der Griff nach der „Männlichkeit“ aber ist für Frauen weiterhin tabu. Die Krone der Emanzipation scheint die Managerin auf High-Heels.

Aber worum geht es bei der Emanzipation, liebe Barbara? Doch um die Aufhebung der (sozialen) Geschlechterrollen und das freie Menschsein aller. Davon sind wir zwar alle weit entfernt, weil wir noch tief geprägt sind von den traditionellen Geschlechterrollen, die sich nicht innerhalb von ein, zwei, drei Generationen abschaffen lassen. Doch es gibt inzwischen Frauen – und Männer – die mit der jeweils anderen Rolle spielen bzw. erotisch kokettieren. Gendertrouble. Denn es stimmt ja: Sowohl die Männer- wie die Frauenrolle haben positive, verführerische Seiten. Es ist die Festlegung auf die eine Rolle, die öde weil einengend und vorhersehbar ist.

Eine sich eher „männlich“ inszenierende Frau will also signalisieren, dass sie sich nicht als traditionelle Frau versteht, sich nicht beschränken will auf die Frauenrolle – und sie auch „männliche Qualitäten“ zu bieten hat. In einer Beziehung mit einer anderen Frau ist es dann keineswegs immer ausgeschlossen, dass diese Frau nicht nur männliche Qualitäten, sondern auch männliche Unarten hat, z.b.faul im Haushalt ist (dagegen muss die andere Frau sich dann wehren, wie in einer Beziehung mit einem Mann). Aber auch diese kerlige Lesbe - die Butch bzw. der Kesse Vater, wie es in der Szene heißt - bleibt trotzdem eine Frau, auch und vor allem in den Augen der anderen.

Und genau das hat, finde ich, auch irgendwie etwas Anrührendes und Verwegenes: So eine Frau, die den Kerl spielt. Erotisch, scheint mir, wird es ja sowieso immer erst dann spannend, wenn Grenzen überschritten werden.

Herzlich,
Alice Schwarzer

 

 

 

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