Rauf statt runter

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Babara Schock-Werner ist in der Geschichte des weltberühmten Kölner Wahrzeichens die erste Dombaumeisterin, eingestellt von Kardinal Meisner. Was sie keineswegs schreckt.

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Wer Barbara Schock-Werner zum erstenmal sieht, sagt sich: Ja! Die erste Dombaumeisterin zu Köln; die erste Frau, die seit Jahresbeginn über das Wohl und Wehe des nationalen Prestigeobjekts wacht - genauso muß sie aussehen! Denn Frau Schock-Werner ähnelt dem Dom. Ihr Gesicht hat die gleiche kantige Schönheit wie die Fassaden, ihre rußige Stimme entspricht dem Grundton der Steine und in ihrem Auftreten liegt eine handwerkliche Bodenständigkeit, mit der auch der metaphysische Ehrgeiz der mittelalterlichen Kathedralen untermauert ist. Weniger erhaben ist so ein dombaumeisterlicher Alltag.
Man könnte Frau Schock-Werner ruhig auch als "Kirchenhausmeisterin" bezeichnen, die vor allem dafür Sorge trägt, daß der nun mehr 750 Jahre alte Bau dem Ansturm von täglich rund 20.000 Besuchern gewachsen bleibt. Zum größten Teil überwacht sie die Sanierungsarbeiten drinnen und draußen.
Sonst brütet sie mit Experten aus ihrem 90köpfigen Team über technischen Herausforderungen wie die neue "Taubenvergrämungsanlage" und muß wöchentlich zur Dienstbesprechung mit ihrem Vorgesetzen, Probst Bernard Henrichs.
Mit dem Probst muß die schwäbische Katholikin über die Regeln der Liturgie reden können und mit den Steinmetzen über chemische Korrosionsvorgänge; mit dem Organisten über Klang- und mit den Glasmalerinnen über Farbharmonie. Sie muß, kurzum, die Schnittstelle aller Diskurse im und um den Dom sein. Wie Frau Schock-Werner dazu kam, das ist die Geschichte hinter ihrem Gesicht.

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Barbara Werner wurde als zweites Kind einer schwäbischen Handwerkerfamilie 1947 in Ludwigsburg geboren und war, nach eigenen Worten, eine "klassische Vatertochter". Das aber hieß, wenn nicht in den 60er Jahren offen zu rebellieren, so doch die vererbte Durchsetzungskraft darauf zu verwenden, die Gesetze des Vaters zu umgehen. "Abitur war für die Frauen in meiner Familie kein Thema." Dennoch absolvierte sie nach einer Lehre als Bauzeichnerin ein Fachhochschulstudium in Architektur. Nach einigen Jahren Berufserfahrung - inklusive Arbeit auf dem Bau und als Zimmerfrau - befand sie in den 70ern selbstkritisch: "Ich werde nie eine geniale, selbst entwerfende Architektin." Die inzwischen verheiratete Schock-Werner entschied sich, familienfreundlich, ganz für die akademische Laufbahn.
Deren wichtigste Meilensteine waren eine viel beachtete Dissertation, die sie Anfang der 80er über das Straßburger Münster vorlegte, und ihre Professur für Kunstgeschichte mit Schwerpunkt "Gotische Bauorganisation und Architektur", die sie bis zum Herbst 1998 an der Universität Nürnberg-Erlangen innehatte. "Ich war immer nahezu die einzige Frau unter Männern. Solche Situationen überlege ich mir gar nicht mehr", sagt sie resolut. Daß um ihr Geschlecht jetzt soviel Aufhebens gemacht wird, scheint sie genauso zu irritieren wie Domprobst Henrichs, der versichert: "Die Frauenfrage war absolut nicht relevant. Sie war einfach die beste nach allen Kriterien."
Ganz fremd kann der "Frau Dombaumeister" feministisches Gedankengut allerdings nicht sein: Sie bekennt sich als EMMA-Leserin der ersten Stunde. Schon Ende der 70er Jahre, als ihr Mann noch am Wallraff-Richartz-Museum arbeitete, war sie sogar bei den Festen auf dem Redaktions-Dach dabei.

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Für ihre Dissertation über das Straßburger Münster wertete die Doktorandin nicht nur die Bauzeichnungen mit einer Sachkunde aus, die Kunsthistorikern sonst fehlt. Sie analysierte auch die Baurechnungen der mittelalterlichen Dombauhütte, für die sich bis dahin noch niemand interessiert hatte. "Nach der Lektüre wußte ich darüber Bescheid, wie der Betrieb funktionierte", triumphiert sie. Die Belohnung war ein Lehrstuhl mit dem einzigartigen Schwerpunkt "Bauorganisation".
Bei den meisten Menschen würde spätestens an dieser Stelle das "Happy End" eingeblendet. Nicht so bei dem Energiebündel Schock-Werner, das man heute meistens im Laufschritt irgendwo zwischen den Türmen und der Krypta des Doms antrifft; und das, wenn es mal kurz in seinem Büro einschlägt, sofort von Besucherinnen, klingelnden Telefonen und unternehmungslustig flimmernden Computern umgeben ist. Im Elfenbeintutm der Universität kann man sich ein so zupackendes Temperament überhaupt nicht vorstellen. Hinzu kamen, so Schock-Werner rückblickend, die Eifersüchteleien und eine frauenfeindliche Atmosphäre, die ihr das Leben an der Universität vergrämten. Als die damals 50jährige von der Stellenausschreibung in Köln erfuhr, war für sie klar: "Das ist, was du den Rest deines Lebens machen willst!" Und was sie am besten machen kann.
Doch die Wackere spricht auch offen von ihrer Angst, ob sie der neuen Aufgabe auch gewachsen sei. Vielleicht, weil es ihr diesmal alle Männer, vom Kardinal (Meisner! Ihr Chef) bis zum Steinmetz, so selbstverständlich zutrauen? Und weil es diesmal ihr Mann ist, der in die Dienstwohnung nach Köln nachzieht? Schock-Werner hat keine Zeit, darüber zu sinnieren. Der Dom braucht sie - und sie braucht den Dom.

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