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Eine transatlantische Liebe

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Berlin, Samstag 31. Januar 1948
Nelson, mein Gatte. (...) Um 16 Uhr kamen wir nach Deutschland und sahen die Ruinen von Saarbrücken, sehr beeindruckende Ruinen. Dann wurde es allmählich unheimlich und ziemlich unangenehm. In dem tristen Speisewagen, wo wir endlich etwas - nicht viel - zu essen bekamen, waren nur Franzosen und insbesondere französische Offiziere, und im Schlafwagen auch. Wir erfuhren, dass in den anderen Wagen Deutsche waren, aber wir haben keinen einzigen gesehen. Deutschland umgab uns, und wir bildeten eine kleine, bewegliche französische Kolonie, das erinnerte mich an die Deutschen im besetzten Frankreich, ich fühlte, dass wir genauso hassenswert waren wie sie. Nichtsdestoweniger schlief ich fest, ich liebe es, im Schlafwagen zu schlafen, auch auf Schiffen, und ich dachte an unsere Mississippi-Kojen und an das langsame Gleiten des Schiffes während des Schlafs, ich war sehr glücklich.

Morgens sah Deutschland reizend aus, schöne Kiefern- und Birkenwälder, ein weiter, trauriger Himmel, kleine verputzte Häuser - ich war aufgeregt, in Berlin anzukommen. Aber um 11 Uhr, eine Stunde vor der Ankunft, wurde es schrecklich: Ruinen und Schutt, Schutt und Ruinen, sonst nichts. Ich hätte es mir nicht vorstellen können, obwohl ich so viel darüber gehört und es sogar im Kino gesehen hatte. Die Ankunft - im Norden von Groß-Berlin, auf dem französischen Bahnhof - war unangenehm. Die Deutschen mussten warten, bis alle Franzosen ausgestiegen waren, bevor sie den Zug verlassen durften: Auch dies erinnerte mich an die Besatzungszeit, und man fühlt sich schlechter, wenn man auf der Seite der Besatzer ist. Und dann dauerte es lange, bis wir weggehen konnten, wegen der Fotografen, Rundfunkleute und Journalisten, die auf uns warteten.

Ein kleiner Mann, ein Franzose, dessen Arbeit darin besteht, den Deutschen französische Bücher und Kultur zu verkaufen, und der sich für sehr klug, witzig und humorvoll hält, fuhr uns zu unserem Hotel. Der wunde Punkt: Man kommt nur nach Berlin, wenn man von jemandem eingeladen wird, sonst hätte man keinen Pfennig (man bekommt kein deutsches Geld), keinen Platz zum Schlafen, keine Lebensmittelmarken, keine Möglichkeit zu leben. Wir sind also die Gäste dieses kleinen Mannes, und als solche sind wir von ihm abhängig (er wird von der französischen Regierung dafür bezahlt, Leute in dieser Weise zu empfangen, es ist sein Job, trotzdem verhält er sich so, als würde er uns aus Freundschaft empfangen).

Der französische Sektor Berlins ist aber 25 km vom Zentrum entfernt, wir brauchen also ein Auto, und nur er kann uns eins besorgen. Tatsächlich wurde uns ein Auto geliehen, aber er kontrolliert alles, verstehen Sie. Frohnau, der französische Sektor, ist ein sehr schönes Wohnviertel: Kiefern, frische Luft, schöne Häuser; aber ich bin gern im Herzen der Städte und nicht 25 km weit entfernt. Und außerdem hat der kleine Mann Diners, Mittagessen, Empfänge, Vorträge, Diskussionen usw. usf. organisiert - vielfach mit uninteressanten Leuten.

Die Besatzungsmächte möchten allgemein verhindern, dass Leute, vor allem Schriftsteller und Journalisten, nach Berlin kommen und wirkliche Deutsche, wirkliches deutsches Leben erleben. Wir müssen kämpfen, um etwas zu sehen, ihnen zum Trotz, aber viel Zeit geht verloren. Ich muss zu widerlichen Partys mit den verkehrten Leuten: Sie würden sich wundern, wie stumm Ihr Frosch geworden ist, ich bin zugeknöpft, mache meinen Kopf ganz leer und sage nichts - sonst würde ich wütend werden und zu viel sagen.

Nun, dies sind die wunden Punkte. Gut ist, dass ich Berlin sehe, und es ist wunderbar interessant und pathetisch, das ist es wert, all die kleinen genannten Unannehmlichkeiten zu ertragen. Sind Sie in Berlin gewesen? Ich erinnere mich, dass Sie in Deutschland waren und es sehr mochten, aber Berlin - waren Sie dort?

Sonntagmorgen
Sartre hält in einem großen Theater einen langen Vortrag zu seinem Stück "Les mouches", mit anschließender Diskussion. Da er auf Deutsch spricht und ich nichts verstehen würde, bin ich nicht hingegangen, obwohl der kleine Mann und seine Frau darüber entrüstet waren. Ich bin mit ihnen von Frohnau hergefahren, sie haben mich am Theater abgesetzt, wo viele Leute Schlange standen und auf den Vortrag warteten. Es ist interessant in Berlin, wie leidenschaftlich gern die Leute ins Theater und ins Kino gehen, nicht nur zum Vergnügen und um zu vergessen, sondern um eine Antwort auf ihre Probleme zu finden. Auf dem Kurfürstendamm stehen sie von früh bis spät Schlange, um Theaterkarten zu bekommen.

Sartres "Fliegen" hat sie ungeheuer interessiert; das Stück wurde während der deutschen Besatzung geschrieben, und sein allgemeiner Sinn lässt sich so zusammenfassen: Wenn man sich selbst in die Nesseln gesetzt hat, soll man sich deshalb keine Gewissensbisse machen, sondern versuchen, zu handeln und es besser zu machen. Man wendet das hier nun auf die eigene Situation an. Viele Leute sind empört, weil alle Russen und viele Franzosen die Aufführung des Stücks verhindern wollten.

Angesichts ihrer Deutschlandpolitik sind die Amerikaner dagegen ganz davon angetan. Natürlich wissen Sie, dass Ihre amerikanischen Landsleute hier von der übelsten Sorte sind. Auch hier haben drastische Säuberungen stattgefunden, alle liberalen Amerikaner und Roosevelt-Verehrer wurden nach Hause geschickt, eine faschistische Gang ist am Werk - auch die Franzosen sind schreckliche Nationalisten, obwohl einige den mächtigen Russen zulächeln und ihnen sklavisch gehorchen. Nun, die Deutschen waren von den "Fliegen" so begeistert, dass sie 500 oder 1.000 Mark für (k)einen Platz zahlten (300 Mark pro Monat reichen im Durchschnitt für den Lebensunterhalt) oder sogar mit zwei (k)Gänsen bezahlten. Sie können sich vorstellen, was eine Gans in diesem Land bedeutet, in dem man kaum etwas zu essen bekommt.

Heute Morgen habe ich also die anderen abgehängt und bin allein in Berlin herumgegangen und mit der S-Bahn gefahren, endlos durch Schutt und Ruinen, und bin auf dem Kurfürstendamm angelangt, der immer noch die belebteste Stelle der Stadt ist. Eine halbe Stunde lang habe ich ein Café gesucht, irgendein Café, eine Bar, ein Restaurant, um mich dort hinzusetzen. Und nach langem Suchen fand ich dieses Café, in dem man nichts außer einer Brühe zu trinken bekommt. Sie können sich nicht vorstellen, wie traurig und verlassen diese Lokale sind, wie traurig und elend die Leute hier aussehen.

Donnerstag haben wir uns in einem französischen Hotel in Frohnau niedergelassen und bei dem kleinen Mann zu Abend gegessen in einem schönen warmen Haus. Die Franzosen hier bewohnen feudale Häuser, sie bekommen Kohlen und beschaffen sich gute Lebensmittel (freilich tun das alle Alliierten). Wir zitterten vor Aufregung bei dem Gedanken, Berlin zu sehen, wir verabschiedeten uns, gingen zu einem Bahnhof, von wo ein Zug und eine Untergrundbahn uns zum Alexanderplatz brachten. Früher war das wie Times Square, ein sehr volkstümlicher belebter Platz: Nun sind dort Mauern und nochmals Mauern und dahinter Leere. Ich glaube, ich habe Ihnen erzählt, dass Sartre ein Jahr in Berlin verbracht hat und ich ihn dort im Jahr 1932 einen Monat lang besucht habe - das ist so lange her! Wir waren also sehr beeindruckt, die Stadt jetzt wiederzusehen. Wenn man sie nicht in der Vergangenheit gekannt hat, kann man es sich nicht vorstellen, nichts ist sich gleich geblieben.

Eine seltsame Schönheit rührt daher, dass nicht alles ausradiert wurde wie in London oder Le Havre, sondern die Mauern, die Gerippe, stehen geblieben sind, aber sie sind hohl, zwischen den Mauern ist Leere, Nichts. Es gleicht einem poetischen Albtraum. Das Viertel um den Alexanderplatz war immer sehr arm, aber jetzt ist es zwischen den zerbröckelnden Ziegelsteinen, den ausgehöhlten Häusern, dem herausgerissenen Schrott, dem Schlamm und Mörtel ebenso entsetzlich wie West Madison an einem regnerischen Tag für die Obdachlosen. Die Gesichter der Menschen sind bleich vor Hunger; viele humpeln, sind Krüppel, haben während der Luftangriffe einen Arm, ein Bein verloren; sie haben fast nichts zum Anziehen und lesen in den Straßen Holzspäne auf, sie tragen immer irgendetwas auf dem Rücken, in Rucksäcken, oder schieben kleine Karren vor sich her. Ich habe das während der Besatzungszeit beobachtet, in Notzeiten tragen die Leute immer Säcke und Bündel mit sich herum.

Dann kamen wir nach "Unter den Linden", das früher die Chicago Avenue Berlins war; alles ist in die Luft geflogen, kaum ein Mensch auf der Straße, der große Park, Tiergarten, ohne Bäume: Die Leute haben im Winter die Bäume gefällt, um Brennholz zu haben, und jetzt haben sie dort kleine Gärten, in denen Rüben und Kartoffeln angebaut werden; der Park wird nicht mehr Tiergarten, sondern Gemüsegarten genannt. Die Leute auf dem Kurfürstendamm machen einen wohlhabenderen Eindruck, es sieht dort nicht so hoffnungslos aus, aber in der Dämmerung diese endlosen ...

Am nächsten Morgen holte uns ein französischer "Kommandant" in seinem Auto ab und machte eine interessante Stadtbesichtigung mit uns: Ruinenbesichtigung. Es war so beeindruckend wie am Tag vorher. Wir besuchten Hitlers Reichskanzlei - ein regelrechter Palast, jetzt ganz zerstört und in die Luft geflogen -, den Bunker, in dem er sich am Ende aufhielt und wahrscheinlich starb, viele alte Denkmäler, Straßen, Parks, alles Schutt und Ruinen. Der Kommandant wollte nicht zugeben, dass die Leute auf der Straße bleich sind und dass es viele Krüppel gibt. Dann haben wir mit russischen Diplomaten und einer katholischen deutschen Schriftstellerin (die hässlichste Frau, die ich je auf der Welt gesehen habe) und ihrem Mann zu Mittag gegessen. Die Russen mögen Sartre nicht, da er kein Kommunist ist, aber sie verhielten sich freundlich; das deutsche Paar war widerlich: Als gute Katholiken können sie die Russen nicht leiden, fürchten sie aber und drückten ihnen gegenüber wegen der deutschen Verbrechen ihre Reue aus.

Diese Frage der Reue ist für Deutsche von großer Bedeutung. Bei allen Vorträgen und in Diskussionen und privaten Gesprächen redeten sie immer über ihre Gewissensbisse. Einmal hat Sartre 3 Stunden lang mit ihnen darüber diskutiert. Alle (oder fast alle) Deutschen, die wir treffen, sind Antinazis (oder geben sich als solche); viele Kommunisten meinen, die Deutschen müssten bereuen und Gewissensbisse haben. Sartre vertrat die Auffassung, sie sollten die kollektive Verantwortung für das, was sie getan haben, auf sich nehmen und sich schuldig fühlen, denn jeder ist gewissermaßen schuldig für alles, was passiert, insbesondere im eigenen Land, aber ein solches Schuld- und Verantwortungsgefühl impliziert weder Scham noch Demütigung oder Gewissensbisse; es impliziert den konkreten Willen, nun richtig zu handeln. Viele der deutschen Studenten, Schriftsteller und Intellektuellen, mit denen wir sprachen, waren sehr stark an diesen Fragen interessiert, sie diskutierten auch untereinander heftig, die Schuldfrage ist das Thema, über das sie immer zuallererst diskutieren wollen.

Nach dem Mittagessen hatten wir einen Empfang beim "Magistrat", einer Art Stadtrat unter alliierter Kontrolle. Ziemlich langweilig, viele Reden, viele Worte wurden verloren - verlorene Zeit. Dann sind wir in ein ganz tristes Café gegangen, wo wir ein ekelhaftes Bier getrunken und uns umgeschaut haben. Dort fühlten wir uns richtig in Berlin, das war schon besser. Amerikaner hatten uns eingeladen, und wir hatten gehofft, wir würden gut zu Abend essen und etwas Gutes trinken, da die Amerikaner die reichsten unter den Alliierten sind. Aber sie haben uns hereingelegt, richtig hereingelegt! Sie hatten die dreistündige Diskussion organisiert, aber es gab nichts zu trinken, außer um Mitternacht eine Tasse Ersatzkaffee! Traurig.

Die Diskussion mit den Deutschen kreiste um Reue, Hoffnung, Freiheit, und es war interessant, ihre Probleme kennenzulernen. Samstag früh sind wir wieder durch die Straßen Berlins gegangen, mit französischen Journalisten, die wir bereits kannten (unter ihnen ein früherer Schüler von Sartre). Wir waren wieder auf dem Kurfürstendamm. Die Leute - durchschnittliche Erwerbstätige - verdienen 200 bis 300 Mark; sie bekommen Lebensmittelmarken im Gegenwert von 40 Mark, nicht mehr. Das heißt, wenn sie nur das kaufen, wozu sie ein Recht haben, geben sie 40 Mark aus, das reicht aber kaum, um einen halben Monat zu leben. Deshalb müssen sie sich auf dem Schwarzmarkt versorgen, aber dort ist alles so teuer, dass sie fast nichts kaufen können. Ein Päckchen Zigaretten (20 üble französische Zigaretten) kostet 30 Mark, ein Pfund Butter 800 Mark usw. Dasselbe gilt für die Kleidung, zum Glück waren sie früher gut damit eingedeckt, besser als in Amerika oder Frankreich, und davon ist noch was übrig. Viele Frauen tragen Pelzmäntel, die meisten Hosen, kein Make-up; auch viele Männer besitzen gute Mäntel - in der Mittelschicht. Es gibt allerdings krasse Unterschiede, viele Leute leben in widerlich engen und feuchten, abgelegenen Behausungen, die Slums ähneln; andere bewohnen schöne Suiten im Herzen von Berlin.

Seltsam ist, dass man keine oder fast keine Geschäfte sieht, die billige oder nicht zu teure Dinge (Kleider, Schuhe usw.) anbieten, aber man sieht viele schöne Geschäfte im Erdgeschoss zerstörter Gebäude, die Kleider für 2.000 Mark verkaufen, Schmuck, Silberzeug, alte Bücher, kostbares Geschirr. Der Grund ist vor allem, dass die Deutschen all ihren Schmuck und ihr Porzellan verkauft haben, um Geld zum Essen zu haben. Ich habe noch nie so viel zerbrechliches Porzellan, soviel kostbare Gläser und alte Bücher gesehen wie in dieser notleidenden Stadt. Es gibt Unmengen von Antiquitätenläden. Interessant sind auch die "Tauschzentralen": Dort türmen sich Berge von Schuhen, Hemden usw.; aber man kann sie nicht kaufen, man muss sie gegen etwas tauschen, das der Verkäufer braucht; es ist jetzt sehr gut organisiert, ein regelrechter Handel.

Alle Läden, Cafés, alles Leben befindet sich auf ebener Erde, man hat nur eben das Erdgeschoss ausgebessert, wenn es nicht ganz in die Luft geflogen war, der obere Teil der Häuser über dem sauberen Erdgeschoss besteht aus Ruinen. Man hat mir erzählt, beim Wiederaufbau Berlins werde es am schwierigsten sein, Berlin erst einmal abzubauen, denn die Mauern sind ja, wie ich Ihnen erzählt habe, stark und fest stehen geblieben. Inzwischen werden mit kleinen Wagen Ziegel- und Backsteine von den Straßen geräumt, aber das reicht nicht, es ist, als würde man Staub wegfegen.

Nach einer kleinen Verschnaufpause brachte uns ein Auto nach Berlin; ich weiß nicht, wieso der Chauffeur (ein französischer Soldat) auf den Gedanken kam, uns, Sartre und mich, zum Sight-Seeing durch interessante Vorstädte zu fahren statt direkt zur Cocktailparty; wir trafen dort mit einer Stunde Verspätung ein, was schlimm war, aber die Party war noch schlimmer: zweihundert Leute, alles "wichtige" Persönlichkeiten, Ansprachen, Blitzlichter von Anfang bis Ende; die hässliche katholische Schriftstellerin überreichte mir eine Orchidee und sagte dabei, ich gliche einer Orchidee. Man wundert sich, dass eine Existentialistin nicht allzu hässlich ist. Überall wird behauptet, wir, Sartre und ich, seien verheiratet; man weiß, dass es nicht stimmt, aber man tut so "als ob", weil es unmoralisch wäre, ein unverheiratetes Paar zusammen einzuladen. Oh, diese Leute! Sie stinken! Ich war gerade von dieser widerlichen stinkenden Party in einem eleganten Haus auf dem Kurfürstendamm zurückgekommen, als ich den Anfang dieses Briefes an Sie schrieb - deshalb war ich so wütend. Ich hatte Sartre in Berlin gelassen, wo er Freunde besuchte, und verbrachte selbst einen ruhigen Abend.

Der Sonntagnachmittag war besser: Treffen mit deutschen Studenten, ein Dutzend Mädchen und Jungen, mit denen wir sehr ruhig und freundschaftlich sprachen, so haben wir etwas gelernt. Sie erzählten, wie hart für sie das materielle Leben ist: fast nichts zu essen, kaum Bücher, lange, lange Fahrten mit Bus und Zug, ein bis zwei Stunden morgens und abends, die Züge sind so überfüllt und kalt, dass man nicht einmal lesen kann. Auch sie sprachen von Schuld und Hoffnung, schienen ziemlich hoffnungslos, pathetisch und guten Willens, sie versuchen, trotz allem zu leben. Allerdings - sie geben es selbst zu - ähneln ihnen nicht alle deutschen Studenten, viele sind extrem nationalistisch, verbohrt und böswillig. Aber diese schlechtgekleideten Studenten mit den bleichen Gesichtern haben mich tief bewegt, vor allem die Mädchen mit ihren armseligen Strümpfen und Schuhen, ihrem matten Haar und ihren schönen Augen.

Und dann! Ach! was für eine entsetzliche Sache! Die Aufführung der "Fliegen". Dabei musste ich das Abendkleid tragen, nun, es war ein ziemlich hübsches Kleid, nur ein langer schwarzer Rock mit einer schönen Bluse, es passte gut, die Verkleidung störte mich nicht allzu sehr. Eine Schande war das Stück. Der Regisseur hat daraus vorsätzlich ein nihilistisches Stück gemacht, ganze Szenen herausgeschnitten und die Schauspieler so dirigiert, dass das Gegenteil von dem herauskam, was Sartre sagen wollte. Außerdem war alles so hässlich, die Kostüme, die Gesten, die Bühnenausstattung, alles. Niemand ist in der Lage, so hässliche Sachen zu machen wie Deutsche, wenn sie dazu bereit sind. Die Schauspieler waren dauernd am Schreien, am Schwitzen, wälzten sich auf dem Boden und rollten irgendeine Treppe hinunter: ein regelrechtes Irrenhaus. Die Franzosen waren alle der Meinung, dass es ein Skandal sei. Aber die Deutschen applaudierten eine halbe Stunde lang, ein regelrechter Triumph, deshalb schien ihnen Sartres Anwesenheit so wichtig.

Wir sagten allen, wir würden am nächsten Tag abreisen, um zwei Tage für uns, incognito, zu haben und tun zu können, was uns gefiel. Gestern hatten wir also einen angenehmen Tag. Wir sind morgens mit dem Zug nach Berlin gefahren, sind durch die Straßen gelaufen, in Cafés gegangen und haben uns umgeschaut. Wir waren in vielen Kneipen, der wunde Punkt war aber, dass wir den ganzen Tag (von 10 Uhr früh bis 3 Uhr früh) nichts essen konnten, weil man in Berlin ohne Lebensmittelkarten nichts zu essen bekommt. Und was wir unter der Bezeichnung Kaffee oder Bier oder Punsch zu trinken bekamen, war höchst scheußlich. Wir fühlten im Magen, was Deutschland für die Deutschen bedeutet.

Es gibt ein einziges großes Café mit zwei Orchestern, Leute tanzen, andere trinken, alle rauchen - ein bisschen wie Berlin früher, aber unglaublich, was es zu trinken und zu essen gibt. Um 7 Uhr sind wir ins beste Berliner Kabarett gegangen, in eine Art Revue über das Leben in Deutschland heute, mit Chansons und Tänzen. Oberflächlich gesehen witzig, aber unterschwellig makaber und unheimlich; schwarzer Humor über all das Elend des deutschen Volkes und die Alliierten, die schöne Worte machen und Ideale anbieten: Kommunismus, Realismus, Existentialismus, Hoffnungen und Reden - aber weder Schuhe noch Brot. In dieser Art habe ich nie etwas so Gutes gesehen.

Dann Treffen mit einigen deutschen Intellektuellen bis 3 Uhr früh, sodass ich den ganzen Morgen geschlafen habe, und dann ein letztes übles Mittagessen mit Diplomaten. Wissen Sie, diese Leute leben in Berlin und treffen niemals einen Deutschen, sie wunderten sich, dass wir in Berlin so oft die U-Bahn benutzt haben: Sie selbst sind nie in den Untergrund hinabgestiegen! Sie pflegen einen entsetzlich französischen Lebensstil, interessieren sich für Ehebruch, kleine Skandale, kleinlichen Klatsch; kein Gehirn, kein Herz, kein Blut, kein Mumm, nichts außer eleganten Suiten und einmal im Monat Klatsch. Das Essen fand beim französischen "Minister" statt, dem wichtigsten Franzosen in Berlin.

Morgen Mittag reisen wir ab und sind Donnerstagabend zurück in Paris. Man muss einen Mann sehr lieben, um solch einen Brief zu schreiben, dazu noch in einer Fremdsprache. Wenn Sie genau wissen wollen, wie sehr ich Sie liebe, können Sie die Buchstaben zählen, die ich geschrieben habe: wie viele "a", wie viele "b" usw. Sie nehmen die Zahl, die herauskommt, multiplizieren mit 10.345, und Sie erhalten die Anzahl der Küsse, die ich Ihnen während meines Lebens geben möchte.
Ganz Ihre Simone

Der Text ist ein Auszug aus: "Eine transatlantische Liebe. Briefe an Nelson Algren 1947-1964" (Rowohlt)

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