Brandenburg: Männer wählen AfD!

Seinen Wahlsieg um Haaresbreite hat Dietmar Woidke den Frauen zu verdanken. - FOTO: Markus Schreiber/AP/dpa
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Keine Frage: Dietmar Woidke und die SPD haben in Brandenburg eine fulminante Aufholjagd hingelegt und sind auf die letzten Meter doch noch stärkste Partei geworden. Fakt ist aber auch:  Hätten in Brandenburg nur Männer gewählt, hätte das nicht geklappt. Dann wäre die AfD stärkste Partei geworden, und zwar mit einem satten Vorsprung von sechs Prozent. 35 Prozent der Brandenburger Wähler, also mehr als jeder Dritte, stimmten für die Rechtspopulisten – und 29 Prozent für die Sozialdemokraten. Von den Wählerinnen hingegen wählten 24 Prozent die AfD, also nicht einmal jede vierte. Für die SPD stimmten 33 Prozent. Der hauchdünne Wahlsieg der Sozialdemokraten von gerade mal 1,7 Prozent ist also entscheidend den Frauen zu verdanken.

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Außerdem gibt es bei dieser Landtagswahl nicht nur einen wahlentscheidenden Gender-Gap, sondern auch einen enormen  Alters-Gap. Ergebnisse über 30 Prozent holte die SPD überhaupt erst bei den WählerInnen über 60. Von den BrandenburgerInnen über 70 wählte sogar fast jedeR zweite (49%) die Sozialdemokraten. Bei der AfD ist es genau umgekehrt: In allen Altersgruppen unter 60 Jahren haben die Rechtspopulisten jeweils rund ein Drittel der Stimmen. Das gilt auch für die ganz jungen WählerInnen zwischen 18 und 24 (mit entsprechendem Gender Gap, dazu später mehr). Erst bei den WählerInnen über 70 kracht die AfD auf 17 Prozent ein.

Im Straßenwahlkampf war der Krieg das Thema Nummer 1. Warum nicht im Wahlstudio?

Eine Mehrheit im Landtag hätte nur die Kombination SPD und Bündnis Sahra Wagenknecht. Und auch der beachtliche Erfolg des BSW, das aus dem Stand drittstärkste Partei wurde, ist zu einem gewissen Teil den Wählerinnen zu verdanken. Zwölf Prozent holte das BSW bei den Männern, aber 16 Prozent bei den Frauen. Das mag damit zu tun haben, dass das Bündnis mit Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali von zwei Frauen angeführt wird. In Brandenburg jedoch ist der Spitzenkandidat ein gestandener Mann: Robert Crumbach, 61, Arbeitsrichter und 40 Jahre lang SPD-Mitglied.

4,1 Prozent und lange Gesichter bei den Brandenburger Grünen und Außenministerin Baerbock (Mitte). - FOTO: Frank Hammerschmidt/dpa
4,1 Prozent und lange Gesichter bei den Brandenburger Grünen und Außenministerin Baerbock (Mitte). - FOTO: dpa

Kommen wir also nun zum Elefanten im Raum oder besser in den Wahlstudios und Parteizentralen. Dort durfte gestern ein Thema offenbar gar nicht oder nur sehr beiläufig angesprochen werden, das zumindest mit wahlentscheidend gewesen sein dürfte. Der Ukraine-Krieg.

„Beim Straßenwahlkampf ist Frieden das Thema Nummer eins bei den meisten, die mit Robert Crumbach ins Gespräch kommen“, hatte Tagesschau.de noch vor wenigen Tagen bei der Vorstellung des BSW-Spitzenkandidaten berichtet. „Die Sorge, dass Deutschland in den Krieg in der Ukraine hineingezogen werden könnte. Die Menschen fordern, dass sich die ‚Politik‘ mehr um diplomatische Lösungen bemüht.“

Genau diese Botschaft hatte Crumbach nach Berlin gesendet. Er hatte darauf hingewiesen, dass laut der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer in Auftrag gegebeben aktuellen INSA-Umfrage 68 Prozent der Bevölkerung für Friedensverhandlungen sind (in Ostdeutschland sind es sogar 74 Prozent). Es sei „undemokratisch“, das nicht zu berücksichtigen, erklärte er. Zusätzlich sprach der BSW-Spitzenkandidat sich klar gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa aus (eine zentrale Forderung der Demo der Friedensbewegung am 3. Oktober in Berlin).

Wahlsieger Woidke: "Bundesregierung muss alles für eine diplomatische Lösung tun!"

Auch die SPD hatte sich in den Wochen und Tagen vor der Wahl weiter Richtung Friedensverhandlungen bewegt. Bundeskanzler Scholz hatte sich bei einem „Bürger-Dialog" in Brandenburg noch einmal sehr klar gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ausgesprochen, wegen der „großen Eskalationsgefahr“ und „auch wenn andere Länder anders entscheiden“.

SPD-Ministerpräsident Woidke forderte vom Kanzler und seiner Regierung noch mehr Einsatz: „Die Bundesregierung muss deutlich machen, dass sie alles dafür unternimmt, damit dieser schreckliche Krieg möglichst schnell zu Ende geht und eine diplomatische Lösung gefunden wird." Damit traf er den Nerv der BrandenburgerInnen. Denn genau das fordert auch die große Mehrheit der WählerInnen in Brandenburg. Die Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ergibt: JedeR zweite (50%) will „weniger militärische Unterstützung der Ukraine durch westliche Staaten“. „Mehr Unterstützung“ wollen nur 19 Prozent, also nicht einmal jedeR fünfte.

Wie schade, dass wir nicht wissen, ob und wie unterschiedlich Frauen und Männer auf die Frage der Forschungsgruppe geantwortet haben. Unsere INSA-Umfrage jedenfalls hatte ergeben, dass nur 30 Prozent der Frauen für die Taurus-Lieferung sind (aber 47% der Männer) und über die Hälfte der Frauen (51%) eine Ausweitung des Krieges auf Deutschland befürchten (aber nur 39% der Männer). Parteien, die sich für Friedensverhandlungen einsetzen, punkten damit also vor allem bei Frauen.

Begreifen die Grünen nicht, dass ihr Kriegskurs nicht der Wählerwille ist?

Umso erstaunlicher, dass das Thema Ukraine-Krieg bei den Fragen der JournalistInnen auch am Wahlabend  kaum eine Rolle spielte. Und noch erstaunlicher, dass die beiden Verlierer des Abends das Thema ebenfalls geflissentlich ignorierten: Die CDU, die natürlich auch unter Woidkes „Die AfD oder ich“-Wahlkampf zu leiden hatte, sowie die größten Verlierer des Abends: die Grünen. Die sind nun nach Thüringen aus dem zweiten Landtag geflogen (und in Sachsen nur ganz knapp reingekommen) – und das ausgerechnet in dem Bundesland, in dem Außenministerin Annalena Baerbock ihren Wahlkreis hat. Auch diese formal oberste Diplomatin ist, nur noch getoppt von „Panzer-Toni“ Anton Hofreiter, weit davon entfernt, sich für Friedensverhandlungen mit Russland einzusetzen – und damit eben auch weit entfernt vom WählerInnenwillen.

Was aber bei den Grünen offenbar niemand so recht begreifen mag. Dabei ist das wohl der Hauptgrund dafür, dass die ehemalige „Friedenspartei“  kurz davor ist, auch im Bund einstellig zu werden. Sie liegen aktuell bei nur noch zehn Prozent. Der haushohe Frauen-Bonus, den die Grünen jahrzehntelang hatten, ist ausgerechnet im Hausberitt von Baerbock auf ein Prozent geschrumpft. Da ist die Null nicht mehr weit.

CHANTAL LOUIS

 

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