Die Grenzen des Wachstums

Vordenkerinnen: Sandrine Dixson-Declève(li.) und Mamphela Ramphele Foto: imago
Artikel teilen

Am 2. März 1972, also genau vor 50 Jahren, veröffentlichte der Club of Rome den Bericht "Die Grenzen des Wachstums". Der erste umfassende, wissenschaftlich fundierte Report zur Zukunft der Erde warnte vor einer nur auf Wachstum ausgelegten Welt - und machte seinen Herausgeber, den Club of Rome, schlagartig bekannt.

Anzeige

Obwohl es sich um eine wissenschaftliche Studie mit zahlreichen Tabellen und Grafiken handelt, wird es mehr als 30 Millionen Mal verkauft und in 30 Sprachen übersetzt. 1973 bekommt der Club of Rome den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels dafür.

Die Hauptbotschaft der Studie lautet: In einem begrenzten System, wie es der Planet Erde nun einmal ist, kann exponentielles Wachstum – der menschlichen Bevölkerung, der Wirtschaft, der Städte – nicht auf Dauer gut gehen. Früher oder später droht ein Zusammenbruch, weil entweder die Rohstoffe zu Ende gehen, die Nahrung nicht für alle reicht oder die Umwelt so verschmutzt ist, dass die Lebenserwartung zurückgeht. Die AutorInnen, ein junges Team von WissenschaftlerInnen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit Sitz in Boston, USA, machen dazu sehr genaue, quantitative Voraussagen, die zum Teil bis ins Jahr 2170 reichen. Sie können das – und sie trauen sich das –, weil sie ein Computermodell benutzen, mit dem sie die Erde und die Aktivitäten der Menschen simulieren. World3 heißt es, und sein geistiger Vater ist Jay Wright Forrester, ein Computerpionier.

Wenn man heute darin blättert, kommt einem vieles vertraut vor. Die steil in den Himmel wachsenden Kurven exponentiellen Wachstums – wir haben uns daran gewöhnt, sie zu sehen, etwa wenn sich die nächste oder übernächste Pandemiewelle anbahnt. Es sind Voraussagen, die mit Computersimulationen gemacht werden – viele einflussreiche ExpertInnen benutzen sie, etwa die Epidemiologin Viola Priesemann (EMMA 3/2021) oder die Klimaforscherin Friederike Otto.

Doch vor 50 Jahren ist die ganze Methode noch neu – und wird deshalb in der Sachbuchausgabe der Studie detailliert und verständlich erklärt. „Diese Denkmodelle sind sehr vereinfacht im Vergleich zu der Realität, von der sie nur Abstraktionen darstellen“, stellt die Einführung klar. „Das menschliche Gehirn ist zwar ein bewundernswertes biologisches Organ, es kann aber nur eine beschränkte Zahl der außerordentlich komplizierten und miteinander in Wechselwirkung stehenden Vorgänge verfolgen, die das tatsächliche Geschehen bestimmen.“ So ist es.

Eine prägnante Figur im wissenschaftlichen Team des MIT und Hauptautorin des Berichts ist die amerikanische Umweltwissenschaftlerin Donella Meadows, bei Erscheinen der Studie 31, aber schon promoviert. Zusammen mit der indischen Expertin Nirmala Murthy hat sie das Thema Bevölkerungsentwicklung bearbeitet. Auch bei den Themen Umweltverschmutzung, Verwaltung und Dokumentation ist weibliche Expertise in das Weltmodell eingeflossen.

Donella Meadows starb leider schon mit 59 an einer Hirnhautentzündung. Zuvor hatte sie 26 Jahre lang einen Ökobauernhof bewirtschaftet, ein Ökodorf gegründet und neben Büchern 16 Jahre lang die wöchentlich erscheinende Kolumne „World Citizen“ (WeltbürgerIn) geschrieben, die in mehr als 20 Zeitungen erschien. Zum Jubiläum „50 Jahre Grenzen des Wachstums“ muss auch an diese Pionierin der Umweltbewegung erinnert werden.

Der Club of Rome wurde bereits 1968 gegründet. Es ist ein freiwilliger Zusammenschluss von ExpertInnen aus den verschiedensten Bereichen – Wissenschaft, Unternehmertum, Finanzsektor usw. – mit dem Ziel, sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einzusetzen. Als Nichtregierungsorganisation hat er keine politische Macht, keine Sanktionsmöglichkeiten und auch kein großes Budget. Der Einfluss des Club of Rome reicht nur so weit, wie die Netzwerke seiner aktiven Mitglieder reichen, doch oft wirkt er hinter den Kulissen. Allerdings unterstützen mehr als 30 unabhängige nationale Clubs, etwa in Italien, Deutschland, Russland und Indien, die Ziele des internationalen Clubs.

Zu dessen 116 derzeit aktiven Mitgliedern aus mehr als 30 Ländern gehören auch einige Deutsche, etwa die Unternehmer Michael Otto (Versandhandel) und Alfred Ritter (Schokolade) sowie die in Marokko geborene und an der Universität Siegen lehrende Bauingenieurin Lamia Messari-Becker (EMMA 5/21). Ehrenmitglied ist der Umweltwissenschaftler und langjährige SPD-Politiker Ernst Ulrich von Weizsäcker, der von 2012 bis 2018 als Ko-Präsident des Club of Rome fungierte. Der 1939 geborene Multifunktionär hält unermüdlich Vorträge und publiziert Bücher für den Club. Allein, die Strahlkraft der „Grenzen des Wachstums“ hat keine der neuen Publikationen.

Bei ihrer Jubiläumsversammlung im Oktober 2018 am Gründungsort Rom gingen die Mitglieder einen neuen Schritt: Sie wählten zwei starke Frauen zu ihren neuen Präsidentinnen. Die Südafrikanerin Dr. Mamphela Ramphele und die Belgierin Sandrine Dixson-Declève starteten mit der Aufgabe, „Meinungsführerschaft in Aktion zu übersetzen“ sowie mehr junge und mehr aus dem globalen Süden stammende Mitglieder anzuziehen. Als Erstes entwarfen die beiden Frauen einen „Notfallplan für den Planeten“, der 2019 mit dem Schwerpunkt Klimarettung erschien, 2020 wurde er unter dem Eindruck der Corona-Pandemie erweitert.

Wer sind die beiden neuen Vordenkerinnen und Macherinnen? Mamphela Ramphele ist eine charismatische Person mit einer steilen Karriere, die für mehrere Leben ausgereicht hätte. 1947 kam sie in der heutigen Provinz Limpopo in Südafrika als Tochter eines Lehrerehepaars zur Welt. Die Eltern richteten hohe Erwartungen an die kluge Tochter, erzählte sie kürzlich vor jungen afrikanischen Führungskräften (das spannende Interview ist auf YouTube zu finden). Mamphela studierte Medizin an der Universität von Natal mit dem Ziel, Ärztin für die Armen ihres Landes zu werden.

An der Universität traf sie Steve Biko, den Gründer des Black Consciousness Movement, und hatte mit ihm eine Beziehung, aus der ein Sohn hervorging: Hlumelo Biko, heute Unternehmer in Südafrika. Er kam erst nach dem Tod seines Vaters zur Welt, der im September 1977 nach schwerer Folter im Gefängnis von Pretoria starb. Auch Mamphela Ramphele geriet wegen ihres politischen Engagements ins Fadenkreuz des Apartheid-Regimes. Als junge Ärztin wurde sie in ein abgelegenes Township im Norden des Landes verbannt. Sie sei als „Terroristin“ verschrien gewesen, aber ihre Patienten hätten sie geliebt, erzählt sie. Auch den Respekt der Sicherheitskräfte, von denen sie ständig überwacht wurde, gewann sie, indem sie sie – ähnlich wie Nelson Mandela – als Menschen ansprach, nicht als Feinde. „Suche stets einen Weg zum Herzen“, sei damals zu ihrem Motto geworden.

Ramphele studierte weiter, zunächst im Fernstudium, später mit polizeilicher Erlaubnis in Johannesburg. Sie machte Abschlüsse in Wirtschaftswissenschaften, in Tropischer Hygiene und Öffentlicher Gesundheitsvorsorge. Nach dem Ende ihrer Verbannung ging sie 1986 nach Kapstadt, wo sie in Sozialanthropologie promovierte und zur Vizekanzlerin der Universität aufstieg. Im Jahr 2000 wurde sie als eine von vier DirektorInnen an die Weltbank in Washington berufen. Nach dem Ende ihrer dortigen Amtszeit ging sie 2013 zurück nach Südafrika. Sie war im Vorstand mehrerer Investmentunternehmen tätig und gründete gleichzeitig eine eigene politische Partei, Agang Südafrika („Lasst uns Südafrika aufbauen“), die in Opposition zur Regierungspartei ANC steht.

Von Mamphela Ramphele sind beim Club of Rome Rezepte für die Weltwirtschaft zu erwarten, auf die traditionelle Entwicklungspolitiker nicht so leicht kommen. Von einem jungen Politiker aus Tansania gefragt, wie denn Afrika bei weiterem Bevölkerungswachstum 18 Millionen zusätzliche Jobs pro Jahr bis 2050 schaffen soll, empfiehlt sie, auf die Landwirtschaft zu setzen und den Export von Biolebensmitteln voranzutreiben. „Lebensmittelsicherheit zuerst“, sagt sie. Dabei mag ihre Herkunft aus bäuerlichem Milieu in fruchtbarer Landschaft ebenso eine Rolle spielen wie die Notwendigkeit, im von Grenzen durchzogenen Afrika erst einmal einen Freihandel zu etablieren, wie er für die Industrienationen des Nordens ganz selbstverständlich ist. „Reißt die Grenzen nieder“, sagt sie deshalb mit Emphase. Sie meint die Grenzen, die der Mensch gezogen hat, nicht die Natur. An der Spitze des Club of Rome hat Ramphele die Aufgabe übernommen, Afrika, den „Mutterkontinent“ der Menschheit, stärker einzubinden, neue Impulse der Hoffnung zu geben und das Engagement der Jugend zu mobilisieren. Im November 2019 fand unter ihrer Ägide die Weltkonferenz des Club of Rome zum ersten Mal im südlichen Afrika statt – in Kapstadt. Ihre Mitpräsidentin Sandrine Dixson-Declève kommt dagegen aus dem Herzen der kapitalistischen Welt. Sie hat Internationale Beziehungen in Kalifornien studiert und dann in ihrem Heimatland Belgien einen Abschluss in Umweltwissenschaften gemacht. Sie gilt als Expertin für Energiepolitik und war viele Jahre als Beraterin von EU-Parlamentariern in Brüssel tätig. Im britischen Cambridge leitete sie ein Institut, das Industrievertreter in Sachen Nachhaltigkeit unterrichtet. Und als Direktorin der Prince of Wales Corporate Leaders Group übte sie sich darin, den Geschäftsführern multinationaler Unternehmen erste freiwillige Schritte zu mehr Nachhaltigkeit abzuringen.

Sie verstehe sich nicht als Lobbyistin, betonte die Ko-Direktorin des Club of Rome jüngst in Interviews beim 26. Weltklimagipfel in Glasgow, bei dem sie einige starke Auftritte hatte. „Mein Ziel ist es, Partnerschaften zu bilden.“ Zu der von ihr 2020 initiierten „Planetary Emergency Partnership“ (Notfallpartnerschaft für den Planeten) gehören neben dem Club of Rome inzwischen bereits 350 Mitgliedsorganisationen, auch große Naturschutzverbände wie der WWF. Sie setzen sich vor allem für internationale Verträge ein, die den Gesundheits-, Klima- und Naturschutz rasch voranbringen. Von Dixson-Declève zu erwarten ist ein fairer und respektvoller Umgang auch mit schwierigen Verhandlungspartnern in Sachen Nachhaltigkeit, etwa mit den Vertretern der großen Energiekonzerne oder der Regierung Chinas.

So ist schon jetzt zu beobachten, dass der Club of Rome an Vielfalt und Diplomatie und wohl auch an Tatkraft gewonnen hat, seit die neue weibliche Führung amtiert. Was jedoch auffallend fehlt gegenüber dem Geist von 1972, ist das Vertrauen in Wissenschaft und Technologie bei der Lösung der Weltprobleme, das auch Donella Meadows nie aufgab. In der letzten großen Veröffentlichung des Club of Rome („Wir sind dran“ von 2018) ist von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz nur als Bedrohung zu lesen, nicht als Chance. Doch wie soll die Rettung der Welt ohne den Beitrag der Informatik gelingen? Nötig wäre ein Upgrade von World3.

Doch auch hier stirbt die Hoffnung zuletzt: Im Juni 2022 soll in Stockholm ein neuer großer Report vorgestellt werden, den der Club of Rome derzeit zusammen mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Norwegischen Handelshochschule erarbeitet. Er soll – unter dem Einsatz modernster wissenschaftlicher Methoden – Wege aufzeigen, wie die Erde noch zu retten wäre und die Menschheit eine Zukunft hat.

JUDITH RAUCH

Artikel teilen

Anzeige

 
Zur Startseite