Die Mutter des Automobils

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Noch bevor die beiden im Jahr 1872 vor dem Traualtar den Bund fürs Leben schließen, der übrigens 60 Jahre halten wird, hilft sie ihm finanziell auf die Füße. Alle Widerstände und Proteste ihres wohlhabenden Vaters nützen nichts. Bertha stellt dem Mann ihres Herzens ihre ganze Mitgift und ihr ganzes Erbe zur Verfügung, damit er sich in Mannheim eine eigene Existenz als Maschineningenieur aufbauen kann.

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Später, als das Geld alle ist, schleppt sie ihre Nähmaschine in die Werkstatt, um dort für ihn Induktionsspulen zu wickeln und ihm auch ansonsten tatkräftig zur Seite zu stehen. Wenn er verzweifelt, was oft passiert, spornt sie ihn an. Weil sie in einer Zeit lebt, in der ihr der Zugang zur Universität verwehrt bleibt, hat er zwar das Wissen, sie aber ist seine treibende Kraft.

Trotz vieler Rückschläge und Tiefpunkte – auch der Gerichtsvollzieher steht in der Tür, als Bertha mit dem dritten Kind hochschwanger ist – schafft sie es mit ihrer Lebenskraft und Zähigkeit, die Firma und auch die Familie über Wasser zu halten. Das hatte ihr keiner an der Wiege gesungen.

Als Bertha zehn Jahre alt ist, macht sie eine folgenschwere Entdeckung. Sie liest, was ihr Vater Karl-Friedrich bei ihrer Geburt in die Familienbibel geschrieben hatte: „Leider wieder nur ein Mädchen!“ Nachdem er als Bauspekulant in Pforzheim reich geworden war, heiratete er mit über 40 Jahren eine 20 Jahre jüngere Frau, um nun bald einen prächtigen Stammhalter in den Händen zu halten, der sein Werk fortsetzen könnte.

Doch mit Bertha wird ihm am 3. Mai 1849 eine dritte Tochter geboren – „leider“. Eine Kränkung für das Kind, die zum lebenslangen Antrieb wird, den Makel des „falschen“ Geschlechtes wett zu machen. Vielleicht aber lässt der enttäuschte Vater seiner Tochter auch ein wenig von der Erziehung angedeihen, die er eigentlich für den Sohn vorgesehen hatte.

Bertha Ringer, so ihr Mädchenname, interessiert sich jedenfalls mehr für die Baustellen des Vaters oder technische Fragen zum Eisenbahnbau als für den Haushalt der Mutter oder die damals üblichen Übungen mit Nadel und Faden. Da sie aus wohlhabendem Hause stammt, wird ihr zumindest die Bildung an einer Höheren Töchterschule gewährt, wo sie neben Schreiben und Lesen auch in Naturwissenschaften unterrichtet wird. Genau das kommt ihr zugute, als sie mit zwanzig Jahren den Maschinenliebhaber Carl Benz kennen lernt, der ihr alles mögliche über Fahrgestelle und Antriebskräfte erklärt – und ihr den Floh von dem pferdelosen Wagen ins Ohr setzt.

Für Bertha ist vorgesehen, in die besten Kreise der Gesellschaft einzuheiraten. Sie ist eine gute Partie. Doch bei einem Ausflug des Vereins Eintracht am 27. Juni 1869 entflammt sie für den Maschinenliebhaber und Tüftler Carl Benz, der den Kopf voller verrückter Ideen, aber keinen Taler in der Tasche hat, und der besser über Technik als über Gefühle reden kann. Was Bertha aber nicht stört. Im Gegenteil. Endlich fühlt sie sich ernst genommen und erkennt die Chance, über Carl ihre eigenen Träume verwirklichen zu können.

Es ist ein steiniger Weg bis zur Verwirklichung der Visionen des Ehepaars Benz vom pferdelosen Wagen und motorisierten Straßenverkehr. Doch als es endlich geschafft ist und Carl Benz am 29. Januar 1886 nach fast zwanzig Jahren und vielen vergeblichen Versuchen als erster das Patent erhält – da ist Bertha die erste Frau, die jemals am Steuer eines Motorwagens gesessen hat. Sie ist es auch, die sich mit ihm bei den ersten Probefahrten verspotten und verhöhnen lässt. Denn die Passanten auf der Straße, die gemeinhin zu Fuß gehen und nur Reiter oder Pferdekutschen kennen, erschrecken fürchterlich vor dem laut knatternden und stinkenden Karren. Dieses Fuhrwerk des Teufels, glauben sie, werde sie direkt in die Hölle bringen.

Der Erfolg lässt auf sich warten. Zwei Jahre nachdem die Erfindung patentiert worden ist, hat sich immer noch kein Käufer gefunden. Am 1. August 1888 wird Carl Benz nur eine eingeschränkte Fahrerlaubnis erteilt. Über Mannheim und Umgebung hinaus darf er seinen Wagen nicht fahren und demzufolge auch nicht in anderen deutschen Städten bekannt machen. Also entscheidet Bertha wagemutig, sich selber mit den beiden Söhnen, Eugen und Richard, 13 und 15 Jahre alt, auf eine abenteuerliche Reise von rund 100 Kilometern zu machen. Damit startet sie die erste Fernfahrt der Welt mit einem Motorwagen, die nicht nur verboten ist, sondern auch lebensgefährlich.

Einen Gang für steile Straßen gibt es noch nicht, also muss bergauf geschoben werden. Bergab wird die Sache gemeingefährlich: Das Automobil ist dreirädrig, fährt aber auf Wegen, die für vierrädrige Pferdekutschen ausgefahren sind. Demzufolge schlackert das zierliche Vorderrad über Huckel und Grasbüschel, Stöcke und Steine. Bertha hat mehr Glück als Verstand, dass sie nicht in einem Graben oder vor einem Baum landet.

Auch Tankstellen existieren nicht, alle 15 bis 20 Kilometer braucht es eine Apotheke, in der man hoffentlich ausreichend Ligroin vorrätig hält, also Waschbenzin, das die Hausfrauen gewöhnlich zur Fleckenentfernung verwenden. Natürlich kommt es auch zu diversen Pannen. Aber Bertha ist, wie so viele Frauen vor und nach ihr, im Falle von Mangelwirtschaft eine gute Improvisatorin. Beherzt reinigt sie verstopfte Dichtungen oder die verdreckte Benzinleitung mit ihrer Hutnadel und isoliert ein durchgeschmortes Kabel mit ihrem Strumpfband.
Am Ende dieses heißen Augusttages im Jahr 1888 kommen Bertha und ihre Söhne verdreckt und verschwitzt, aber glücklich in ihrer Heimatstadt Pforzheim an. Sie lässt es sich nicht nehmen, unverzüglich beim „Hotel zur Post“ vorzufahren, wo sonst nur Pferdekutschen anlanden und die Pferde getränkt werden. Die Pforzheimer sind entsetzt.

Nach der gelungenen Fernfahrt will sie zeigen, wie die Zukunft aussehen wird. Doch noch zwölf Jahre nach Berthas Jungfernfahrt wird Kaiser Wilhelm II. empört ausrufen, dass „die Straße den Pferden“ gehöre. Heute wissen wir: Auch der Kaiser hat dazu gelernt. 1903 rüstet er den Königlichen Marstall von Pferden auf Automobile um, und die Stallburschen riechen nicht mehr Heu und Pferdeschweiß, sondern Öl und Benzin.

Nach Berthas dieser ersten Automobilreise stellt sich die Wissenschaft skeptische Fragen. Ab welcher Geschwindigkeit kann der Mensch platzen? Würden die inneren Organe in den Kurven nicht durcheinander oder auseinander getrieben? Kann das Gehirn die Rasanz so einer Autofahrt überhaupt verarbeiten? Aber innerhalb von nur zehn Jahren wendet sich das Blatt. Plötzlich kann es gar nicht mehr schnell genug gehen.

Autorennen kommen in Mode. Mit dem 20. Jahrhundert beginnt die Epoche des höher, schneller, weiter. Das macht die Familie Benz reich, gefällt ihr aber nicht. Mit 58 Jahren verlässt Carl Benz, enttäuscht vom Geschwindigkeitswahn, seine Firma und geht mit Bertha zunächst nach Darmstadt, dann nach Ladenburg. Im April 1929 stirbt er. Bertha überlebt ihn um 15 Jahre.

Zurückgezogen und ohne viel Kontakt zur Außenwelt lebt sie in ihrer Villa in der beschaulichen Römerstadt Ladenburg unmittelbar am Neckar. Dass ihr Vermögen durch Krieg und Inflation zusammengeschrumpft ist, beschäftigt sie nicht weiter. Sie war es viele Jahre gewohnt, bescheiden zu leben bis hin zum Geiz. Bertha Benz bedrückt das Elend der Menschen und die hohe Arbeitslosigkeit. Sie schreibt an einen Journalisten der lokalen Presse, dass sie ihre Bücher für eine Bibliothek zur Verfügung stellen möchte, damit die Menschen, die keine Beschäftigung haben, wenigstens lesen könnten.

Als Hitler auftaucht, hält sie ihn für den Retter der Deutschen. Es dauert nicht lange, bis die Propagandamaschine der Nazis auch die Benzens für sich entdeckt. Er – ein deutscher Held der Technik. Sie – eine tapfere deutsche Mutter. Ostern 1933 findet in Mannheim eine pompöse Denkmaleinweihung für Carl Benz statt. Die 84-jährige Bertha Benz ist zunächst gerührt und lässt sich von den Nazis funktionalisieren. Als sie jedoch erkennen muss, dass dieser Hitler ein Kriegstreiber ist, ist sie verzweifelt und geht auf Abstand.

An ihrem 95. Geburtstag, am 3. Mai 1944, wird Bertha Benz von der Technischen Universität Karlsruhe, an der ihr Mann einst studierte, zur Ehrensenatorin ernannt. Zwei Tage später stirbt sie. Ihren lebenslangen Kampf zu beweisen, dass sie mehr als „leider wieder nur ein Mädchen“ ist, hat sie am Ende gewonnen.

Von der Autorin erschien: "Mein Traum ist länger als die Nacht. Wie Bertha Benz ihren Mann zu Weltruhm fuhr" (Hoffmann und Campe).

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