Die Reaktionen auf das andere Geschlecht
Der erste Band (von "Das andere Geschlecht" Anm. der Red.) fand eine günstige Aufnahme. In der ersten Woche wurden zweiundzwanzigtausend Exemplare verkauft. Auch der zweite Band ging gut, erregte aber sehr viel Anstoß. Ich war verblüfft über die Diskussionen, die die in den "Temps Modernes" abgedruckten Kapitel auslösten. Ich hatte den "französischen Hang zur Schlüpfrigkeit" gründlich unterschätzt. (...) "Sie sind aber mutig!", sagte Claudine Chonez zu mir mit etwas bemitleidender Bewunderung. "Mutig?"- "Sie werden viele Freunde verlieren!" Wenn ich sie verliere, dachte ich bei mir, waren es keine Freunde.
Auf jeden Fall hatte ich das Buch so geschrieben, wie ich es mir in den Kopf gesetzt hatte - aber von keinerlei Heroismus angehaucht. Die Menschen in meiner Umgebung - Sartre, Bost, Merleau-Ponty, Leiris, Giacometti und die Redaktion der "Temps Modernes"- erwiesen sich auch in diesem Punkt als echte Demokraten: Wenn ich nur an sie gedacht hätte, hätte ich eher befürchtet, offene Türen einzurennen. Das machte man mir übrigens zum Vorwurf. Ebenso warf man mir vor, ich hätte erfunden, travestiert, deliriert, mich im Unendlichen verirrt. Man warf mir so vieles vor: eigentlich alles! Vor allem meine Unanständigkeit.
Die Juni/Juli/August-Nummern der "Temps Modernes" gingen weg wie warme Semmeln: Aber man las sie, wie ich zu behaupten wage, mit Scheuklappen vor den Augen. Man hätte meinen können, dass es Freud und die Psychoanalyse nie gegeben habe. Was für Freuden der Obszönität unter dem Vorwand, die meine zu geißeln! Der brave, alte gallische Witz ergoss sich in Strömen. Ich erhielt signierte und anonyme Epigramme, Satiren, Strafpredigten, Ermahnungen, die, zum Beispiel, "äußerst aktive Angehörige des ersten Geschlechts" an mich richteten. Man sagte, dass ich unbefriedigt, frigid, priapisch, nymphoman, lesbisch sei und hundert Abtreibungen hinter mir habe und sogar heimlich ein Kind hätte. Man machte sich erbötig, meine Frigidität zu heilen, meine vampirischen Gelüste zu befriedigen, man versprach mir Offenbarungen, zwar mit schmutzigen Ausdrücken, aber im Namen des Wahren, des Schönen, des Guten, der Gesundheit und sogar der Poesie, an denen ich mich auf unwürdige Weise vergangen hatte.
Schön. Es ist langweilig, Klosettwände zu bekritzeln: Dass manische Sexualphantasten es vorzogen, mir ihre Fleißarbeiten zuzuschicken, konnte ich verstehen. Aber dass sich selbst Mauriac darunter befand! Er schrieb an einen Mitarbeiter der "Temps Modernes": "Nun weiß ich alles über die Vagina Ihrer Chefin."(...)
Indessen passierte es oft in den Restaurants, in den Cafés - mit Algren ging ich häufiger aus als sonst -, dass man mich höhnisch lächelnd ansah oder sogar mit dem Finger auf mich zeigte. Während eines Essens im "Nos Provinces" am Boulevard Montparnasse beobachtete mich unaufhörlich eine benachbarte Tischrunde und lachte schallend. Ich wollte Algren nicht in einen Skandal mit hineinziehen und richtete beim Weggehen einige Worte an die braven Leute. (...)
Im November kam es zu einem neuen Aufstand. Die Kritiker fielen aus allen Wolken; das Problem existiere ja gar nicht: Die Frauen seien seit jeher den Männern ebenbürtig, sie seien ihnen für ewige Zeiten unterlegen, und alles, was ich sagte, wisse man bereits, und an allem, was ich sagte, sei kein wahres Wort. In "Liberté de l'Esprit" wetteiferten Boideffre und Nimier miteinander an Verachtung. Ich sei ein "armes Geschöpf", neurotisch, verschmäht, enttäuscht, enterbt, ein Mannweib, unbefriedigt, neidisch, eine gegenüber Männern und Frauen mit Minderwertigkeitskomplexen behaftete, von Ressentiments zerfleischte Tante. (...)
Jean Guitton schrieb voll christlicher Barmherzigkeit, "Le deuxième Sexe" habe ihn schmerzlich berührt, weil aus ihm im Filigran mein "trauriges Leben" zu ersehen sei. Armand Hoog übertraf sich selbst: "Sie empfindet es als erniedrigend, eine Frau zu sein. Sie ist sich schmerzlich bewusst, dass die Aufmerksamkeit der Männer sie in ihrem Zustand fixiert. Sie lehnt diese Aufmerksamkeit und diesen Zustand gleichermaßen ab."
Das Thema der Demütigung wurde von zahlreichen Kommentatoren aufgegriffen; dermaßen von dem Gefühl ihrer männlichen Überlegenheit durchdrungen, konnten sie sich nicht vorstellen, dass sie mich nie belastet hatte. Der Mann, den ich höher stelle als alle anderen, war nicht der Meinung, dass ich ihm unterlegen sei. Ich hatte viele Männer zu Freunden, deren Aufmerksamkeit mich durchaus nicht in meinen Grenzen fixierte, sondern die mich zur Gänze als menschliches Wesen anerkannten. Dieses Glück hat mich vor jedem Verdruss und jedem Groll bewahrt: Es war offensichtlich, dass weder meine Kindheit noch meine Jugendzeit mich vergiftet hatten. (...)
Ich hebe die Frauen nicht in den Himmel und schildere die sich aus ihrer Stellung ergebenden Mängel, aber ich habe auch ihre Vorzüge und ihre Verdienste aufgezeigt. Ich habe allzu vielen Frauen allzu viel Zuneigung geschenkt, um sie zu verraten und mich als "ehrenhalber männlich" zu betrachten. Auch die Aufmerksamkeit der Männer hat mich nie verletzt. De facto wurde ich erst nach dem Erscheinen von "Le deuxième Sexe" zur Zielscheibe der Sarkasmen. Vorher hatte man mir Gleichgültigkeit oder Wohlwollen entgegengebracht.
Von nun an geschah es oft, dass ich als Frau angegriffen wurde, weil man glaubte, mich an einer verwundbaren Stelle zu treffen: Ich wusste aber genau, dass dieser Unwille meinen moralischen und sozialen Standpunkten galt. Weit davon entfernt, unter meiner Weiblichkeit zu leiden, habe ich eher von meinem zwanzigsten Lebensjahr an die Vorteile beider Geschlechter genossen. Nach dem Erscheinen von "L'Invitée" behandelte mich meine Umgebung gleichzeitig als einen Schriftsteller und als eine Frau. Besonders auffällig war das in Amerika: Bei Empfängen und Partys standen die verheirateten Frauen beisammen und plauderten miteinander, während ich mich mit den Männern unterhielt, die mich höflicher behandelten als ihre Geschlechtsgenossen.
Es war aber gerade diese bevorzugte Stellung, die mich ermutigte, "Le deuxième Sexe" zu schreiben. Sie erlaubte es mir, mich in völliger Gelassenheit zu äußern. Und entgegen ihren eigenen Behauptungen hat viele meiner männlichen Leser gerade dieser Gleichmut geärgert: Einen Wutausbruch, den Aufschrei einer verwundeten Seele hätten sie mit gerührter Herablassung aufgenommen. Sie verziehen mir aber meine Objektivität nicht. (...)
Selbst bei meinen Freunden erregte ich hier und dort Ärgernis. Ein fortschrittlicher Universitätsprofessor brach die Lektüre meines Buches ab und schleuderte es durchs Zimmer. Camus beschuldigte mich mit einigen missgelaunten Sätzen, den französischen Mann lächerlich gemacht zu haben. Aus dem Mittelmeerraum stammend, von spanischem Stolz besessen, billigte er der Frau die Gleichheit nur im Unterschiede zu, und offensichtlich war er, wie George Orwell es ausgedrückt haben würde, der "Gleichere". (...)
Für die meisten waren meine Ausführungen über die Frigidität der Frau eine Beleidigung. Sie wollten nach wie vor an dem Glauben festhalten, dass sie das Vergnügen nach eigenem Gutdünken schenkten. Daran zweifeln, hieß sie entmannen.
Die Rechte konnte nicht anders, als das Buch verabscheuen, das übrigens in Rom auf den Index gesetzt wurde. Ich hoffte, dass es auf der äußersten Linken eine günstigere Aufnahme finden würde. Wir standen mit den Kommunisten auf denkbar schlechtem Fuß. Trotzdem verdankte meine Abhandlung vieles dem Marxismus und ergänzte ihn so ausgezeichnet, dass ich mir von dieser Seite etwas Unparteilichkeit erwartete.
Marie-Louise Barron beschränkte sich in den "Lettres françaises" auf die Feststellung, dass die Arbeiter in Billancourt das Buch recht lächerlich finden würden. Das hieße die Arbeiter in Billancourt gröblichst unterschätzen, entgegnete Colette Audry in einer "kritischen Übersicht", die sie im "Combat" veröffentlichte. (...) Die nichtstalinistischen Marxisten waren nicht viel besser. Als ich einen Vortrag an der École Émancipée hielt, erwiderte man mir, dass, wenn erst einmal die Revolution stattgefunden habe, es das Problem der Frau nicht mehr gäbe. Schön, sagte ich - aber bis dahin? Die Gegenwart schien sie nicht zu interessieren.
Meine Gegner ließen rund um "Das andere Geschlecht" zahlreiche Missverständnisse entstehen, an denen sie eifrig festhielten. Vor allem griff man mich wegen des Kapitels über die Mutterschaft an. Viele Männer erklärten, ich sei nicht berechtigt, über die Mutterschaft zu sprechen, weil ich kein Kind geboren hatte: Und sie selber? (Sie haben die Mütter gefragt: Dasselbe habe ich getan.) Trotzdem konfrontierten sie mich mit festgefahrenen Auffassungen. Ich hätte dem Muttergefühl und der Liebe jeden Wert abgesprochen, was gar nicht zutraf. Ich hatte verlangt, dass die Frau sie wahrhaft und frei erlebe, während sie doch oft nur als Alibi dienten, und dass sich die Frau in dem Augenblick von ihnen lossage, da sie ihr fremd geworden sind, weil das Herz verstummt ist. Ich hätte sexuelle Zügellosigkeit gepredigt: Ich habe aber nie einem Menschen geraten, mit wem auch immer und wann auch immer ins Bett zu gehen. Ich bin nur der Meinung, dass auf diesem Gebiet die Wahl, die Zustimmung und die Weigerung nicht den gesellschaftlichen Einrichtungen, den Konventionen und den Interessen unterworfen sein dürften. Wenn die Gründe nicht der Handlungsweise entsprechen, die sie motivieren, endet alles mit Lügen, Verdrehungen und Verstümmelungen. (...)
Das Buch fand auch Verteidiger: Francis Jeanson, Nadeau und Mounier. Es löste öffentliche Debatten und Vorträge aus und bescherte mir viel Post. Schlecht gelesen, schlecht begriffen, brachte es die Gemüter in Bewegung. Alles in allem ist es vielleicht unter meinen Büchern dasjenige, das mir die tiefste Befriedigung gewährt hat. Wenn man mich fragt, wie ich es heute beurteile, zögere ich nicht mit der Antwort: Ich bin dafür!(...)
"Ihr Buch war mir eine große Hilfe ... Ihr Buch hat mich gerettet", schrieben mir Frauen aller Altersstufen und verschiedenster Schichten. Wenn mein Buch den Frauen geholfen hat, dann nur deshalb, weil es ihnen Ausdruck verleiht. Als Gegenleistung haben sie ihm seinen Wahrheitsgehalt gegeben. Ihnen ist es zu verdanken, dass das Buch heute keinen Anstoß mehr erregt. In den letzten zehn Jahren sind die männlichen Mythen geplatzt. Und viele Schriftstellerinnen haben mich an Kühnheit weit übertroffen. Meinem Geschmack nach sind es allzu viele, die die Sexualität als Thema gewählt haben. Zumindest aber präsentieren sie sich sozusagen als Subjekt, als Bewusstsein, als freier Mensch.
Mit dreißig Jahren wäre ich überrascht und sogar irritiert gewesen, wenn man mir vorausgesagt hätte, dass ich mich mit Frauenproblemen beschäftigen würde und mein ernsthaftestes Publikum Frauen sein würden. Ich bedauere es nicht. Für sie, die so uneinig, so beschimpft, so benachteiligt sind, gibt es noch mehr Risiken, Siege und Niederlagen als für die Männer. Sie interessieren mich, und lieber will ich durch ihre Vermittlung einen begrenzten, aber soliden Einfluss auf die Welt haben, als im Allgemeinen zu verbleiben.
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Von mir existieren zwei Porträts: Ich sei eine Verrückte, eine Halbwahnsinnige, eine exzentrische Person. (Die Zeitungen in Rio meldeten voller Erstaunen: "Man erwartete eine exzentrische Erscheinung und war enttäuscht, eine Frau vor sich zu sehen, die sich genauso kleidet wie alle Welt.") Ich sei liederlich. Eine Kommunistin erzählte 1945, in meiner Jugend hätte ich in Rouen nackt auf Fässern getanzt. Ich hätte allen Lastern gefrönt, mein Leben sei ein Karneval, usw.
Flache Absätze, straffer Dutt. Ich sei eine Pfadfinderchefin, eine Vorstandsdame, eine Schulmamsell (in dem abfälligen Sinne, den die Rechtskreise diesem Wort unterlegen). Ich würde mein Leben über Büchern und an meinem Arbeitstisch verbringen, eine reine Intelligenzbestie. "Sie lebt nicht", habe ich eine junge Journalistin sagen hören. Als die Zeitschrift "Elle" ihren Leserinnen verschiedene Frauentypen vorsetzte, schrieb man unter mein Foto: "Ein ausschließlich intellektuelles Leben."
Nichts hindert die Leute daran, diese beiden Porträts miteinander zu verschmelzen. Man kann eine verwilderte Intelligenzbestie, eine lasterhafte Vorstandsdame sein. Bezeichnend ist nur, dass man mich als anomal hinstellt. Wenn meine Kritiker damit sagen wollen, dass ich ihnen nicht ähnlich bin, machen sie mir ein Kompliment. Tatsache ist, dass ich Schriftstellerin bin: Eine Schriftstellerin ist nicht eine Hausfrau, die Bücher schreibt, sondern ein Mensch, dessen gesamtes Dasein durch das Schreiben beherrscht wird. Dieses Leben ist ebenso viel wert wie ein anderes.
Der Text ist ein Auszug aus "Der Lauf der Dinge" (Rowohlt).