Digitale Gesellschaft - frauenlos?

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Jeder und jede ist heute NachrichtenproduzentIn. Wir verfassen jederzeit und jederorts Nachrichten, verschicken sie in Sekundenschnelle an Tausende von Menschen auf dem ganzen Globus. Die Beteiligungsbarrieren für die „Neticens“, die Netzbürger, sinken ­permanent auf allen Ebenen. Und das hat ­Folgen: Politische Ereignisse werden nahezu in Echtzeit in der Weltöffentlichkeit bekannt, die Leaking Kultur à la WikiLeaks macht ­auch vor Ministerinnen und Ministern (Pla­giat­s­affairen) oder dem Vatikan (Vatigate) nicht halt.

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Welche Rolle spielen wir Frauen dabei? Nimmt man die trockenen Zahlen, so haben sich die Geschlechter in Bezug auf die Netznutzung angenähert – im Jahr 2011 waren 81 Prozent der Männer und 70 Prozent der Frauen im Netz aktiv (laut ARD/ZDF-Online­studie). Doch genau besehen sind das trügerische Zahlen, denn vor allem bei der mittleren Generation fehlen die Frauen: Mehr als jede zweite deutsche Frau über 50 ist (noch) nicht im Internet unterwegs. Die Onlinestudie ­belegt außerdem, dass Frauen sich kürzer im Netz aufhalten, sich weniger an Debatten ­beteiligen und seltener eigene Blogs führen. Und Studien vom November 2012 belegen, dass sich Frauen weniger für politische ­Nachrichten und mehr für Lifestyle-News ­interessieren. Weibliche Positionen und ­Perspektiven im Netz sind also Mangelware.

Aber nicht nur der Diskurs im Netz wird maßgeblich von männlichen Sichtweisen bestimmt, sondern auch die Debatten im realen wirtschaftlichen und politischen Umfeld des Netzes. Auch die sind zunehmend frauenfrei. Zwar sorgte die Tatsache, dass die einfluss­reiche Branchengröße Bitkom ihren Trendkongress 2012 mit 26 Rednern, aber nur einer Rednerin, bestückte, nur auf Twitter für einige Aufregung. Aber seismographisch ­bedeutsam ist diese Rednerliste allemal.

Doch das Problem ist in Wahrheit weniger, dass Frauen nicht im Netz aktiv wären, sondern dass sie weniger sichtbar werden. Frauen sind im Netz in kreativen Nischen zu finden – im „digitalen Kaffeklatsch“ auf frauen-im-netz.de oder bei Kampagnen auf maedchenmannschaft.net, netzfeminismus.org oder femgeeks.de.
Doch diese Aktivitäten nimmt kaum jemand zur Kenntnis. Es hat sich ­inzwischen nämlich eine männliche Diskurskultur um spezifische Themen entwickelt (schön sichtbar auf der Netzkonferenz re.publica), die ihre eigenen Platzhirsche her­vor­gebracht hat und einen Stil pflegt, der den meisten Frauen fremd ist.

Zunächst ist da der Verdacht, man müsse ­sozusagen 24/7 im Netz unterwegs sein, um überhaupt mitreden zu dürfen. Und dann droht gnadenlose Netzruppigkeit, die in ­vernichtenden Shitstorms ihren schärfsten ­Niederschlag findet. Alles in allem kein sehr ­verlockendes Umfeld für Frauen.
Wir könnten aber auch argumentieren, dass Frauen einfach nur das Bewusstsein in Bezug auf die hohe Relevanz der Netzwelt fehlt. Und das muss sich ändern. Nehmen wir sie Ernst, die schöne neue Welt des Netzes!

Die Professorin für Medienwissenschaften an der Uni Bonn hat früher grüne Frauenpolitik gemacht und das Binnen-I propagiert.

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